Stoff für den Schulaufsatz
In Eisenach geben sie „Kabale und Liebe“– engagiert, doch ohne überzeugendes Konzept
Eisenach. Da sitzt sie schon: Luise Miller. Sehr stark, sehr verletzlich, ganz bei sich. Auf dem Klavier spielt sie Herbert Grönemeyers „Männer“-Hymne und singt dazu ihren eigenen Text: „Ferdinand ist auf dieser Welt einfach unersetzlich.“Währenddessen klettert der Angebetete mühelos über die Mauer wie über Standesgrenzen und ist bei ihr. Sie umarmen sich, sie küssen sich. Die süße Spur der Liebe ist gelegt.
Mit dieser poetischen, humorvollen Szene, die auch daran erinnert, dass Friedrich Schiller ursprünglich Luise zur Titelfigur seines bürgerlichen Trauerspiels machte, beginnt Christine Hofers Inszenierung von „Kabale und Liebe“, die am Samstagabend im Landestheater Eisenach Premiere hatte.
Aber was wird dann aus diesem fast 240 Jahre alten Bühnenstück? Mehr Liebe? Mehr Kabale? Ein Familiendrama anno 2020? Ein Trauerspiel über den Klassenkampf? Oder etwas ganz anderes? Um es kurz zu machen: Das Publikum erfährt es bis zum Schluss nicht; eine überzeugende künstlerische Konzeption fehlt.
Für seine Bühne hat Dirk Seesemann verschiebbare Wände ersonnen, sodass das Geschehen umstandslos zwischen Millers guter Stube, dem Saal des Präsidenten und den Gemächern der Lady Milford wechseln kann. Orte auch, an denen sich die Handelnden verstecken, verstellen und eitel selbst bespiegeln können, auf dass die Kabale ihren Lauf nehme.
Luise liebt Ferdinand, Ferdinand liebt Luise. Wurm, der Sekretär des Präsidenten, will Luise, kann sie aber nicht haben. Der Präsident will seine Macht am Hof ausbauen und deshalb seinen Sohn Ferdinand mit der Geliebten des Fürsten, Lady Milford, verheiraten. Wurm und der Präsident brauchen für ihre Pläne den Hofmarschall.
Für ihre Textfassung hat Christine Hofer Szenen gekürzt, um einige Einschübe aus der Gegenwartssprache
ergänzt und nur Frau Miller gestrichen. Musikus Miller braucht seine Tochter Luise für sich allein.
Alexander Beisel gibt als Präsident den kalten Machtmenschen, Michael Naroditski als Wurm den Herrendiener und Intriganten, Roman Kimmich als Hofmarschall den dämlichen Lackaffen – alle drei Anzugträger und gegen Miller (Michael J. Mayer), der in Pullunder und Hemd auftritt, abgesetzt. Es ist nur, als ob sie ihren Text gleichsam vor sich hertragen und dieser alles leisten muss, was wiederum für Schiller spricht. Aber sie spielen kaum.
Dass das möglich sein kann, scheint auf, als Lady Milford (Constanze Aimée Feulner) Ferdinand sich in der Badewanne räkelnd empfängt und ihn später mit einem
Tanz zu reizen versucht. Einzig Luise und Ferdinand ragen heraus, was aber viel mit der Anlage ihrer Figuren zu tun haben mag. Die beiden dürfen in einem breiten Gefühlsspektrum zwischen Euphorie und Verzweiflung, Zorn und Ohnmacht, Stärke und Demütigung agieren. Oska Melina Borcherding ist eine Luise mit blondem Strubbelkopf, in schwarzer Lederjacke, rotem Rock und schwarzen Boots. Eine Rebellin, die die Liebe und den Tod schon in sich trägt. Christoph Rabenecks Ferdinand gibt einen zärtlich liebenden Jüngling, der zwischen Luise und den Karriereplänen seines Vaters steht.
Die tödliche Katastrophe ereignet sich also; Luise und Ferdinand trinken die von ihm vergiftete Limonade. Danach werden, anders als bei Schiller, der Präsident und Wurm nicht von Gerichtsdienern abgeführt. Neben den Leichen der Liebenden spricht Wurm die Schlussworte. Er fragt, wie man in einer Welt, die voller Schuld ist, als Einzelner unschuldig bleiben könne; dann wird diese Frage auf eine Wand projiziert.
Hier ist nun, so begreifen die Zuschauer, der Punkt erreicht, an dem das Theatererlebnis in den Deutschunterricht überführt werden kann. Ein passables Thema für irgendeinen Schulaufsatz mag es allemal hergeben. Was aber hat das mit Schillers „Kabale und Liebe“und was mit dem zuvor auf der Bühne Gesehenen zu tun?
Viele Fragen bleiben offen.