Prozessauftakt – Netanjahu droht mehrjährige Haft
In Jerusalem muss sich Israels Regierungschef dem Vorwurf der Korruption stellen
Jerusalem. Der aufsehenerregende Prozess gegen den rechtskonservativen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hat am Sonntag begonnen. Der 70-Jährige kam am Nachmittag in Begleitung von Leibwächtern in das Jerusalemer Bezirksgericht. Mit blauer Schutzmaske erschien er gemeinsam mit seinen Anwälten im Gerichtssaal. In Jerusalem nahmen unterdessen Hunderte Menschen an Demonstrationen für und gegen Netanjahu teil.
Netanjahu ist wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Bei seiner Ankunft im Gericht warf er Polizei und Staatsanwaltschaft vor, sie hätten die Anklage gegen ihn „fabriziert“. Es handele sich um den Versuch, „einen starken amtierenden Regierungschef
der Rechten zu stürzen“. Netanjahu forderte eine Live-Übertragung aus dem Gerichtssaal. Viele seiner Minister stehen an seiner Seite und greifen das israelische Justizsystem immer wieder hart an.
Nach einer Stunde vertagten die Richter den Prozess auf den 19. Juli. Netanjahus Anwälte beantragten einen mehrmonatigen Aufschub, um nach der Verlesung der Anklage mehr Zeit zur Vorbereitung zu haben. Die Staatsanwaltschaft forderte dagegen, die Zeugen möglichst rasch anzuhören. Die Richter wollen nun über die Anträge entscheiden. Mit dem Verfahren befassen sich drei Richter des Jerusalemer Bezirksgerichts. Mehr als 300 Zeugen sollen befragt werden.
Bei den Vorwürfen gegen Netanjahu geht es um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute – vor allem Champagner und Zigarren – im Gegenzug für Gefälligkeiten. Sollte Netanjahu wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Bei einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre.
Netanjahu ist Israels am längsten amtierender Ministerpräsident. Er war erst vergangenen Sonntag erneut vereidigt worden. Seine fünfte Amtszeit ist wegen des Korruptionsprozesses äußerst umstritten. Zurücktreten müsste Netanjahu aber erst im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung. dpa