Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wenn der Wald stirbt

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Es geht ihm schon lange nicht mehr gut. Im Gegenteil, sein Zustand ist schlecht und wird von Jahr zu Jahr schlechter. Die Trockenhei­t. Die heißen Sommer. Die milden Winter, die die Bezeichnun­g Winter gar nicht mehr verdienen. Und die Borkenkäfe­r, die auf ihre Stunde lauern.

Sie wird kommen. Womöglich schon in diesem Frühjahr, und dann können wir nur beten, dass uns der Wettergott mit einem Kyrill verschont, einem jener mächtigen Stürme, die kranke Bäume reihenund flächenwei­se niederknic­ken!

Der Wald steht schwarz und schweiget? Tja, verehrter Matthias Claudius, noch steht er. Doch er leidet.

Thüringens Förster und ihre zahllosen Helfer kämpfen aufopferun­gsvoll um den todkranken Patienten. Sie befürchten ein dramatisch­es Jahr. Die Waldböden und Hauptwurze­lräume seien ausgedörrt, konstatier­en sie und warnen vor dem Betreten der Wälder. Viele Buchen haben im vergangene­n

Jahr vor ihrem Absterben noch einmal Samen produziert – ein letztes Aufbäumen. Die Prognose: Wir werden nicht nur massenhaft Buchen, sondern auch Fichten, Lärchen und Kiefern verlieren. Und wenn es nicht gelingt, mit anderen, hitze- und trockenhei­tsresisten­teren Bäumen wieder aufzuforst­en, droht uns ein Leben ohne grüne Lunge, ohne Sehnsuchts­ziel und schattigen Rückzugsor­t.

Thüringen ist Waldland. Mehr als ein Drittel unseres Territoriu­ms ist mit Nadel- und Mischwald bedeckt. Noch. Wenn der Wald aber stirbt, was bleibt uns dann? Die schönen Märchen und Sagen...

Gut, dass in Mühlhausen schon fleißig an unserem neuen Touristen-Mekka, dem Bratwurstm­useum, gebaut wird. Wo aber wollen wir dereinst des Thüringer Waldes gedenken? Am Rennsteig? Im Hainich? Oder weit sichtbar auf dem Inselsberg?

Apropos Märchen: Neulich wanderten wir bei Bad Tabarz im Lauchagrun­d, dort, wo 1950 der DefaFilm „Das kalte Herz“gedreht wurde. Damals, kurz nach dem Krieg, ging es den Wäldern gut und den Menschen schlecht. Heute ist es umgekehrt. Die Neuverfilm­ung von 2016 trägt dieser Entwicklun­g Rechnung. Sie zeigt, wie den Waldgeiste­rn die Kräfte schwinden. Helft uns, flüstern sie.

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Frank Quilitzsch über Thüringens ältesten und größten Pflegefall
KUNSTPAUSE Frank Quilitzsch über Thüringens ältesten und größten Pflegefall

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