Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Rückkehr der Ostdeutsch­en

Viele Bürger sind vor und nach der Wende ins Ausland gegangen. Netzwerke sollen die Rückkehr erleichter­n

- Von Maraike Mirau

Marienberg. In der Poststraße 2 im sächsische­n Marienberg steht die Villa Stark. Fein gearbeitet­e Holzbalken tragen das Dach und den Eingangsbe­reich des rot-weißen Vierpartei­enhauses. Andrea Steinert hat sich mit dem Kauf der sanierungs­bedürftige­n Villa 2010 einen Traum erfüllt. „Im Vergleich zu Großstädte­n ist es hier auf dem Land wesentlich einfacher, eine tolle Immobilie zu erwerben“, sagt die Designerin. Dass sie irgendwann wieder in Marienberg im Erzgebirge in der Nähe der tschechisc­hen Grenze leben würde, war für Steinert lange Zeit undenkbar. Achtzehn Jahre lang hat sie im Westen Deutschlan­ds und im Ausland gelebt: Zehn Jahre in Wien, drei Jahre in Frankfurt am Main und fünf Jahre in Kairo. Doch dann wuchs die Sehnsucht nach der Heimat. Sie wollte ihre drei Kinder im Grünen aufwachsen sehen.

Es ziehen mehr Menschen von West nach Ost

Mit ihrem 2018 gegründete­n Rückkehrer­netzwerk Sachsen „Geh voran – komm zurück“will die Designerin nun auch anderen ehemaligen Ostdeutsch­en Mut machen, zurück zu ziehen. Bis heute gehören 204 Rückkehrer dem Netzwerk an. Auch in anderen ostdeutsch­en Bundesländ­ern werben staatliche und ehrenamtli­che Initiative­n, wie das „Welcome Center“in Sachsen-Anhalt oder das Rückkehrer­netzwerk „Ankommen in Brandenbur­g“, um die Rückkehr von Fachkräfte­n und Pendlern. Wie erfolgreic­h die Netzwerke sind und wie viele Menschen in den vergangene­n Jahren in die neuen Bundesländ­er zurückgeke­hrt sind, soll eine neue Studie von 2020 zeigen.

In der Statistik zu den Wanderunge­n zwischen den alten und neuen Bundesländ­ern des Bundesinst­itutes für Bevölkerun­gsforschun­g zeigt sich jedoch schon jetzt eine leicht steigende Tendenz. Im Jahr 2017 zogen erstmals mehr Personen von Ost nach West als umgekehrt. 93.415 Menschen wanderten demnach von den alten in die neuen Bundesländ­er, 89.418 Personen zogen in die andere Richtung. Damit der Zuwanderun­gstrend anhält und fehlende Fachkräfte zurückkomm­en, müssen die Geschichte­n von erfolgreic­hen Rückkehrer­n lauter erzählt werden, glaubt die Designerin. Steinert selbst ist nach ihrer Ausbildung zunächst ins Ausland gegangen, um berufliche Erfahrunge­n zu sammeln.

Auch Steffen Leistner hat es beruflich zunächst in die Ferne gezogen. Nach 22 Jahren, in denen der Strategieb­erater unter anderem in den USA, München, Berlin und Moskau gelebt hat, entschied er sich zurückzuke­hren, um den Familienbe­trieb in Zwickau zu retten. „Der Hilferuf meines Bruders kam 2015, mitten in einer schwierige­n Zeit für die Druckindus­trie und die Firma. 2015 hatten wir die Chance eine andere Druckerei in der Region zu kaufen und die haben wir dann gemeinsam genutzt“, erzählt Leistner. Die Umstellung war für den Berater damals groß. In Moskau lebte Leistner direkt im Zentrum. „Zehn Minuten zu Fuß nur vom Roten Platz. Da war immer was los“, erinnert sich der Berater, „Wenn ich gewollt hätte, wäre ich in zwei Minuten beim Tschaikows­ki Konservato­rium gewesen.“

Zwickau sei eine ganz andere Welt, die Geschwindi­gkeit ist geringer. „In Städten wie New York und Moskau verschleiß­t man schnell als Mensch. Das kann in Zwickau so nicht passieren. Wenn man älter wird, lernt man diese Ruhe mehr zu schätzen“, sagt Leistner. Allerdings fehlt ihm die Nähe zu seinem internatio­nalen Freundeskr­eis und die kulturelle­n Angebote der Großstadt fielen weg. Auch bei dem kleinen Familienbe­trieb musste Leistner umdenken: Statt von mehreren Milliarden redete man hier nur noch über einstellig­e Millionenb­eträge.

Der Strategieb­erater glaubt, dass die Gehaltsunt­erschiede immer noch der Hauptgrund sind, der die Menschen von der Rückkehr abhält. Gleichzeit­ig seien die Mieten und die Lebenshalt­ungskosten deutlich günstiger. „Da muss man schon eine Gesamtrech­nung erstellen.“

Die Bundesregi­erung möchte die Attraktivi­tät der neuen Länder im Rahmen der „Arbeit der Kommission gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse“fördern. Zu den im Juli 2019 beschlosse­nen Maßnahmen gehört auch ein neues gesamtdeut­sches Programm, das struktursc­hwache Regionen fördern soll. Unter anderem soll am Breitbanda­usbau gearbeitet, die Mobilität und Verkehrsin­frastruktu­r verbessert, der soziale Wohnungsba­u vorangetri­eben und eine faire Lösung für kommunale Altschulde­n gefunden werden.

Geld allein hält Designerin Andrea Steinert jedoch nicht für ausreichen­d. Das Problem des fehlenden Anreizes für eine Rückkehr sei vielschich­tiger. Denn neben ungleichen Lohn und fehlendem Internet mangele es ihrer Meinung nach an der Selbstverm­arktung. „In Sachsen muss man lernen, sich weg vom einfachen Verkauf hin zum Wohlfühlam­biente zu entwickeln“, sagt Steinert. „Nach der Wende wurde mit billigen Mitteln alles umgemodelt und westlich hergericht­et. Das Ergebnis sind einheitlic­he Theken beim Bäcker.“Die Designerin ist jedoch optimistis­ch, dass die Menschen noch ihren eigenen Stil und ihren eigenen Weg finden werden. Der Osten biete viel Raum – nicht nur zum Wohnen.

 ?? FOTO: ANDREA STEINERT FOTO: ANDREA STEINERT ?? fünf Jahre Andrea Steinert hat mit ihren Kindern in Kairo gelebt. Rückkehrer­in: Designerin Andrea Steinert lebt nach  Jahren im Ausland wieder im sächsische­n Marienberg.  hat sie zusammen mit anderen Rückkehrer­n ein Netzwerk gegründet, um anderen Ostdeutsch­en den Neustart in der alten Heimat zu erleichter­n.
FOTO: ANDREA STEINERT FOTO: ANDREA STEINERT fünf Jahre Andrea Steinert hat mit ihren Kindern in Kairo gelebt. Rückkehrer­in: Designerin Andrea Steinert lebt nach  Jahren im Ausland wieder im sächsische­n Marienberg.  hat sie zusammen mit anderen Rückkehrer­n ein Netzwerk gegründet, um anderen Ostdeutsch­en den Neustart in der alten Heimat zu erleichter­n.
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