Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Niemand kann sich mehr verabschie­den“

Ein Brief aus dem norditalie­nischen Bergamo gegen den tödlichen Leichtsinn im Umgang mit dem Coronaviru­s

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Berlin. Birgit und Cesare Bortoluzzi leben in Bayern, sind aber derzeit in Norditalie­n bei Verwandten. Das Paar schrieb uns einen dramatisch­en Appell aus der besonders stark vom Coronaviru­s betroffene­n Stadt Bergamo:

„Vielleicht kennen Sie die wunderschö­ne ‚Città Alta‘ auf dem Hügel, der zu den letzten Ausläufern der Alpen gehört. Die letzte Schlacht, die Bergamo schlagen musste, war im April 1945, als die Stadt durch die Alliierten und italienisc­he Partisanen erobert wurde. Wir schreiben den 19. März 2020, und der übermächti­ge unsichtbar­e Gegner heißt Covid-19. (...) Allein nur an einem Tag (18. März) sind dort 319 Menschen diesem übermächti­gen Feind zum Opfer gefallen. 118 Ärzte sind derzeit infiziert, und die Ärzte vor Ort müssen entscheide­n, wer überleben darf, abhängig von Alter und Vorerkrank­ungen. (...)

Wir verfolgen auch von hier sehr intensiv die Medien in Deutschlan­d und waren sehr erschrocke­n, wie unbeschwer­t noch viele Menschen dicht an dicht das traumhafte Wochenendw­etter genutzt haben, ohne Abstände, ohne jegliche Schutzmaßn­ahmen, und als wir dann noch von Corona-Partys gelesen haben, waren wir einfach nur noch gedem schockt. Uns sind bei diesen Bildern die Tränen gekommen, denn Covid-19 wird sich noch ganz andere Schauplätz­e als Bergamo suchen. Bitte, bitte versucht so gut es geht Motto zu folgen ‚ich bleibe zu Hause‘. (...)

Vielleicht haben Sie die Bilder von gestern noch nicht gesehen, wie im Zentrum von Bergamo eine lange Kolonne von 70 Militärfah­rzeugen (!) am Borgo Palazzo hält, nur wenige Hundert Meter vom Friedhof entfernt. Entschuldi­gung, aber ich muss gerade wieder weinen, denn sie bringen Särge für die Krematorie­n, da die Leichenhal­le seit Tagen nicht mehr in der Lage ist, die Opfer von Covid-19 aufzunehme­n.

Gestern gab es im Fernsehen Fotos von Papst Franziskus mit Worten und Gebeten für Bergamo. (...) Er war nicht nur tief betroffen über die sehr vielen Toten, sondern auch darüber, dass all die Familien keine Chance haben, sich von den Toten zu verabschie­den. Sie werden einfach weggebrach­t, niemand kann sich mehr verabschie­den, weder auf Intensivst­ationen noch auf Palliativs­tationen.(...)

Wir wünschen allen von ganzem Herzen Gesundheit und viel Kraft im Kampf gegen Covid-19, dem unsichtbar­en und übermächti­gen ‚Feind‘ – wir sind fest davon überzeugt, dass wir ihn gewinnen können, wenn wir alle mitmachen. Darauf kommt es im Jetzt, Heute und Hier an. Bitte seid dabei!

Birgit und Cesare Bortoluzzi“

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FOTO: DPA/PA Militärlas­ter bringen in Bergamo Tote zum Krematoriu­m.

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