Tragödie mit dem Hündchen
In Weimar zeigt man „Romeo und Julia“zeitlos und geschlechterübergreifend
Weimar. Nebel über Verona. Zwei buntgewandete Gestalten tauchen hervor und bringen sich in Stellung. Die eine sagt: „Arschloch!“Die andere erwidert: „Arschloch!“So geht das, einander aufschaukelnd, eine Weile. Weitere Typen treten hinzu, das Vokabular wie zuvor. Schließlich steht, sich pausenlos das A-Wort an den Kopf schmetternd, das ganze Ensemble auf der Bühne: Montague und Capulet, zwei seit ewig verfeindete Familien.
Eigentlich möchte man gehen, doch wer in Weimar Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“erleben will, muss das aushalten. Und noch einiges mehr. Die gewählte Übersetzung von Thomas Brasch ist zwar derber und zotiger als die von Schlegel-Tieck, doch so etwas liest man eher in den Kommentarspalten des Internets. Liebe oder Hass, das ist hier die Frage, und Jan Neumann, der Weimarer Hausregisseur, spielt mit ihr auf, sagen wir mal: sonderbare Weise.
Man trägt Hund, in natura oder in Form von Latz oder Schurz auf orientalisch geschnittenen, blumigen Kleidern (Kostüme: Cary Gayler). Herr Capulet zum Beispiel hat, wie die meisten Männer, ein Kampfhund-Symbol überm Gemächt, die Lady einen niedlichen Chihuahua auf dem Arm. Romeos Freund Benvolio ist weiblich, zart und mit Migrationshintergrund,
Mercutio schwul, Julias Amme trägt Baseballschläger und Vollbart. Was noch? Richtig, Pater Lorenzo: ein achtköpfiger Gruppenmönch in Pink, der mal solo und mal chorisch spricht. Das ist eine glanzvoll ausgespielte Nonsens-Nummer, die immer wieder für Lacher sorgt. Überhaupt versucht Neumann, die romantische Tragödie mit Witz und allerlei Klamauk aufzuladen, er liebt Kontraste und harte Brüche, die auch in den Melodien und Klangteppichen von Camil Jammal zum Tragen kommen.
Sterben in Echtzeit und großartige Kampfszenen
Nein, hier werden, wie das Programmheft versichert, keine Hunde gequält. Man quält ein bisschen die Figuren. Zum Beispiel, indem man sie in Echtzeit sterben lässt. Einer verblutet, einer wird erstickt. Selbst Julia zappelt, nachdem sie das Scheingift getrunken, ziemlich ausgiebig.
Großartig die Kampfszenen mit Schwert und Doppelschwert in der von Oliver Helf geschmiedeten Kampfarena, und, quasi der sinnliche Gegensatz, Romeos Werbung um Julia nach der Perücken-Party. Wohin setzt man, wenn man kein Haus hat, sondern nur eine leere Bühne, den Balkon? Der ja im Original gar nicht vorkommt, den das Publikum aber heutzutage fest mit der romantischen Tragödie verbindet. Man hievt ihn samt Julia mit der Hebebühne in die Luft. Das ist originell, komisch und poetisch zugleich, und es verschafft Rosa Falkenhagen und Nahuel Häfliger Freiraum, ihre unmögliche Liebe auszuleben. Julia schwebt, von Licht geblendet, für einen Moment in den Wolken. Romeo schmalzt „O Sole mio“und wird, als der Eiserne herunterfährt, unsanft aus seinen Träumen auf den Boden der Tatsachen gedrückt.
Die Liebesnacht auf dem Laken, das zum Leichentuch wird, hätte eine bessere Choreografie verdient. Dafür hat Häfligers Romeo einen tollen Auftritt, als er im Liebesrausch von der Bühne springt und in der ersten Zuschauerreihe Wangen, Stirnen und Glatzen küsst.
Es ist nicht leicht, so wie es am DNT seit Jahren der Anspruch, einen beinahe leeren Raum zu bespielen. Dazu bedarf es geschickter Dramaturgie, Rhythmus und erfahrener Darsteller wie Christoph Heckel und Bernd Lange als Montague und Capulet. Lange bezieht seine Komik gekonnt aus dem Charakter der Figur. Heckel kann als Alphatier im Paternoster-Trupp all seine komödiantischen Qualitäten ausspielen. Letzteres gelingt streckenweise auch Lutz Salzmann als Julias Ammerich, während sich Bastian Heidenreich von Paris zum Popsänger steigert und man bei Anna
Windmüller als Lady Capulet in erster Linie auf die rechte Brust schaut, ob dort das Hündchen sitzt.
Aber braucht das ShakespeareStück die vom Dramaturgen-Duo Eva Bormann und Lisa Evers beschworene Geschlechtervermischung? Und wenn die Diener (Gulab Jan Bamik und Abdul Mahfoz Nejrabi) auf Deutsch radebrechen und nicht lesen können, sind das eher plumpe Verweise auf ein Hier und Heute, als dass man von einer Neubefragung der Tragödie sprechen könnte. Dazu hätten die Eingriffe mutiger und konsequenter sein müssen. Wie wär’s mal zur Abwechslung mit Romeo und Julia als schwulem oder lesbischem Paar?
Ein Tänzchen auf dem Denkmalsockel
Auch die noch während der Probenphase erörterte Frage, ob die Protagonisten zwanghaft sterben müssen, beantwortet die Premiere letztlich auf traditionelle Weise. Dank Neumann bleiben Julia der Dolch und uns die Schwüre der geläuterten Familienoberhäupter erspart. In Weimar geht das junge Paar gemeinschaftlich in den Tod und gewährt uns auf dem Denkmalsockel ein Tänzchen. Ein in jeglicher Hinsicht Sinne versöhnlicher Schluss.