Klassentreffen und die Einheit
Vergangene Woche war ich in meiner Heimatstadt Radebeul anlässlich der 70-jährigen Schuleinführung an der dortigen Pestalozzi-Schule – einem kleinen Fest, welches kaum gefeiert wird.
Von den rund 30 Grundschülern waren acht „Mädchen“und fünf „Jungen“erschienen, sieben hatten sich krank gemeldet, die übrigen waren nicht zu finden oder sind bereits verstorben. Schließlich sind die Ehemaligen um die 76 Jahre alt.
Die Themen der Gespräche sind in dieser Altersgruppe allerdings schon andere als bei den 40-Jährigen. Erfolge im Beruf, das Auto oder der Hausbau wurden verdrängt von den Erkrankungen, den Enkeln, der Rente und, man staune: von aktuellen Fragen des Lebens sowie der Politik.
Da kam die deutsche Einheit ins Spiel: Wie war unser Leben in der DDR? Ein „altes Mädchen“und ein „alter Junge“wohnen im Westen Deutschlands, die Frau seit etwa 1958, der Mann seit circa 40 Jahren als sogenannter „Freigekaufter“. Die Erfahrungen dieser Mitschüler sind sehr unterschiedlich und ihr Blick auf die alte Heimat hat viel Sympathie, aber auch herbe Kritik bei dem Jungen für die neue Heimat Bundesrepublik, was durchaus überraschte, waren doch die Begründungen recht materialisiert.
Da sich ein solches Treffen immer auf die Schule bezieht, erhitzten sich die Gemüter sehr am heutigen Schulsystem, das die Senioren an ihren Enkeln hautnah erleben. Hier spürte man nichts mehr von einem Treffen alter Leute, hier nahmen alle ganz vital an den aktuellen Fragen teil. Man wünschte sich viel mehr inspirierende Aktivitäten zu den Problemen Lehrermangel, Einsen-Hascherei, Inflation der Gymnasien und zum überholten föderalen Schulsystem. Schließlich habe man Jahrzehnte in Familie und Beruf die Gesellschaft mitgetragen, auf der Grundlage der damaligen Schulausbildung.
Diese Erfahrungen sollten im digitalen Zeitalter ebenfalls genutzt werden können. In diesem Sinne braucht man sich um die deutsche Einheit keine Sorgen machen.