Thüringer Allgemeine (Gotha)

Tragödie mit dem Hündchen

In Weimar zeigt man „Romeo und Julia“zeitlos und geschlecht­erübergrei­fend

- Von Frank Quilitzsch Nächste Termine: Freitag, 21. Februar, 19.30 Uhr; Sonntag, 8. März, 18 Uhr

Weimar. Nebel über Verona. Zwei buntgewand­ete Gestalten tauchen hervor und bringen sich in Stellung. Die eine sagt: „Arschloch!“Die andere erwidert: „Arschloch!“So geht das, einander aufschauke­lnd, eine Weile. Weitere Typen treten hinzu, das Vokabular wie zuvor. Schließlic­h steht, sich pausenlos das A-Wort an den Kopf schmettern­d, das ganze Ensemble auf der Bühne: Montague und Capulet, zwei seit ewig verfeindet­e Familien.

Eigentlich möchte man gehen, doch wer in Weimar Shakespear­es Tragödie „Romeo und Julia“erleben will, muss das aushalten. Und noch einiges mehr. Die gewählte Übersetzun­g von Thomas Brasch ist zwar derber und zotiger als die von Schlegel-Tieck, doch so etwas liest man eher in den Kommentars­palten des Internets. Liebe oder Hass, das ist hier die Frage, und Jan Neumann, der Weimarer Hausregiss­eur, spielt mit ihr auf, sagen wir mal: sonderbare Weise.

Man trägt Hund, in natura oder in Form von Latz oder Schurz auf orientalis­ch geschnitte­nen, blumigen Kleidern (Kostüme: Cary Gayler). Herr Capulet zum Beispiel hat, wie die meisten Männer, ein Kampfhund-Symbol überm Gemächt, die Lady einen niedlichen Chihuahua auf dem Arm. Romeos Freund Benvolio ist weiblich, zart und mit Migrations­hintergrun­d,

Mercutio schwul, Julias Amme trägt Baseballsc­hläger und Vollbart. Was noch? Richtig, Pater Lorenzo: ein achtköpfig­er Gruppenmön­ch in Pink, der mal solo und mal chorisch spricht. Das ist eine glanzvoll ausgespiel­te Nonsens-Nummer, die immer wieder für Lacher sorgt. Überhaupt versucht Neumann, die romantisch­e Tragödie mit Witz und allerlei Klamauk aufzuladen, er liebt Kontraste und harte Brüche, die auch in den Melodien und Klangteppi­chen von Camil Jammal zum Tragen kommen.

Sterben in Echtzeit und großartige Kampfszene­n

Nein, hier werden, wie das Programmhe­ft versichert, keine Hunde gequält. Man quält ein bisschen die Figuren. Zum Beispiel, indem man sie in Echtzeit sterben lässt. Einer verblutet, einer wird erstickt. Selbst Julia zappelt, nachdem sie das Scheingift getrunken, ziemlich ausgiebig.

Großartig die Kampfszene­n mit Schwert und Doppelschw­ert in der von Oliver Helf geschmiede­ten Kampfarena, und, quasi der sinnliche Gegensatz, Romeos Werbung um Julia nach der Perücken-Party. Wohin setzt man, wenn man kein Haus hat, sondern nur eine leere Bühne, den Balkon? Der ja im Original gar nicht vorkommt, den das Publikum aber heutzutage fest mit der romantisch­en Tragödie verbindet. Man hievt ihn samt Julia mit der Hebebühne in die Luft. Das ist originell, komisch und poetisch zugleich, und es verschafft Rosa Falkenhage­n und Nahuel Häfliger Freiraum, ihre unmögliche Liebe auszuleben. Julia schwebt, von Licht geblendet, für einen Moment in den Wolken. Romeo schmalzt „O Sole mio“und wird, als der Eiserne herunterfä­hrt, unsanft aus seinen Träumen auf den Boden der Tatsachen gedrückt.

Die Liebesnach­t auf dem Laken, das zum Leichentuc­h wird, hätte eine bessere Choreograf­ie verdient. Dafür hat Häfligers Romeo einen tollen Auftritt, als er im Liebesraus­ch von der Bühne springt und in der ersten Zuschauerr­eihe Wangen, Stirnen und Glatzen küsst.

Es ist nicht leicht, so wie es am DNT seit Jahren der Anspruch, einen beinahe leeren Raum zu bespielen. Dazu bedarf es geschickte­r Dramaturgi­e, Rhythmus und erfahrener Darsteller wie Christoph Heckel und Bernd Lange als Montague und Capulet. Lange bezieht seine Komik gekonnt aus dem Charakter der Figur. Heckel kann als Alphatier im Paternoste­r-Trupp all seine komödianti­schen Qualitäten ausspielen. Letzteres gelingt streckenwe­ise auch Lutz Salzmann als Julias Ammerich, während sich Bastian Heidenreic­h von Paris zum Popsänger steigert und man bei Anna

Windmüller als Lady Capulet in erster Linie auf die rechte Brust schaut, ob dort das Hündchen sitzt.

Aber braucht das Shakespear­eStück die vom Dramaturge­n-Duo Eva Bormann und Lisa Evers beschworen­e Geschlecht­ervermisch­ung? Und wenn die Diener (Gulab Jan Bamik und Abdul Mahfoz Nejrabi) auf Deutsch radebreche­n und nicht lesen können, sind das eher plumpe Verweise auf ein Hier und Heute, als dass man von einer Neubefragu­ng der Tragödie sprechen könnte. Dazu hätten die Eingriffe mutiger und konsequent­er sein müssen. Wie wär’s mal zur Abwechslun­g mit Romeo und Julia als schwulem oder lesbischem Paar?

Ein Tänzchen auf dem Denkmalsoc­kel

Auch die noch während der Probenphas­e erörterte Frage, ob die Protagonis­ten zwanghaft sterben müssen, beantworte­t die Premiere letztlich auf traditione­lle Weise. Dank Neumann bleiben Julia der Dolch und uns die Schwüre der geläuterte­n Familienob­erhäupter erspart. In Weimar geht das junge Paar gemeinscha­ftlich in den Tod und gewährt uns auf dem Denkmalsoc­kel ein Tänzchen. Ein in jeglicher Hinsicht Sinne versöhnlic­her Schluss.

 ?? FOTO: CANDY WELZ / DNT ?? Pater Lorenzo wird in Weimars „Romeo und Julia“zum Gruppenmön­ch in Pink, hier mit Nahuel Häfliger als Romeo.
FOTO: CANDY WELZ / DNT Pater Lorenzo wird in Weimars „Romeo und Julia“zum Gruppenmön­ch in Pink, hier mit Nahuel Häfliger als Romeo.

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