Die Moderne in der Provinz
Neue Ausstellung porträtiert zehn Gothaer Persönlichkeiten aus der Weimarer Republik
Gotha. Zehn Persönlichkeiten, die in der Weimarer Republik in Gotha von Bedeutung waren: Das war die klare Aufgabenstellung, die von der Sparkassen-Kulturstiftung HessenThüringen in Kooperation mit dem Verein Weimarer Republik in Thüringen ausging.
Judy Slivi und Matthias Wenzel nahmen sich ihrer an, wobei sie nicht an Persönlichkeiten vorbeikamen, die auch heute noch fest im öffentlichen Bewusstsein der Stadt verankert sind. Allerdings rückte das Duo gleichzeitig Menschen in den Fokus, deren Leistungen von damals weitgehend vergessen sind.
Chinesische Literatur ins Deutsche übersetzt
Judy Slivi nennt zum Beispiel Otto Kibat, der von 1919 bis 1923 in Gotha wirkte und ab 1927 erneut bis zu seinem Tod 1956 dort lebte. „Das ist eine schillernde Gestalt, die mich als Archäologin und Indologin ganz besonders fasziniert. Er leistete seinen Militärdienst im dritten Seebatallion Tsingtau ab. Das beeinflusste ihn so sehr, dass er chinesische Sprache und Schrift studierte. 1919 wurde er, wie alle Deutschen, aus China ausgewiesen. In Jena beendete er seine juristische Ausbildung und ließ sich als Anwalt in Gotha nieder“, erzählt sie. Davon konnte er seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend bestreiten. Er ging zurück nach China, um ab 1927 endgültig seine Heimat in Gotha zu finden. Gemeinsam mit seinem Bruder Artur übersetze er „Djin Ping Meh“, einen Sittenroman, der die Zeit der Song-Dynastie widerspiegelt. Er zählt zu den großen Meisterwerken der chinesischen Literatur. Als erklärter Feind der Nazis ließ er sich 1929 nicht locken, als ihm für eine NSDAP-Mitgliedschaft alle Rechtssachen der Stadtsparbank und der Partei versprochen wurden.
Als nicht minder schillernde Figur tritt Fritz Noack ins Licht, der von 1919 bis 1933 in Gotha wirkte. Als Kreisarzt oblag es ihm, die mehr als 80 Menschen zu obduzieren, die im Kapp-Putsch ihr Leben verloren hatten. Noack war überzeugter Zionist, SPD-Mitglied und hielt Lehrkurse für die Mitglieder des Arbeiter-Samariter-Bundes. Seine Wohnung in der Friedrich-Jacobs-Straße war das Zentrum der zionistischen Jugendbewegung im Raum Gotha.
Schon früh geriet Curt Stickrodt – in Gotha von 1918 bis 1924 und von 1931 bis 1933 – bei seinem zweiten Aufenthalt mit dem Gothaer Theaterbeirat aneinander. Dieser, von NSDAP-Mitgliedern dominiert, bedrängte den Intendanten, kein ausländisches und vor allem kein sogenanntes rassefremdes Personal zu beschäftigen. Weil er Stücke jüdischer Autoren inszenierte, sah er sich ebenfalls harscher Kritik ausgesetzt.
Weiterhin porträtiert die Ausstellung den dreimaligen Alterspräsidenten des Reichstages, Wilhelm Bock, die Gestalterin Marianne Brandt, den Rechtsanwalt Leo Gutmann, die Stadtverordnetentochter Eva Knapp, den Schriftsteller Herman Anders Krüger, die Biologin und Embryologin Hilde Mangold, das Künstlerehepaar Vetter und die Gothaer Künstlervereinigung Die Garbe.
Eröffnet wird die Ausstellung morgen Abend im Gothaer Tivoli. Ab 18.30 Uhr tragen der Gothaer Stadthistoriker Alexander Krünes, die Soziologin Judy Slivi und Michael Grisko von der SparkassenKulturstiftung Texte zu den genannten Persönlichkeiten vor. Zudem kann die Ausstellung zu Gothaer Frauen in der Weimarer Republik „Nur 100 Jahre – die Aktualität von Frauenwahlrecht und Frauenpolitik in Gotha“besichtigt werden.