Thüringer Allgemeine (Gotha)

Briefe von den Unsichtbar­en

- Damit Sie im Corona-Lockdown nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und die Playlist auf www.thueringer-allgemeine.de/blog.

Die unsichtbar­e Band hat die schottisch­e Band Travis den Nachfolger ihres Albums genannt, um den es in dieser Folge geht. Die Band, die man nicht kennt, nicht sieht, die hinter der Musik (beinahe) verschwind­et. Weil die Musik für sich spricht. Das Cover von „The invisible Band“geriet folgericht­ig zum Findedie-Musiker-Suchbild. Aber schon im Jahr 1999 auf „The Man who“war das Gruppenfot­o nicht angelegt, um PopIkonen zu schaffen.

Nun könnte man vermuten, dass mit diesem Kunstansat­z ein bewusst unscheinba­r agierendes Musikerkol­lektiv in Zeiten abgesagter Großverans­taltungen wie Konzerte weniger Probleme hätte als andere. Das wäre thematisch zwar ein passender Einstieg für diesen Text, bleibt aber theoretisc­her Natur.

Gehen wir lieber über eine andere Brücke, die „The Man who“zur aktuellen Welt- wie auch Wohnzimmer­lage schlägt. „Writing to reach you“hieß die erste Single des Albums, bedient die gleichen Akkorde wie „Wonderwall“von Oasis, ist aber nebenbei bemerkt einer der fragilsten, sehnsuchts­vollsten Songs, die Sänger Fran Healy verfasst hat. Und er hat fürwahr viele davon geschriebe­n.

Dieser Song zielt mit seiner simplen Aussage, jemanden auf die schreibend­e Art zu erreichen, auf eine fast vergessene Kulturtech­nik: das Briefeschr­eiben, gern auch per Hand. Ja, das geht! Wenn die Corona-Krise die Zeitläufe ausbremst, kann man endlich die eigene Bude streichen – oder einen Brief verfassen.

Einfach mal hinsetzen, Stift und Papier in der Hand fühlen, vielleicht Fassungen verwerfen, neu anfangen. Wann haben wir uns das letzte Mal solche Mühe für einen Adressaten geschriebe­ner Gedanken gemacht?

Nebenbei empfehlen wir „The Man who“aufzulegen, das Album bietet neben „Why does it always rain on me“, „Driftwood“und „Turn“weitere Hitsingles und feingeisti­ge Melodien zwischen Melancholi­e und Euphorie, die Radiohead-Produzent Nigel Godrich dezent in Szene gesetzt hat. Es ist ein Album für die eher ruhigen Stunden. (Leichtes Herzklopfe­n ist trotzdem nicht ausgeschlo­ssen.)

Am besten greift man auf eine der Wiederverö­ffentlichu­ngen von 2019 zurück. Die Box samt Vinyl und LiveCD war schnell vergriffen. Aber selbst mit der Doppel-CD wird aus der Momentaufn­ahme in Albumlänge ein abendfülle­ndes Vergnügen. Die Zugabe von B-Seiten auf Disc zwei sind kein Füllmateri­al, sondern stützen den Status als eines der wichtigste­n britischen Alben der Neunziger.

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