Der Kampf gegen billige Lebensmittel
Die Kanzlerin spricht mit Lidl, Aldi, Rewe und Edeka über eine bessere Bezahlung der Bauern. Vergebens?
Berlin. Die Forderungen der Bauern sind eindeutig. „Essen verdient einen fairen Preis“, „Billigfleisch kostet uns die Zukunft“oder „Faire Agrarpolitik statt Bauernmilliarde“steht auf Plakaten der rund 50 Landwirte und Umweltschützer, die am Montagmorgen vor dem Kanzleramt für höhere Lebensmittelpreise demonstrieren. Der Anlass: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Vertreter der großen Lebensmittelkonzerne Aldi, Lidl, Rewe und Edeka sowie der Handelsverbände eingeladen, um mit ihnen über ihre teils unfairen Geschäftsbeziehungen zu den Bauern und über mehr Wertschätzung für Lebensmittel zu sprechen. Die Kanzlerin betonte das „gemeinsame Interesse an einer starken regionalen Versorgung unserer Bevölkerung mit einheimischen Produkten“, schloss staatlich verordnete Mindestpreise aber aus.
Wo liegt das Problem?
Der Lebensmittelmarkt in Deutschland wird von vier großen Anbietern dominiert: Die Discounter Aldi und Lidl sowie die Supermarktketten Rewe und Edeka beherrschen zusammen 85 Prozent des Marktes. Damit haben sie eine große Einkaufsmacht. Die „großen vier“bestimmen, welche Lebensmittel in den Regalen ihrer Filialen landen und welche nicht. Beim Einkauf verhandeln die Handelsketten, zu welchen Preisen und Bedingungen sie gewillt sind, Produkte von Lebensmittelherstellern einzukaufen. Hierbei können selbst große Konzerne wie Coca-Cola oder Nestlé unter Preisdruck geraten. Diesen Druck geben sie an die Erzeuger weiter. Die Landwirte sind in den Handelsketten dabei als letztes Glied in der schwächsten Position.
Wie unfair werden die Bauern behandelt?
Bauern, die ihre Lebensmittel direkt an Supermärkte verkaufen, machen nicht selten die Erfahrung, dass die Lebensmittelhändler plötzlich Bestellungen für Obst oder Gemüse stornieren oder ändern. So bekommen die Landwirte per Fax oder Mail frühmorgens mitgeteilt, dass sie nur noch 15 Paletten Kopfsalat liefern sollen statt 30, wie tags zuvor noch vereinbart wurde, berichtet Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) an der Runde teilnahm: „Dann kann der Bauer die anderen Paletten wegschmeißen“, sagt sie. Im besten Fall findet der Bauer noch einen Abnehmer, doch der zahlt oft nur einen deutlich geringeren Preis. Dies ist eine von vielen unlauteren Praktiken. Manche Bauern müssen sich auch an Werbemaßnahmen der Filialen beteiligen.
Was wurde konkret vereinbart?
Die Bundesregierung will verstärkt gegen unfaire Handelspraktiken zwischen Handel und Herstellern sowie Erzeugern vorgehen. Dies soll vor allem über die Umsetzung einer neuen EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP) erfolgen. Deren Umsetzung in deutsches Recht soll nicht bis April 2021 warten, sondern bereits „sehr schnell“erfolgen, sagte Klöckner. Dies sei wichtig, um die Bauern vor Preisdruck zu schützen und auf Augenhöhe mit dem Handel zu bringen. Außerdem soll eine Beschwerdestelle für unlautere Handelspraktiken eingerichtet werden, wo Bauern Dumpingpreise des Handels melden können, ohne befürchten zu müssen, dass sie aus der Lieferantenliste gestrichen werden. Geplant ist darüber hinaus eine Untersuchung zur Marktmacht in der Lebensmittelbranche. Das rund 90-minütige Gespräch sei „intensiv, lebhaft, klar, deutlich und fair“verlaufen, sagte die Landwirtschaftsministerin. Ein neues Gesetz wurde aber nicht auf den Weg gebracht.
„Diese Runde war ein erster wichtiger Schritt, aber weitere müssen folgen.“Joachim Rukwied, Bauernpräsident
Kann die neue EU-Richtlinie den Bauern helfen?
Die Verhandlungsposition der Bauern ist in fast allen EU-Ländern eher schwach. Überall stehen sie der Marktmacht großer Unternehmen gegenüber. Verschärft wird ihre Lage dadurch, dass sie viele Waren handeln, die verderben können. Um die Landwirte besser zu schützen, sollen bestimmte Handelspraktiken gegenüber Erzeugern untersagt werden, die einen Jahresumsatz von bis zu 350 Millionen Euro erzielen. Darunter fällt die Mehrzahl der Bauern. Konkret sollen kurzfristige Stornierungen von Bestellungen verboten werden. Zudem müssen verderbliche Waren spätestens 30 Tage nach der Lieferung bezahlt werden, andere Lebensmittelerzeugnisse nach 60 Tagen. Erzeuger sollen das Recht auf eine schriftliche Bestätigung der Liefervereinbarung erhalten. Sobald die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird, steht laut Klöckner fest: „Wer sich nicht daran hält, muss mit Bußgeldern rechnen.“
Sind Händler zu weiteren Zugeständnissen bereit?
Einige Handelsunternehmen wollen sich laut Landwirtschaftsministerin Klöckner darüber hinaus noch selbst dazu verpflichten, weitere kritische Handelspraktiken zu vermeiden, die laut EU-Richtlinie nach Absprache eigentlich noch erlaubt sind. So sollen Bauern dem Handel nicht mehr Geld zahlen müssen, damit ihre Produkte gelistet, vermarktet oder beworben werden. Außerdem darf der Handel unverkaufte Produkte nicht mehr ohne Bezahlung an den Lieferanten zurückgeben.
Wie bewertet der Handel den Gipfel?
Aldi wertete das Gespräch als „guten
und offenen Austausch“. Der Discounter distanzierte sich ausdrücklich von unlauteren Geschäftspraktiken. Die UTP-Auflagen würde das Unternehmen seit Jahren einhalten. Rewe-Chef Lionel Souque will künftig die Partnerschaften mit lokalen Erzeugern ausbauen. Er unterstrich, dass gerade Verbraucher mit geringeren Einkommen von günstigen Lebensmitteln profitierten. Edeka setzt nach eigenen Angaben auf „faire und langfristige Beziehungen zur Landwirtschaft“und bietet „gerade lokalen Herstellern sehr gute Absatzchancen“. Staatliche Eingriffe bei der Preisgestaltung lehnt der Präsident des Handelsverbands Deutschland ab: „Einschränkungen der Preissetzungsfreiheit sind grundsätzlich immer zum Nachteil der Verbraucher und führen zu höheren Preisen.“
Was sagen die Bauern?
Bauernpräsident Joachim Rukwied will weitere Gespräche. „Diese Runde war ein erster wichtiger Schritt, aber weitere müssen folgen. Dabei müssen unbedingt die Landwirte mit an den Tisch“, sagte er unserer Redaktion. Man dürfe nicht bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken stehen bleiben. Diese habe Lücken, die viele Probleme ungelöst lassen. „Qualität, Regionalität und hohe Standards müssen angemessen honoriert werden. Dazu braucht die Erzeugerseite eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe, die auch kartellrechtlich abgesichert ist.“