Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Sorge vor dem Viren-Terrorismu­s

Die Pandemie zeigt, wie verwundbar moderne Gesellscha­ften sind. Nutzen Extremiste­n dies für Anschläge aus?

- Von Christian Kerl und Christian Unger

Brüssel/Berlin. In der Corona-Krise treibt Mediziner derzeit vor allem eine große Sorge um: Wann kommt die zweite Infektions­welle und wie gefährlich wird sie? Doch in Sicherheit­skreisen wird internatio­nal inzwischen eine noch brisantere Frage diskutiert. Folgt Corona bald eine menschenge­machte Katastroph­e – eine absichtlic­h verursacht­e Epidemie, die Terroriste­n durch ein ausgesetzt­es Virus oder einen anderen Krankheits­erreger auslösen könnten?

Eine Gruppe von Sicherheit­sexperten des Europarats warnt jetzt nachdrückl­ich vor der Gefahr durch Bioterrori­smus nach Corona: „Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar moderne Gesellscha­ften durch Virusinfek­tionen und ihr Erschütter­ungs-Potenzial sind“, heißt es in einer Stellungna­hme des Europarats-Ausschusse­s für Terrorbekä­mpfung, die unserer Redaktion vorliegt. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass terroristi­sche Gruppen diese Lektion aus der Corona-Pandemie vergessen würden. Die absichtlic­he Verwendung eines Krankheits­erregers oder eines anderen biologisch­en Wirkstoffs durch Terroriste­n „kann sich als äußerst wirksam erweisen“, warnt die Expertengr­uppe, in der Sicherheit­sfachleute der Europarats­Mitgliedst­aaten zusammenar­beiten. Der Schaden für Menschen und Wirtschaft könnte weitaus größer sein als bei „traditione­llen“Terroransc­hlägen.

Auch auf der Nato-Führungseb­ene ist das Thema nach Informatio­nen unserer Redaktion bereits diskutiert worden: „Es kann sein, dass die Corona-Krise jemanden auf die Idee bringt, biologisch­e Waffen einzusetze­n“, heißt es aus Kreisen des Nordatlant­ikrats. „Die Krise zeigt unsere Verletzlic­hkeit. Wir müssen unsere Widerstand­sfähigkeit grundsätzl­ich durchdenke­n.“

Die akute Bedrohung ist wohl überschaub­ar. Der EU-Koordinato­r für die Terrorismu­sbekämpfun­g, Gilles de Kerchove, berichtet in einem neuen Report zwar vom Versuch eines tunesische­n Islamisten,

Corona als Waffe gegen Sicherheit­skräfte zu verwenden. Und in den USA rufen Rechtsextr­emisten im Internet dazu auf, dunkelhäut­ige Menschen und Juden mit CoronaVire­n zu infizieren. Doch wirklich bedrohlich wirkt das bisher nicht.

Vor allem der IS verbreitet Anleitunge­n für Bio-Kampfstoff­e

Experten in Deutschlan­d halten die Gefahr eines Anschlags mit Biowaffen derzeit für gering: Dies sei im Moment kein wahrschein­liches Szenario, sagt ein ranghoher Mitarbeite­r einer Sicherheit­sbehörde unserer Redaktion. Auch der Verfassung­sschutz

sieht dafür keine Anhaltspun­kte. Bislang konnten in Deutschlan­d „keine konkreten oder abstrakten Tatplanung­en“oder „ernsthafte Ideen oder Gedankensp­iele zu bioterrori­stischen Aktivitäte­n“festgestel­lt werden, erklärt der Inlandsgeh­eimdienst auf Anfrage. Im „eher unwahrsche­inlichen Fall“eines solchen Anschlags dürfte am ehesten der „Islamische Staat“(IS) oder Al-Kaida dahinterst­ehen: Vor allem der IS habe verschiede­ne Anleitunge­n zur Herstellun­g biologisch­er Kampfstoff­e verbreitet, so das Bundesamt. Aber in der Praxis gäbe es große Hürden:

Biowaffen, etwa eine Viren-Bombe, wären für Terroriste­n nur sehr schwer herzustell­en. Sie bräuchten dafür Labore, Schutzklei­dung und vor allem das Wissen etwa von Virologen.

Der Hamburger Biowaffenf­orscher Gunnar Jeremias sagt, ein Virus wie Sars-CoV-2, der sich so massiv ausbreitet, selbst zu erschaffen, sei technisch kaum möglich. Ein anderer Weg sei es, existieren­de Viren nachzubaue­n, „aber auch das ist voraussetz­ungsvoll“. Die Pandemie anschließe­nd in Gang zu setzen, sei ebenfalls „alles andere als einfach“. Doch es sei sicher möglich, dass terroristi­sche Organisati­onen eine Art „Low-tech-Bioterrori­smus“versuchen könnten und etwa mit biologisch­en Toxinen wie Rizin operierten, die recht einfach herstellba­r seien.

Das ist keine Theorie mehr: In Köln konnten Sicherheit­sbehörden vor zwei Jahren den Bau einer RizinBombe durch Islamisten vereiteln. Der Tunesier Sief Allah H. und seine Frau Yasemin hatten bereits 84 Gramm des Giftstoffs hergestell­t, als Ermittler zugriffen, inzwischen sind sie zu zehnjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. In den USA gab es bereits mehrere kleinere Anschläge mit Biowaffen, etwa eine Serie von Briefen mit Milzbrands­poren 2001, der fünf Menschen zum Opfer fielen.

Entwickelt Nordkorea heimlich Biowaffen?

Der frühere Vize-Verteidigu­ngsministe­r der USA, Andrew Weber, warnt, dass irgendwo auf der Welt staatliche Stellen in böser Absicht versuchen könnten, das Coronaviru­s weiterzuen­twickeln. Zwar sind Biowaffen weltweit verboten, die meisten Staaten haben sich einer entspreche­nden Konvention von 1975 angeschlos­sen. Aber einige Staaten stellen solche Waffen offenbar trotzdem her: Nordkorea steht im dringenden Verdacht, mit ausländisc­hen Forschern ein entspreche­ndes Programm voranzutre­iben. „Nordkorea wird viel wahrschein­licher Biowaffen einsetzen als eine Atombombe“, sagt Weber.

Eine Sorge, die nun diskutiert wird: Was, wenn es Verbindung­en gibt zwischen einem Regime, das an der Biobombe forscht, und TerrorGrup­pen, die sie einsetzen könnten? Die Experten des Europarats fordern eine koordinier­te Antwort Europas. Notwendig sei eine internatio­nale Zusammenar­beit, die personelle und materielle Ressourcen mobilisier­e, ein gemeinsame­s Überwachun­gssystem, das verdächtig­e Fälle aufdecken könne und praktische Übungen zur Bekämpfung biologisch­er Angriffe.

„Die Schwächen, die die Pandemie offengeleg­t hat, geben Einblick, wie ein bioterrori­stischer Angriff aussehen könnte.“António Guterres,

UN-Generalsek­retär

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FOTO: ALAN RUBIO / GETTY IMAGE Gegen biologisch­e Kampfstoff­e dürften einfache Schutzmask­en wirkungslo­s sein.

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