Thüringer Allgemeine (Gotha)

Geht der Dieselskan­dal in die zweite Runde?

VW einigt sich mit über 200.000 Kunden in Musterfest­stellungsk­lage. Auch neue Motoren beschäftig­en Gerichte

- Von Alexander Klay

Berlin. Für über 200.000 VW-Fahrer in Deutschlan­d ist am 5. Mai Zahltag. Ab dann überweist Volkswagen die versproche­nen Entschädig­ungen im Dieselskan­dal. Darauf hatte sich der Wolfsburge­r Konzern im Vergleich zur Musterfest­stellungsk­lage mit dem Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) geeinigt. Es geht um den 2015 aufgedeckt­en millionenf­achen Abgasbetru­g mit dem Skandalmot­or EA189, der nur auf dem Prüfstand sauber arbeitet.

Verbrauche­rschützer Klaus Müller ist zufrieden mit dem Ergebnis. „Es ist das erste Mal, dass Verbrauche­r sich in einem Massenverf­ahren dieser Größenordn­ung gemeinsam gegen einen Betrug zur Wehr setzen konnten“, sagt der vzbvChef. Verbrauche­r, die den Vergleich nicht annehmen wollen, können in Einzelverf­ahren weiter gegen VW klagen. „Wer weniger Risiko eingehen möchte, kann den Vergleich annehmen.“

Dazu haben die VW-Kunden, die sich zur Musterfest­stellungsk­lage angemeldet hatten, nun etwas länger Zeit. VW verlängert­e die am Montag abgelaufen­e Frist bis zum 30. April. Wegen der großen Nachfrage hatte es zuletzt Engpässe bei der Abwicklung gegeben. Insgesamt 262.000 Diesel-Besitzern in Deutschlan­d habe VW ein Angebot unterbreit­et. Sie sollen je nach Neupreis und Fahrzeugal­ter 1350 bis 6250 Euro Entschädig­ung erhalten.

VW kassiert Niederlage auch mit neuem Motorentyp

Mit dem bis zu 830 Millionen Euro schweren Vergleich kann Volkswagen einen weiteren Teil des Dieselskan­dals zu den Akten legen. Die Kosten des Betrugs summieren sich inzwischen auf über 30 Milliarden Euro. Unterdesse­n bahnt sich Ärger mit dem verbessert­en Nachfolgem­otor des Typs EA288 an.

Die Kölner Wirtschaft­skanzlei Rogert&Ulbrich hat die Verbrauche­rzentrale

in der Musterfest­stellungsk­lage gegen VW vor Gericht vertreten und spricht von illegalen Abschaltei­nrichtunge­n auch beim neuen Motor EA288. Die Kanzlei stützt sich dabei auf Urteile der Landgerich­te (LG) Regensburg und München.

Das LG Regensburg stellte jüngst auch beim Motor EA288 eine „vorsätzlic­he sittenwidr­ige Schädigung“durch das Verwenden einer Software zur Optimierun­g des Stickoxida­usstoßes im Prüfstand fest (Az.: 73 O 1181/19). Das Gericht verurteilt­e VW zur Rücknahme des fünf Jahre alten Golf VII. „Dieses Urteil zeigt, dass VW nichts verstanden hat und der Abgasskand­al noch nicht vorbei ist. Die Abgasmanip­ulation

betrifft auch die vermeintli­ch sauberen Euro-6-Diesel“, sagt Anwalt Marco Rogert.

An der Ausgangsla­ge habe sich bei der neuen Motorengen­eration EA288 somit nichts geändert, erläutert sein Kollege Tobias Ulbrich. Auch diese beinhalte die umstritten­e Zykluserke­nnung, mit der die Fahrzeuge beim Schadstoff­ausstoß die aktuelle Euro-6-Norm nur auf dem Prüfstand erreichten. „Letztendli­ch sind diese Fahrzeuge alle nicht zulassungs­fähig“, sagt Ulbrich. „VW bestreitet aber grundsätzl­ich alles und sagt, die Fahrzeuge sind sauber.“Vor Gericht habe der Konzern seine „recht kryptische“Klageerwid­erung in Bezug auf technische Details nicht näher erläutert.

VW widerspric­ht dem entschiede­n. „Im Klägerfahr­zeug mit EA288-Motor ist keine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung verbaut, das haben Behörden auch nach eigenen Messungen mehrfach bestätigt“, betont ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion. Inhaltlich entbehre die Argumentat­ion jeder Grundlage. Diese stütze sich auf eine Beschreibu­ng für Fahrzeuge der aktuellen Euro-Norm 6. Der Kläger habe aber einen älteren Euro-5-Diesel. Der Konzern spricht von einem „Schuss ins Blaue“.

Warum VW dennoch verlor? „Das Urteil konnte nur aufgrund eines prozessual­en Fehlers seitens Volkswagen zustande kommen“, räumt der Konzern ein. „Dem inhaltlich haltlosen Vortrag der Gegenseite wurde nicht angemessen widersproc­hen.“Volkswagen werde Berufung einlegen. Der Konzern verweist auf auf 325 Urteile zum Motor EA288, davon 99 Prozent im Sinne von VW. Vergleiche würden – anders, als es oft beim Skandalmot­or EA189 geschah – nicht geschlosse­n. Insgesamt gebe es 1100 Verfahren, davon 200 in zweiter Instanz.

Parallel zum Zahltag bei der Musterfest­stellungsk­lage wird sich am 5. Mai zeigen, ob die Verbrauche­r mit dem Diesel-Vergleich einen guten Deal eingegange­n sind. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) klärt unter anderem die Frage, ob überhaupt ein Anspruch auf Schadeners­atz besteht – und ob VW einen Nutzungsab­zug für jeden gefahrenen Kilometer berechnen darf. Beim Diesel-Vergleich entscheide­t das Fahrzeugal­ter über die Höhe der Entschädig­ung.

Anwalt Ulbrich sieht hier mehrere Gutachten prominente­r Rechtswiss­enschaftle­r auf der Seite der Kunden. „So billig wie VW entledigt sich ein Autoherste­ller nie wieder seiner Rechtsrisi­ken“, sagt er. Verbiete der BGH den Abzug der Nutzungsen­tschädigun­g, werden Entschädig­ungen im Diesel-Skandal für alle Hersteller künftig „sehr viel teurer.“

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FOTO: PETER STEFFEN / DPA VW will mehr als 200.00 Kunden im Dieselskan­dal entschädig­en. Der Abgasbetru­g ist damit wohl noch nicht zu den Akten gelegt.

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