„Und dann gönne ich mir noch einen Lauf in der Hitze“
Nach ihrem Bronze-Coup peilt Gesa Krause Felicitas Olympia an – und vorher das, „was andere Leute Leben nennen“
Doha. Es war schon spät in der Nacht, da sagte Gesa Felicitas Krause einen Satz, der wie ein Scherz klang, den sie aber ganz ernst meinte: „Ich bin noch gar nicht draußen gelaufen, das gönne ich mir noch.“
Gönnen. Draußen. Im Dampfbad von Doha. Tagsüber herrschen bis zu 40 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 70 Prozent. Jeder andere versucht, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Doch Gesa Felicitas Krause ist nicht wie jeder andere. In dem auf 26 Grad heruntergekühlten Khalifa-Stadion war die 27-Jährige in Katars Hauptstadt zu WM-Bronze über 3000-Meter Hindernis gestürmt.
Nachdem es zunächst danach aussah, als würde sie Schwierigkeiten haben, mit der Verfolgergruppe der zeitig enteilten neuen Weltmeisterin Beatrice Chepkoech (Kenia/8:57,84 Minuten) mithalten zu können, schien die Glocke zur letzten Runde wie ein zweiter Startschuss gewesen zu sein. Sie überholte eine Läuferin nach der anderen. „Wenn ich merke, dass es der Konkurrenz schlechter geht als mir, spornt mich das an“, sagte Krause. Am Wassergraben, ihrer Spezialität, setzte sie die entscheidende Attacke. Die Euphorie trug sie ins Ziel: „Da gibt es kein Schmerzempfinden mehr.“Trainer Wolfgang Heinig nannte ihre Taktik „eine Meisterleistung“.
Nur die Zweitplatzierte Emma Coburn (9:02,35) aus den USA holte Krause (9:03,30) nicht mehr ein. Im Ziel lagen sich beide jubelnd in den Armen. Krause hatte ihre persönliche Bestzeit – gleichbedeutend mit dem deutschen Rekord – um knapp vier Sekunden verbessert und Deutschland die erste Medaille dieser WM beschert. „Das macht mich stolz und erfüllt mich mit Glück“, sagte sie. Sie stand in den unterkühlten Stadionkatakomben und hatte von der Ehrenrunde noch eine schwarz-rot-goldene Fahne um die Schultern, in die sie sich kuscheln konnte.
Die Medaille war der Lohn für einen langen Weg voller Entbehrungen. Gesa Felicitas Krause ist eine Mustersportlerin. Sie strotzt vor Selbstdisziplin. Vielleicht passt es ganz gut, dass die zierliche Frau mit der klaren Stimme Sportsoldatin ist. Seit Oktober hatte die Leichtathletin vom Verein Silvesterlauf Trier keinen freien Tag, sie trank keinen Tropfen Alkohol, Süßigkeiten rührte sie so gut wie gar nicht an. Ihr Zweitname hieße Askese, wäre er nicht schon Felicitas.
Nach ihrem Rennen sprach sie von Gummibärchen und einem Glas Wein, auf das sie sich freue. Abends trank sie ein Radler. Die Ekstase der Asketen. „Es ist schön, wenn man entscheiden kann, was der Geist gerade möchte und nicht, was der Körper gerade braucht.“Sie berichtete von dem Urlaub nach Griechenland, den sie nun mit ihrem Freund anstrebte – und die ersehnte Runde in der Hitze Katars. Ganz ohne Laufen geht es nicht. Viel zu tief sitzt ihre Leidenschaft, viel zu tief wohl auch der Hunger nach Erfolg.
Nachdem sie 2015 überraschend erstmals WM-Bronze geholt hatte, war sie 2017 in London leer ausgegangen. Sie wurde zur tragischen Heldin, stürzte über eine gefallene Kollegin und lief nach einer immensen Aufholjagd noch auf Platz neun.
Es folgte ein von Verletzungen geprägtes Jahr 2018 – an dessen Ende sie noch Europameisterin in Berlin geworden war. Für 2019 hatte sie dann einen klaren Plan, sie richtete alles darauf aus – und sie wurde belohnt.
Doch Gesa Krause wäre nicht Gesa Krause, wenn sie nicht schon einen Plan für das nächste Ziel hätte. Nach dem Urlaub geht es direkt in die Vorbereitung für Tokio 2020. „Eine olympische Medaille bleibt mein Traum. Auch dieser Weg wird schwer und lang. Die Konkurrenz ist stark. Doch daran will sie gerade nicht denken. Jetzt freue sie sich auf das, „was andere Leute Leben nennen“. Nein, Gesa Felicitas Krause ist keine wie jeder andere.