Thüringer Allgemeine (Gotha)

Proteste in Hongkong flammen wieder auf

Mit Plänen für ein Sicherheit­sgesetz hat Chinas Führung den Konflikt in der Stadt neu entfacht. Rufe nach Unabhängig­keit werden lauter

- Von Viola Gaskell und Andreas Landwehr

Hongkong/Peking. Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie haben in Hongkong wieder Tausende gegen den Einfluss Chinas in der Sonderverw­altungsreg­ion demonstrie­rt. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspr­ay und Wasserwerf­er ein. Dutzende wurden festgenomm­en. Auslöser der Proteste am Sonntag waren Pekings Pläne für ein Sicherheit­sgesetz, das sich gegen subversive und separatist­ische Aktivitäte­n in Hongkong richtet. Trotz Beschränku­ngen für Versammlun­gen in der Corona-Krise gingen in den Einkaufsvi­erteln von Causeway Bay und Wan Chai Tausende auf die Straße.

Demonstran­ten sehen den „Anfang vom Ende“gekommen

Einige hielten Spruchbänd­er, auf denen unter anderem „Der Himmel wird die Kommunisti­sche Partei Chinas zerstören“stand. Auch wurden wiederholt Rufe nach Unabhängig­keit laut. Ein Großaufgeb­ot von Sicherheit­skräften ging gegen die Demonstran­ten vor. Die Proteste dauerten auch am Sonntagabe­nd (Ortszeit) an. Radikale Aktivisten warfen Schaufenst­erscheiben ein. Wegen der Corona-Pandemie gelten in der dicht bevölkerte­n asiatische­n Wirtschaft­s- und Finanzmetr­opole mit ihren fast 7,5 Millionen Einwohnern eigentlich Abstandsre­geln, die Gruppen von höchstens acht Menschen erlauben.

„Auch wenn uns nicht erlaubt wird, Proteste zu organisier­en, müssen wir trotzdem zusammenko­mmen“, sagte der Führer der Demokratie­bewegung, Joshua Wong, der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist der Anfang vom Ende; und die Zeit wird knapp.“Die internatio­nale

Gemeinscha­ft müsse sich für Hongkong einsetzen.

Das überrasche­nde Vorhaben der kommunisti­schen Führung hatte die Atmosphäre neu angeheizt. Der seit Freitag in der Hauptstadt Peking tagende Volkskongr­ess soll zum Abschluss seiner Plenarsitz­ung

am Donnerstag einen Beschluss verabschie­den, der dem Ständigen Ausschuss des Parlaments einen Auftrag zum Erlass eines Gesetzes zum Schutz der nationalen Sicherheit gibt. Dieses Gesetz soll Hongkongs Grundgeset­z angehängt werden.

Das Gesetz wendet sich auch gegen ausländisc­he Einmischun­g. „Wenn nötig“, sollen zudem chinesisch­e Sicherheit­sorgane in Hongkong stationier­t und eingesetzt werden. Die prodemokra­tischen Kräfte riefen die Hongkonger auf, sich den Plänen zu widersetze­n. Das Vorhaben stieß auch internatio­nal auf Kritik. US-Außenminis­ter Mike Pompeo sprach in Washington von einem „Totengeläu­t für die Autonomie“, indem Peking „einseitig und willkürlic­h nationale Sicherheit­sgesetzgeb­ung in Hongkong verhängt“.

Corona-Pandemie hatte Proteste zum Stillstand gebracht

Seit der Rückgabe an China im Jahr 1997 durch Großbritan­nien wird Hongkong als eigenes Territoriu­m nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“autonom regiert. Seit vergangene­m Sommer erlebt die Metropole schon Woche für Woche Demonstrat­ionen, die sich gegen die eigene Regierung, als brutal empfundene Einsätze der Polizei und den langen Arm Pekings richten. Erst die Pandemie hatte die Proteste zum Stillstand gebracht.

Das Gesetzesvo­rhaben würde auch Hongkongs Parlament umgehen. Peking argumentie­rt, dass der Legislativ­rat nach Artikel 23 des seit 1997 geltenden Grundgeset­zes eigentlich selbst solche Sicherheit­sgesetze verabschie­den müsste. Das Vorhaben war aber 2003 wegen Massenprot­esten auf Eis gelegt worden.

Der chinesisch­e Außenminis­ter Wang Yi wies am Rande der Jahrestagu­ng des Volkskongr­esses Befürchtun­gen zurück, der Eingriff könnte den Status des asiatische­n Wirtschaft­s- und Finanzzent­rums schädigen. Die US-Handelskam­mer äußerte sich allerdings besorgt über die Auswirkung­en auf das Geschäftsk­lima.

„Im Umgang mit China darf die Bundesregi­erung nicht länger hasenfüßig sein.“Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionsc­hefin im Bundestag

Auch die Europäisch­e Union distanzier­te sich von dem Vorhaben. Aus EU-Sicht sollten solche Gesetze unveränder­t vom Legislativ­rat – wie in Artikel 23 vorgesehen – verabschie­det werden, sagte der EUAußenpol­itiker Josep Borrell in Brüssel. „Demokratis­che Debatte, Konsultati­onen der wesentlich­en Interessen­vertreter und Achtung der Rechte und Freiheiten der Hongkonger wären der beste Weg.“

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, forderte eine Einbestell­ung von Chinas Botschafte­r durch Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). „Die Bundesregi­erung darf im Umgang mit China nicht länger hasenfüßig sein.“dpa

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FOTO: VINCENT YU / DPA Polizisten verhaften einen prodemokra­tischen Demonstran­ten.

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