Proteste in Hongkong flammen wieder auf
Mit Plänen für ein Sicherheitsgesetz hat Chinas Führung den Konflikt in der Stadt neu entfacht. Rufe nach Unabhängigkeit werden lauter
Hongkong/Peking. Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie haben in Hongkong wieder Tausende gegen den Einfluss Chinas in der Sonderverwaltungsregion demonstriert. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Dutzende wurden festgenommen. Auslöser der Proteste am Sonntag waren Pekings Pläne für ein Sicherheitsgesetz, das sich gegen subversive und separatistische Aktivitäten in Hongkong richtet. Trotz Beschränkungen für Versammlungen in der Corona-Krise gingen in den Einkaufsvierteln von Causeway Bay und Wan Chai Tausende auf die Straße.
Demonstranten sehen den „Anfang vom Ende“gekommen
Einige hielten Spruchbänder, auf denen unter anderem „Der Himmel wird die Kommunistische Partei Chinas zerstören“stand. Auch wurden wiederholt Rufe nach Unabhängigkeit laut. Ein Großaufgebot von Sicherheitskräften ging gegen die Demonstranten vor. Die Proteste dauerten auch am Sonntagabend (Ortszeit) an. Radikale Aktivisten warfen Schaufensterscheiben ein. Wegen der Corona-Pandemie gelten in der dicht bevölkerten asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole mit ihren fast 7,5 Millionen Einwohnern eigentlich Abstandsregeln, die Gruppen von höchstens acht Menschen erlauben.
„Auch wenn uns nicht erlaubt wird, Proteste zu organisieren, müssen wir trotzdem zusammenkommen“, sagte der Führer der Demokratiebewegung, Joshua Wong, der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist der Anfang vom Ende; und die Zeit wird knapp.“Die internationale
Gemeinschaft müsse sich für Hongkong einsetzen.
Das überraschende Vorhaben der kommunistischen Führung hatte die Atmosphäre neu angeheizt. Der seit Freitag in der Hauptstadt Peking tagende Volkskongress soll zum Abschluss seiner Plenarsitzung
am Donnerstag einen Beschluss verabschieden, der dem Ständigen Ausschuss des Parlaments einen Auftrag zum Erlass eines Gesetzes zum Schutz der nationalen Sicherheit gibt. Dieses Gesetz soll Hongkongs Grundgesetz angehängt werden.
Das Gesetz wendet sich auch gegen ausländische Einmischung. „Wenn nötig“, sollen zudem chinesische Sicherheitsorgane in Hongkong stationiert und eingesetzt werden. Die prodemokratischen Kräfte riefen die Hongkonger auf, sich den Plänen zu widersetzen. Das Vorhaben stieß auch international auf Kritik. US-Außenminister Mike Pompeo sprach in Washington von einem „Totengeläut für die Autonomie“, indem Peking „einseitig und willkürlich nationale Sicherheitsgesetzgebung in Hongkong verhängt“.
Corona-Pandemie hatte Proteste zum Stillstand gebracht
Seit der Rückgabe an China im Jahr 1997 durch Großbritannien wird Hongkong als eigenes Territorium nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“autonom regiert. Seit vergangenem Sommer erlebt die Metropole schon Woche für Woche Demonstrationen, die sich gegen die eigene Regierung, als brutal empfundene Einsätze der Polizei und den langen Arm Pekings richten. Erst die Pandemie hatte die Proteste zum Stillstand gebracht.
Das Gesetzesvorhaben würde auch Hongkongs Parlament umgehen. Peking argumentiert, dass der Legislativrat nach Artikel 23 des seit 1997 geltenden Grundgesetzes eigentlich selbst solche Sicherheitsgesetze verabschieden müsste. Das Vorhaben war aber 2003 wegen Massenprotesten auf Eis gelegt worden.
Der chinesische Außenminister Wang Yi wies am Rande der Jahrestagung des Volkskongresses Befürchtungen zurück, der Eingriff könnte den Status des asiatischen Wirtschafts- und Finanzzentrums schädigen. Die US-Handelskammer äußerte sich allerdings besorgt über die Auswirkungen auf das Geschäftsklima.
„Im Umgang mit China darf die Bundesregierung nicht länger hasenfüßig sein.“Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionschefin im Bundestag
Auch die Europäische Union distanzierte sich von dem Vorhaben. Aus EU-Sicht sollten solche Gesetze unverändert vom Legislativrat – wie in Artikel 23 vorgesehen – verabschiedet werden, sagte der EUAußenpolitiker Josep Borrell in Brüssel. „Demokratische Debatte, Konsultationen der wesentlichen Interessenvertreter und Achtung der Rechte und Freiheiten der Hongkonger wären der beste Weg.“
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, forderte eine Einbestellung von Chinas Botschafter durch Außenminister Heiko Maas (SPD). „Die Bundesregierung darf im Umgang mit China nicht länger hasenfüßig sein.“dpa