Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Moderne in der Provinz

Neue Ausstellun­g porträtier­t zehn Gothaer Persönlich­keiten aus der Weimarer Republik

- Von Klaus-Dieter Simmen Vernissage der Ausstellun­g über Gothaer Persönlich­keiten in der Weimarer Republik am Mittwoch, 5. Februar, ab 18.30 in der Gedenkstät­te Tivoli, Am Tivoli 3 in Gotha

Gotha. Zehn Persönlich­keiten, die in der Weimarer Republik in Gotha von Bedeutung waren: Das war die klare Aufgabenst­ellung, die von der Sparkassen-Kulturstif­tung HessenThür­ingen in Kooperatio­n mit dem Verein Weimarer Republik in Thüringen ausging.

Judy Slivi und Matthias Wenzel nahmen sich ihrer an, wobei sie nicht an Persönlich­keiten vorbeikame­n, die auch heute noch fest im öffentlich­en Bewusstsei­n der Stadt verankert sind. Allerdings rückte das Duo gleichzeit­ig Menschen in den Fokus, deren Leistungen von damals weitgehend vergessen sind.

Chinesisch­e Literatur ins Deutsche übersetzt

Judy Slivi nennt zum Beispiel Otto Kibat, der von 1919 bis 1923 in Gotha wirkte und ab 1927 erneut bis zu seinem Tod 1956 dort lebte. „Das ist eine schillernd­e Gestalt, die mich als Archäologi­n und Indologin ganz besonders fasziniert. Er leistete seinen Militärdie­nst im dritten Seebatalli­on Tsingtau ab. Das beeinfluss­te ihn so sehr, dass er chinesisch­e Sprache und Schrift studierte. 1919 wurde er, wie alle Deutschen, aus China ausgewiese­n. In Jena beendete er seine juristisch­e Ausbildung und ließ sich als Anwalt in Gotha nieder“, erzählt sie. Davon konnte er seinen Lebensunte­rhalt nicht ausreichen­d bestreiten. Er ging zurück nach China, um ab 1927 endgültig seine Heimat in Gotha zu finden. Gemeinsam mit seinem Bruder Artur übersetze er „Djin Ping Meh“, einen Sittenroma­n, der die Zeit der Song-Dynastie widerspieg­elt. Er zählt zu den großen Meisterwer­ken der chinesisch­en Literatur. Als erklärter Feind der Nazis ließ er sich 1929 nicht locken, als ihm für eine NSDAP-Mitgliedsc­haft alle Rechtssach­en der Stadtsparb­ank und der Partei versproche­n wurden.

Als nicht minder schillernd­e Figur tritt Fritz Noack ins Licht, der von 1919 bis 1933 in Gotha wirkte. Als Kreisarzt oblag es ihm, die mehr als 80 Menschen zu obduzieren, die im Kapp-Putsch ihr Leben verloren hatten. Noack war überzeugte­r Zionist, SPD-Mitglied und hielt Lehrkurse für die Mitglieder des Arbeiter-Samariter-Bundes. Seine Wohnung in der Friedrich-Jacobs-Straße war das Zentrum der zionistisc­hen Jugendbewe­gung im Raum Gotha.

Schon früh geriet Curt Stickrodt – in Gotha von 1918 bis 1924 und von 1931 bis 1933 – bei seinem zweiten Aufenthalt mit dem Gothaer Theaterbei­rat aneinander. Dieser, von NSDAP-Mitglieder­n dominiert, bedrängte den Intendante­n, kein ausländisc­hes und vor allem kein sogenannte­s rassefremd­es Personal zu beschäftig­en. Weil er Stücke jüdischer Autoren inszeniert­e, sah er sich ebenfalls harscher Kritik ausgesetzt.

Weiterhin porträtier­t die Ausstellun­g den dreimalige­n Alterspräs­identen des Reichstage­s, Wilhelm Bock, die Gestalteri­n Marianne Brandt, den Rechtsanwa­lt Leo Gutmann, die Stadtveror­dnetentoch­ter Eva Knapp, den Schriftste­ller Herman Anders Krüger, die Biologin und Embryologi­n Hilde Mangold, das Künstlereh­epaar Vetter und die Gothaer Künstlerve­reinigung Die Garbe.

Eröffnet wird die Ausstellun­g morgen Abend im Gothaer Tivoli. Ab 18.30 Uhr tragen der Gothaer Stadthisto­riker Alexander Krünes, die Soziologin Judy Slivi und Michael Grisko von der Sparkassen­Kulturstif­tung Texte zu den genannten Persönlich­keiten vor. Zudem kann die Ausstellun­g zu Gothaer Frauen in der Weimarer Republik „Nur 100 Jahre – die Aktualität von Frauenwahl­recht und Frauenpoli­tik in Gotha“besichtigt werden.

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ARCHIV-FOTO: ARND HARTMANN Im Tivoli werden zehn bedeutende Männer und Frauen aus Gotha und ihr Wirken in der Weimarer Republik vorgestell­t.

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