Gelten die Kontaktsperren noch Monate?
Kanzlerin kritisiert „Öffnungsdiskussionsorgien“und warnt: „Dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen“
Berlin . Tag eins der Lockerungen in Deutschland: An vielen Orten öffnen Buchläden und Boutiquen wieder, einige Zoos machen wieder auf, die ersten Schüler kehren zurück in die Schulen. In anderthalb Wochen, am 30. April, wollen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder dann entscheiden, wie es weitergehen soll. Eins aber gilt als sicher: Bevor es keinen Impfstoff gegen das neue Coronavirus gibt, bevor kein Medikament auf dem Markt ist – so lange wird die Pandemie den Alltag in Deutschland prägen. Die Frage ist: Wie stark müssen die Einschränkungen sein? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte die Deutschen am Montag eindringlich, die erreichten Erfolge durch die Lockerungen nicht leichtfertig zu verspielen: Das Land sei „noch lange nicht über den Berg“.
Wie groß ist die Angst vor einer zweiten Corona-Welle?
Die Angst vor einem Rückfall in eine Lage mit unkontrollierter Ausbreitung ist massiv. Deutschland hat durch die strengen Kontaktsperren der letzten Wochen die Infektionskurve zwar vorläufig in den Griff bekommen – jede Lockerung aber birgt das Risiko eines Kontrollverlusts. „Wir dürfen keine Sekunde vergessen, dass wir ganz am Anfang der Pandemie stehen“, mahnte Merkel nach einem Treffen des Corona-Krisenkabinetts. Es sei wichtig, gerade am Anfang „die Kraft zu harten und strengen Maßnahmen“aufzubringen. Und: „Es wäre jammerschade, wenn wir sehenden Auges diese Erfolge gefährdeten.“Deutschland dürfe sich zu diesem Zeitpunkt „keine Sekunde in Sicherheit wiegen“. Denn: Die Situation an diesem Montag, an dem sich die Bundesbürger über erste Lockerungen freuten, sei trügerisch. Man könne schließlich immer erst nach 14 Tagen beurteilen, welche Wirkung eine Maßnahme hätte. Mit anderen Worten: Sollte sich herausstellen, dass die Lockerungen zu früh und zu weit gegangen seien, müsste wieder umgesteuert werden: „Ein erneuter Shutdown wäre die Folge und würde zu Notsituationen führen. Das wollen wir vermeiden.“
In einer internen Runde am Morgen war Merkel laut Teilnehmern noch deutlicher geworden: Die am vergangenen Mittwoch beschlossenen vorsichtigen Lockerungen hätten in einigen Bundesländern zu „Öffnungsdiskussionsorgien“geführt. Dies erhöhe das Risiko eines Rückfalls sehr stark.
Wie lange dauern die Kontaktsperren?
Anderthalb Meter Abstand halten, keine Gruppen bilden und keine Gäste empfangen: Werden sich die Deutschen über Monate so diszipliniert verhalten? Zumal, wenn kein Ende in Sicht ist? Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet damit, dass die Abstandsgebote und verschärften Hygieneregeln noch monatelang gelten werden. „Bis es einen Impfstoff gibt, werden wir miteinander und aufeinander aufpassen müssen.“Mehr noch: Er könne nicht ausschließen, dass einige Schritte zur Lockerung wieder zurückgenommen werden müssten. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnt: „Wir müssen alle zusammen zwingend dafür sorgen, dass sich keine neue, zweite Welle auftürmt – und wir gezwungen würden, in einen weiteren Lockdown zu gehen.“Mit Blick auf die Kontaktsperren
erwartet der GrünenPolitiker ebenfalls keine schnelle Lockerung: „Sicher ist mit Monaten zu rechnen und nicht mit Wochen“, sagte Kretschmann unserer Redaktion. Es ließen sich „heute keine genauen Zeiträume“nennen, sagte auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) unserer Redaktion. Bislang gelten die strikten Kontaktbeschränkungen bis zum 3. Mai.
Wie groß ist das Infektionsrisiko?
Von diesem Montag an steigt das Infektionsrisiko wieder an – schon deswegen, weil es wieder viel mehr Gelegenheiten für eine Ansteckung gibt: Schüler, die in den letzten Wochen nur mit ihrer eigenen Familie Kontakt hatten, treffen wieder auf ihre Mitschüler. Das Gleiche gilt für Kita-Kinder, die nun vom erweiterten Angebot für die Notbetreuung profitieren. Längere Shoppingtouren
sind wieder möglich – wenn auch zunächst nur auf kleineren Geschäftsflächen. Ein anderes Risiko wurde am Montag schnell abgeräumt: Es hatte massive Kritik von Ärzteverbänden, Gesundheitspolitikern und Verbraucherschützern daran gegeben, dass die Sonderregelung für telefonische Krankschreibungen bei leichten Infekten an diesem Montag auslaufen sollte. Die Krankschreibung per Telefon soll weiter möglich sein. Um das Infektionsgeschehen in den kommenden Monaten möglichst präzise verfolgen zu können, sollen die örtlichen Gesundheitsämter gestärkt werden, um bei jedem Infizierten möglichst sämtliche engen Kontakte nachverfolgen und in häuslicher Quarantäne isolieren zu können.
Kommt die Maskenpflicht überall?
Erst waren es einzelne Kommunen, jetzt sind es schon vier Bundesländer: Nach Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern führen auch Bayern und Thüringen eine landesweite Maskenpflicht für bestimmte Bereiche ein. Die Maßnahme gelte ab kommender Woche in allen Geschäften und im öffentlichen Personennahverkehr, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag in München. Die Bundesregierung dagegen bleibt vorerst bei ihrer Empfehlung zum freiwilligen Tragen vom Masken: Bei sachgerechtem Umgang könnten einfache Masken einen Beitrag zum Schutz leisten, bekräftigte Merkel. Bevor man aber bundesweite Regelungen treffe, müssten die Voraussetzungen stimmen: „Wir müssten garantieren, dass für jeden Bürger mindestens eine Maske zur Verfügung steht.“Heißt: Eine Maskenpflicht bei Maskenmangel ergibt keinen Sinn.