Die Sorge vor dem Viren-Terrorismus
Die Pandemie zeigt, wie verwundbar moderne Gesellschaften sind. Nutzen Extremisten dies für Anschläge aus?
Brüssel/Berlin. In der Corona-Krise treibt Mediziner derzeit vor allem eine große Sorge um: Wann kommt die zweite Infektionswelle und wie gefährlich wird sie? Doch in Sicherheitskreisen wird international inzwischen eine noch brisantere Frage diskutiert. Folgt Corona bald eine menschengemachte Katastrophe – eine absichtlich verursachte Epidemie, die Terroristen durch ein ausgesetztes Virus oder einen anderen Krankheitserreger auslösen könnten?
Eine Gruppe von Sicherheitsexperten des Europarats warnt jetzt nachdrücklich vor der Gefahr durch Bioterrorismus nach Corona: „Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar moderne Gesellschaften durch Virusinfektionen und ihr Erschütterungs-Potenzial sind“, heißt es in einer Stellungnahme des Europarats-Ausschusses für Terrorbekämpfung, die unserer Redaktion vorliegt. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass terroristische Gruppen diese Lektion aus der Corona-Pandemie vergessen würden. Die absichtliche Verwendung eines Krankheitserregers oder eines anderen biologischen Wirkstoffs durch Terroristen „kann sich als äußerst wirksam erweisen“, warnt die Expertengruppe, in der Sicherheitsfachleute der EuroparatsMitgliedstaaten zusammenarbeiten. Der Schaden für Menschen und Wirtschaft könnte weitaus größer sein als bei „traditionellen“Terroranschlägen.
Auch auf der Nato-Führungsebene ist das Thema nach Informationen unserer Redaktion bereits diskutiert worden: „Es kann sein, dass die Corona-Krise jemanden auf die Idee bringt, biologische Waffen einzusetzen“, heißt es aus Kreisen des Nordatlantikrats. „Die Krise zeigt unsere Verletzlichkeit. Wir müssen unsere Widerstandsfähigkeit grundsätzlich durchdenken.“
Die akute Bedrohung ist wohl überschaubar. Der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, berichtet in einem neuen Report zwar vom Versuch eines tunesischen Islamisten,
Corona als Waffe gegen Sicherheitskräfte zu verwenden. Und in den USA rufen Rechtsextremisten im Internet dazu auf, dunkelhäutige Menschen und Juden mit CoronaViren zu infizieren. Doch wirklich bedrohlich wirkt das bisher nicht.
Vor allem der IS verbreitet Anleitungen für Bio-Kampfstoffe
Experten in Deutschland halten die Gefahr eines Anschlags mit Biowaffen derzeit für gering: Dies sei im Moment kein wahrscheinliches Szenario, sagt ein ranghoher Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde unserer Redaktion. Auch der Verfassungsschutz
sieht dafür keine Anhaltspunkte. Bislang konnten in Deutschland „keine konkreten oder abstrakten Tatplanungen“oder „ernsthafte Ideen oder Gedankenspiele zu bioterroristischen Aktivitäten“festgestellt werden, erklärt der Inlandsgeheimdienst auf Anfrage. Im „eher unwahrscheinlichen Fall“eines solchen Anschlags dürfte am ehesten der „Islamische Staat“(IS) oder Al-Kaida dahinterstehen: Vor allem der IS habe verschiedene Anleitungen zur Herstellung biologischer Kampfstoffe verbreitet, so das Bundesamt. Aber in der Praxis gäbe es große Hürden:
Biowaffen, etwa eine Viren-Bombe, wären für Terroristen nur sehr schwer herzustellen. Sie bräuchten dafür Labore, Schutzkleidung und vor allem das Wissen etwa von Virologen.
Der Hamburger Biowaffenforscher Gunnar Jeremias sagt, ein Virus wie Sars-CoV-2, der sich so massiv ausbreitet, selbst zu erschaffen, sei technisch kaum möglich. Ein anderer Weg sei es, existierende Viren nachzubauen, „aber auch das ist voraussetzungsvoll“. Die Pandemie anschließend in Gang zu setzen, sei ebenfalls „alles andere als einfach“. Doch es sei sicher möglich, dass terroristische Organisationen eine Art „Low-tech-Bioterrorismus“versuchen könnten und etwa mit biologischen Toxinen wie Rizin operierten, die recht einfach herstellbar seien.
Das ist keine Theorie mehr: In Köln konnten Sicherheitsbehörden vor zwei Jahren den Bau einer RizinBombe durch Islamisten vereiteln. Der Tunesier Sief Allah H. und seine Frau Yasemin hatten bereits 84 Gramm des Giftstoffs hergestellt, als Ermittler zugriffen, inzwischen sind sie zu zehnjährigen Haftstrafen verurteilt. In den USA gab es bereits mehrere kleinere Anschläge mit Biowaffen, etwa eine Serie von Briefen mit Milzbrandsporen 2001, der fünf Menschen zum Opfer fielen.
Entwickelt Nordkorea heimlich Biowaffen?
Der frühere Vize-Verteidigungsminister der USA, Andrew Weber, warnt, dass irgendwo auf der Welt staatliche Stellen in böser Absicht versuchen könnten, das Coronavirus weiterzuentwickeln. Zwar sind Biowaffen weltweit verboten, die meisten Staaten haben sich einer entsprechenden Konvention von 1975 angeschlossen. Aber einige Staaten stellen solche Waffen offenbar trotzdem her: Nordkorea steht im dringenden Verdacht, mit ausländischen Forschern ein entsprechendes Programm voranzutreiben. „Nordkorea wird viel wahrscheinlicher Biowaffen einsetzen als eine Atombombe“, sagt Weber.
Eine Sorge, die nun diskutiert wird: Was, wenn es Verbindungen gibt zwischen einem Regime, das an der Biobombe forscht, und TerrorGruppen, die sie einsetzen könnten? Die Experten des Europarats fordern eine koordinierte Antwort Europas. Notwendig sei eine internationale Zusammenarbeit, die personelle und materielle Ressourcen mobilisiere, ein gemeinsames Überwachungssystem, das verdächtige Fälle aufdecken könne und praktische Übungen zur Bekämpfung biologischer Angriffe.
„Die Schwächen, die die Pandemie offengelegt hat, geben Einblick, wie ein bioterroristischer Angriff aussehen könnte.“António Guterres,
UN-Generalsekretär