Die inneren Stimmen treten nach draußen
Sarah Crossans Jugendroman „Die Sprache des Wassers“ist auf der Studiobühne des Nationaltheaters Weimar eine verpasste Chance für eine Schauspielerin
Weimar. In Kasienkas Bauch „ist kein Platz für Schmetterlinge.“Da regt sich nichts beim Gedanken an Tata, den Vater, derweil Gedanken und Gefühle der Mutter um nichts anderes kreisen. Tata hat beide verlassen. Sie sind ihm hinterher gereist, von Danzig nach Coventry, ihn aufzuspüren. Sie werden ihn finden. Die Orte aber, wo sich etwas spüren lässt, sind überall dort, wo Tata nicht ist.
Isabel Tetzner, Weimars Kasienka, schafft Platz für Schmetterlinge, bis sie, erzählerisch, selbst den Schmetterling macht: den der Schwimmerin im Wettkampfbecken. Bis dahin findet eine Metmorphose statt: von der verdruckst und verschämt durch die Fremde kriechenden Raupe zum aus sich heraus leuchtenden Wesen mit verschlagen aufblitzendem Blick.
„Die Sprache des Wassers“ist ein Jugendroman über pubertierende Mädchen, die am liebsten aus der eigenen Haut fahren und sich zugleich in ihr verstecken wollen, und auch einer über Mobbing. Die Irin Sarah Crossan legte ihn 2012 in Versform vor, wiederholt gelangte er seitdem auf Theaterbühnen. Alle Fassungen, soweit sich sehen lässt, brechen den inneren Monolog auf zum Spiel für zwei bis drei Darsteller. So halten es im Grunde auch Regisseurin Esther Jurkiewicz und Dramaturgin Eva Bormann im DNT-Studio.
Doch treten Elke Wieditz unter anderem als Mutter und als des Vaters neue Frau sowie Bastian Heidenreich unter anderem als Vater und Kasienkas zarte erste Liebe William nicht einfach an, ein paar Rollen zu übernehmen. Sie werden zu ausgelagerten antagonistischen Stimmen gleichsam auf den Schultern der Hauptfigur: die Teufelin und der Engel, die Britin und der Pole, die Vergangenheit und die Zukunft, . . .
Mit ihnen bewegt sich Tetzners künftiger Schmetterling Kasienka, „fast dreizehn“, weniger durch den eigenen Kokon als im Käfig: Henriette Hübsch entwarf eine kleine Drehbühne, behäbig wie ein Mühlstein, um die sich halbrund eine Blechwand und ein Metallzaunraster rollen lassen, um neue Räume zu öffnen und alte zu schließen. Diese mechanische Versuchsanordnung ist fast zu bemerkenswert: Sie lenkt vom Eigentlichen einigermaßen ab, so wie die inneren Stimmen von der Figur, aus der sie heraustreten. Wenn Kasienka sieht, wie die immerfort weinende, untröstliche Mutter Halt braucht, heißt es im Buch: „Meine Arme sind zu kurz dafür.“Hier richtet Heidenreich den Satz an Tetzner; er und Wieditz werden zum verlängerten Arm der Hauptfigur. Das erweitert deren Spielräume aber nicht, es engt sie ganz im Gegenteil ein.
Insofern ist die Aufführung doppelt verschenkt: Heidenreich und Wieditz, mit Anstand sowieso, aber auch Lust bei der Sache, retten sich oft ins Komödiantische, bleiben aber am Ende doch entbehrlich.Und Tetzner geht ein Monolog als großes Solo mit integrierten Stimmen verloren, in dem sie sich freischwimmen könnte. Kasienkas finaler Satz vom Startblock aus geht so: „Ich stehe für mich allein, und das hat sich noch nie so gut angefühlt.“Dergleichen bleibt der Schauspielerin leider verwehrt.
Wieder zu sehen am Samstag, . Oktober, Uhr, sowie am Donnerstag, . Oktober, . Uhr