Geht der Dieselskandal in die zweite Runde?
VW einigt sich mit über 200.000 Kunden in Musterfeststellungsklage. Auch neue Motoren beschäftigen Gerichte
Berlin. Für über 200.000 VW-Fahrer in Deutschland ist am 5. Mai Zahltag. Ab dann überweist Volkswagen die versprochenen Entschädigungen im Dieselskandal. Darauf hatte sich der Wolfsburger Konzern im Vergleich zur Musterfeststellungsklage mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) geeinigt. Es geht um den 2015 aufgedeckten millionenfachen Abgasbetrug mit dem Skandalmotor EA189, der nur auf dem Prüfstand sauber arbeitet.
Verbraucherschützer Klaus Müller ist zufrieden mit dem Ergebnis. „Es ist das erste Mal, dass Verbraucher sich in einem Massenverfahren dieser Größenordnung gemeinsam gegen einen Betrug zur Wehr setzen konnten“, sagt der vzbvChef. Verbraucher, die den Vergleich nicht annehmen wollen, können in Einzelverfahren weiter gegen VW klagen. „Wer weniger Risiko eingehen möchte, kann den Vergleich annehmen.“
Dazu haben die VW-Kunden, die sich zur Musterfeststellungsklage angemeldet hatten, nun etwas länger Zeit. VW verlängerte die am Montag abgelaufene Frist bis zum 30. April. Wegen der großen Nachfrage hatte es zuletzt Engpässe bei der Abwicklung gegeben. Insgesamt 262.000 Diesel-Besitzern in Deutschland habe VW ein Angebot unterbreitet. Sie sollen je nach Neupreis und Fahrzeugalter 1350 bis 6250 Euro Entschädigung erhalten.
VW kassiert Niederlage auch mit neuem Motorentyp
Mit dem bis zu 830 Millionen Euro schweren Vergleich kann Volkswagen einen weiteren Teil des Dieselskandals zu den Akten legen. Die Kosten des Betrugs summieren sich inzwischen auf über 30 Milliarden Euro. Unterdessen bahnt sich Ärger mit dem verbesserten Nachfolgemotor des Typs EA288 an.
Die Kölner Wirtschaftskanzlei Rogert&Ulbrich hat die Verbraucherzentrale
in der Musterfeststellungsklage gegen VW vor Gericht vertreten und spricht von illegalen Abschalteinrichtungen auch beim neuen Motor EA288. Die Kanzlei stützt sich dabei auf Urteile der Landgerichte (LG) Regensburg und München.
Das LG Regensburg stellte jüngst auch beim Motor EA288 eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“durch das Verwenden einer Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand fest (Az.: 73 O 1181/19). Das Gericht verurteilte VW zur Rücknahme des fünf Jahre alten Golf VII. „Dieses Urteil zeigt, dass VW nichts verstanden hat und der Abgasskandal noch nicht vorbei ist. Die Abgasmanipulation
betrifft auch die vermeintlich sauberen Euro-6-Diesel“, sagt Anwalt Marco Rogert.
An der Ausgangslage habe sich bei der neuen Motorengeneration EA288 somit nichts geändert, erläutert sein Kollege Tobias Ulbrich. Auch diese beinhalte die umstrittene Zykluserkennung, mit der die Fahrzeuge beim Schadstoffausstoß die aktuelle Euro-6-Norm nur auf dem Prüfstand erreichten. „Letztendlich sind diese Fahrzeuge alle nicht zulassungsfähig“, sagt Ulbrich. „VW bestreitet aber grundsätzlich alles und sagt, die Fahrzeuge sind sauber.“Vor Gericht habe der Konzern seine „recht kryptische“Klageerwiderung in Bezug auf technische Details nicht näher erläutert.
VW widerspricht dem entschieden. „Im Klägerfahrzeug mit EA288-Motor ist keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, das haben Behörden auch nach eigenen Messungen mehrfach bestätigt“, betont ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion. Inhaltlich entbehre die Argumentation jeder Grundlage. Diese stütze sich auf eine Beschreibung für Fahrzeuge der aktuellen Euro-Norm 6. Der Kläger habe aber einen älteren Euro-5-Diesel. Der Konzern spricht von einem „Schuss ins Blaue“.
Warum VW dennoch verlor? „Das Urteil konnte nur aufgrund eines prozessualen Fehlers seitens Volkswagen zustande kommen“, räumt der Konzern ein. „Dem inhaltlich haltlosen Vortrag der Gegenseite wurde nicht angemessen widersprochen.“Volkswagen werde Berufung einlegen. Der Konzern verweist auf auf 325 Urteile zum Motor EA288, davon 99 Prozent im Sinne von VW. Vergleiche würden – anders, als es oft beim Skandalmotor EA189 geschah – nicht geschlossen. Insgesamt gebe es 1100 Verfahren, davon 200 in zweiter Instanz.
Parallel zum Zahltag bei der Musterfeststellungsklage wird sich am 5. Mai zeigen, ob die Verbraucher mit dem Diesel-Vergleich einen guten Deal eingegangen sind. Der Bundesgerichtshof (BGH) klärt unter anderem die Frage, ob überhaupt ein Anspruch auf Schadenersatz besteht – und ob VW einen Nutzungsabzug für jeden gefahrenen Kilometer berechnen darf. Beim Diesel-Vergleich entscheidet das Fahrzeugalter über die Höhe der Entschädigung.
Anwalt Ulbrich sieht hier mehrere Gutachten prominenter Rechtswissenschaftler auf der Seite der Kunden. „So billig wie VW entledigt sich ein Autohersteller nie wieder seiner Rechtsrisiken“, sagt er. Verbiete der BGH den Abzug der Nutzungsentschädigung, werden Entschädigungen im Diesel-Skandal für alle Hersteller künftig „sehr viel teurer.“