Thüringer Allgemeine (Gotha)

Stoff für den Schulaufsa­tz

In Eisenach geben sie „Kabale und Liebe“– engagiert, doch ohne überzeugen­des Konzept

- Von Christina Onnasch Nächste Vorstellun­g: Samstag, 8.2.

Eisenach. Da sitzt sie schon: Luise Miller. Sehr stark, sehr verletzlic­h, ganz bei sich. Auf dem Klavier spielt sie Herbert Grönemeyer­s „Männer“-Hymne und singt dazu ihren eigenen Text: „Ferdinand ist auf dieser Welt einfach unersetzli­ch.“Währenddes­sen klettert der Angebetete mühelos über die Mauer wie über Standesgre­nzen und ist bei ihr. Sie umarmen sich, sie küssen sich. Die süße Spur der Liebe ist gelegt.

Mit dieser poetischen, humorvolle­n Szene, die auch daran erinnert, dass Friedrich Schiller ursprüngli­ch Luise zur Titelfigur seines bürgerlich­en Trauerspie­ls machte, beginnt Christine Hofers Inszenieru­ng von „Kabale und Liebe“, die am Samstagabe­nd im Landesthea­ter Eisenach Premiere hatte.

Aber was wird dann aus diesem fast 240 Jahre alten Bühnenstüc­k? Mehr Liebe? Mehr Kabale? Ein Familiendr­ama anno 2020? Ein Trauerspie­l über den Klassenkam­pf? Oder etwas ganz anderes? Um es kurz zu machen: Das Publikum erfährt es bis zum Schluss nicht; eine überzeugen­de künstleris­che Konzeption fehlt.

Für seine Bühne hat Dirk Seesemann verschiebb­are Wände ersonnen, sodass das Geschehen umstandslo­s zwischen Millers guter Stube, dem Saal des Präsidente­n und den Gemächern der Lady Milford wechseln kann. Orte auch, an denen sich die Handelnden verstecken, verstellen und eitel selbst bespiegeln können, auf dass die Kabale ihren Lauf nehme.

Luise liebt Ferdinand, Ferdinand liebt Luise. Wurm, der Sekretär des Präsidente­n, will Luise, kann sie aber nicht haben. Der Präsident will seine Macht am Hof ausbauen und deshalb seinen Sohn Ferdinand mit der Geliebten des Fürsten, Lady Milford, verheirate­n. Wurm und der Präsident brauchen für ihre Pläne den Hofmarscha­ll.

Für ihre Textfassun­g hat Christine Hofer Szenen gekürzt, um einige Einschübe aus der Gegenwarts­sprache

ergänzt und nur Frau Miller gestrichen. Musikus Miller braucht seine Tochter Luise für sich allein.

Alexander Beisel gibt als Präsident den kalten Machtmensc­hen, Michael Naroditski als Wurm den Herrendien­er und Intrigante­n, Roman Kimmich als Hofmarscha­ll den dämlichen Lackaffen – alle drei Anzugträge­r und gegen Miller (Michael J. Mayer), der in Pullunder und Hemd auftritt, abgesetzt. Es ist nur, als ob sie ihren Text gleichsam vor sich hertragen und dieser alles leisten muss, was wiederum für Schiller spricht. Aber sie spielen kaum.

Dass das möglich sein kann, scheint auf, als Lady Milford (Constanze Aimée Feulner) Ferdinand sich in der Badewanne räkelnd empfängt und ihn später mit einem

Tanz zu reizen versucht. Einzig Luise und Ferdinand ragen heraus, was aber viel mit der Anlage ihrer Figuren zu tun haben mag. Die beiden dürfen in einem breiten Gefühlsspe­ktrum zwischen Euphorie und Verzweiflu­ng, Zorn und Ohnmacht, Stärke und Demütigung agieren. Oska Melina Borcherdin­g ist eine Luise mit blondem Strubbelko­pf, in schwarzer Lederjacke, rotem Rock und schwarzen Boots. Eine Rebellin, die die Liebe und den Tod schon in sich trägt. Christoph Rabenecks Ferdinand gibt einen zärtlich liebenden Jüngling, der zwischen Luise und den Karrierepl­änen seines Vaters steht.

Die tödliche Katastroph­e ereignet sich also; Luise und Ferdinand trinken die von ihm vergiftete Limonade. Danach werden, anders als bei Schiller, der Präsident und Wurm nicht von Gerichtsdi­enern abgeführt. Neben den Leichen der Liebenden spricht Wurm die Schlusswor­te. Er fragt, wie man in einer Welt, die voller Schuld ist, als Einzelner unschuldig bleiben könne; dann wird diese Frage auf eine Wand projiziert.

Hier ist nun, so begreifen die Zuschauer, der Punkt erreicht, an dem das Theatererl­ebnis in den Deutschunt­erricht überführt werden kann. Ein passables Thema für irgendeine­n Schulaufsa­tz mag es allemal hergeben. Was aber hat das mit Schillers „Kabale und Liebe“und was mit dem zuvor auf der Bühne Gesehenen zu tun?

Viele Fragen bleiben offen.

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FOTO: TOBIAS KROMKE/THEATER EISENACH Auf Leben und Tod: Oska Melina Borcherdin­g als Luise und Christoph Rabeneck als Ferdinand in „Kabale und Liebe“.

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