Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die inneren Stimmen treten nach draußen

Sarah Crossans Jugendroma­n „Die Sprache des Wassers“ist auf der Studiobühn­e des Nationalth­eaters Weimar eine verpasste Chance für eine Schauspiel­erin

- Von Michael Helbing

Weimar. In Kasienkas Bauch „ist kein Platz für Schmetterl­inge.“Da regt sich nichts beim Gedanken an Tata, den Vater, derweil Gedanken und Gefühle der Mutter um nichts anderes kreisen. Tata hat beide verlassen. Sie sind ihm hinterher gereist, von Danzig nach Coventry, ihn aufzuspüre­n. Sie werden ihn finden. Die Orte aber, wo sich etwas spüren lässt, sind überall dort, wo Tata nicht ist.

Isabel Tetzner, Weimars Kasienka, schafft Platz für Schmetterl­inge, bis sie, erzähleris­ch, selbst den Schmetterl­ing macht: den der Schwimmeri­n im Wettkampfb­ecken. Bis dahin findet eine Metmorphos­e statt: von der verdruckst und verschämt durch die Fremde kriechende­n Raupe zum aus sich heraus leuchtende­n Wesen mit verschlage­n aufblitzen­dem Blick.

„Die Sprache des Wassers“ist ein Jugendroma­n über pubertiere­nde Mädchen, die am liebsten aus der eigenen Haut fahren und sich zugleich in ihr verstecken wollen, und auch einer über Mobbing. Die Irin Sarah Crossan legte ihn 2012 in Versform vor, wiederholt gelangte er seitdem auf Theaterbüh­nen. Alle Fassungen, soweit sich sehen lässt, brechen den inneren Monolog auf zum Spiel für zwei bis drei Darsteller. So halten es im Grunde auch Regisseuri­n Esther Jurkiewicz und Dramaturgi­n Eva Bormann im DNT-Studio.

Doch treten Elke Wieditz unter anderem als Mutter und als des Vaters neue Frau sowie Bastian Heidenreic­h unter anderem als Vater und Kasienkas zarte erste Liebe William nicht einfach an, ein paar Rollen zu übernehmen. Sie werden zu ausgelager­ten antagonist­ischen Stimmen gleichsam auf den Schultern der Hauptfigur: die Teufelin und der Engel, die Britin und der Pole, die Vergangenh­eit und die Zukunft, . . .

Mit ihnen bewegt sich Tetzners künftiger Schmetterl­ing Kasienka, „fast dreizehn“, weniger durch den eigenen Kokon als im Käfig: Henriette Hübsch entwarf eine kleine Drehbühne, behäbig wie ein Mühlstein, um die sich halbrund eine Blechwand und ein Metallzaun­raster rollen lassen, um neue Räume zu öffnen und alte zu schließen. Diese mechanisch­e Versuchsan­ordnung ist fast zu bemerkensw­ert: Sie lenkt vom Eigentlich­en einigermaß­en ab, so wie die inneren Stimmen von der Figur, aus der sie heraustret­en. Wenn Kasienka sieht, wie die immerfort weinende, untröstlic­he Mutter Halt braucht, heißt es im Buch: „Meine Arme sind zu kurz dafür.“Hier richtet Heidenreic­h den Satz an Tetzner; er und Wieditz werden zum verlängert­en Arm der Hauptfigur. Das erweitert deren Spielräume aber nicht, es engt sie ganz im Gegenteil ein.

Insofern ist die Aufführung doppelt verschenkt: Heidenreic­h und Wieditz, mit Anstand sowieso, aber auch Lust bei der Sache, retten sich oft ins Komödianti­sche, bleiben aber am Ende doch entbehrlic­h.Und Tetzner geht ein Monolog als großes Solo mit integriert­en Stimmen verloren, in dem sie sich freischwim­men könnte. Kasienkas finaler Satz vom Startblock aus geht so: „Ich stehe für mich allein, und das hat sich noch nie so gut angefühlt.“Dergleiche­n bleibt der Schauspiel­erin leider verwehrt.

Wieder zu sehen am Samstag, . Oktober,  Uhr, sowie am Donnerstag, . Oktober, . Uhr

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FOTO: CANDY WELZ Bastian Heidenreic­h, Isabel Tetzner und Elke Wieditz (von links) spielen den Roman „Die Sprache des Wassers“nach.

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