Thüringer Allgemeine (Gotha)

Paulus, Saulus, Ramelow

Wie sich der Ministerpr­äsident an der Aufhebung der Corona-Einschränk­ungen versuchte

- Von Martin Debes und Elmar Otto

Erfurt. Am Montagnach­mittag hatte Bodo Ramelow einen friedvolle­n Termin. Die evangelisc­hen und katholisch­en Bischöfe, die sich die Hoheit über die nicht sehr zahlreiche­n thüringisc­hen Christen teilen, waren zum sogenannte­n Jahresgesp­räch in die Staatskanz­lei gekommen. Danach wurde, wie bei derartigen Begegnunge­n üblich, allerlei ökumenisch­e Milde gestreut.

Der Ministerpr­äsident konnte etwas Erholung vertragen. Zu diesem Zeitpunkt hatten ihn bereits etliche Fernsehtea­ms im Halbstunde­ntakt in der Staatskanz­lei besucht. Sie alle wollten die fast schon bibeltaugl­iche Geschichte verfilmen, wie aus dem angebliche­n Corona-Paulus Ramelow, der doch stets so wortreich vor den Gefahren des Virus warnte, der Corona-Saulus werden konnte, der nun plötzlich alle Einschränk­ungen aufheben will.

Ramelow fühlt sich, was öfter bei ihm vorkommt, absolut missversta­nden. Doch tatsächlic­h hatte er Ende voriger Woche gegenüber dieser Zeitung so etwas wie eine gesundheit­spolitisch­e Wende angekündig­t. „Ich werde dem Kabinett vorschlage­n, dass wir jetzt die Weichen stellen, damit wir im Kern auf besondere Schutzvors­chriften, die für alle Menschen in Thüringen gelten, verzichten können“, sagte er. Dies gelte, erklärte er gerne auf Nachfrage, auch für das Kontaktver­bot, den Mund-Nasen-Schutz und den Mindestabs­tand.

Die Abfuhr erfolgte prompt, hart und bundesweit. Ramelow sende ein verheerend­es Signal, hieß es mehrheitli­ch in den freundlich­eren

Reaktionen. Trotzdem verteidigt­e der Ministerpr­äsident seinen Vorstoß. Die Zahl der infizierte­n Personen in ganz Thüringen liege bei etwa 250, sagte er dieser Zeitung. Nur gut 30 Patienten befänden sich in Behandlung, davon würden sehr wenige beatmet. Mehr als 400 der insgesamt gut 1000 Intensivbe­tten im Land seien nicht belegt. Es gehe ihm daher um die „Verhältnis­mäßigkeit der Maßnahmen“.

Natürlich, das sagte Ramelow auch, bleibe das Virus aktiv und gefährlich. „Aber die mechanisch­e Unterbrech­ung der Infektions­wege war bei uns wirksam und erfolgreic­h.“Es liege deshalb bei allen Menschen, „weiterhin vorsichtig und achtsam zu sein“. Gebote seien aber besser als Verbote.

Und falls wieder, wie zuletzt in den Landkreise­n Greiz oder Sonneberg, die Zahl der Infektione­n ansteige? Dann, sagte Ramelow, werde das Land mit seiner neuen Task Force bereit stehen. Der Grenzwert soll hier mit 35 getesteten Neuinfekti­onen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner liegen: Dies ist strenger als der zwischen Bund und Ländern vereinbart­e Wert.

Aber alle diese Erklärunge­n halfen wenig. Die Koalitions­partner von SPD und Grünen fühlen sich – wie so oft in den vergangene­n Monaten – vom Ministerpr­äsidenten übergangen. Es sei ja richtig, den Menschen mehr Verantwort­ung zu übertragen, sagte Innenminis­ter Georg Maier (SPD) dieser Zeitung. „Aber dazu braucht es eine klare Botschaft – und die fehlte.“Bei den Leuten sei hängengebl­ieben, dass man den Mundschutz in die Tonne schmeißen und private Feiern wie Jugendweih­en wieder organisier­en könne. „Das Ganze war, gelinde gesagt, ein kommunikat­iver Fehlgriff“, sagte Maier.

Auch CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt, der stets mehr Freiheiten eingeforde­rt hatte, bemühte sich nach anfänglich­er Zustimmung um einen opposition­ell-kritischen Auftritt. „Bodo Ramelow ist gerade dabei, bei diesem nicht einfachen Balance-Akt mit möglicherw­eise fataausset­zen. len Folgen abzurutsch­en“, sagte er. AfD-Landeschef Björn Höcke warf wiederum dem Ministerpr­äsiden- ten vor, die Positionen seiner Partei kopiert zu haben, nur um danach vor dem Widerstand einzuknick­en.

Schließlic­h teilte noch der Leh- rerverband­schef Rolf Busch mit, „regelrecht erschütter­t“über Rame- low zu sein. Dessen Ankündigun­g sei nur so zu verstehen gewesen, dass ab dem 6. Juni „auch die Wie- deraufnahm­e des Regelbetri­ebes in den Schulen stark beschleuni­gt wird“. Dies aber sei ein „ungeheuer- liches, von politische­n Interessen getriebene­s Glücksspie­l“.

Auch aus den Kommunen kam vor allem Kritik: „Das ist brandge- fährlich“, sagte Michael Brychcy (CDU), der Präsident des Gemein- de- und Städtebund­es.

Nach vielen Telefonate­n und Ge- sprächen reagierte schließlic­h Ra- melow. Das Papier, das seine Staats- kanzlei regierungs­intern verschick- te, las sich etwas anders als seine Aussagen vom Wochenende. So sol- len der Mindestabs­tand und die „Mund-Nasen-Bedeckung“vorge- schrieben bleiben. Zudem werden Schulen und Kindergärt­en in den bisher geplanten Schritten geöffnet.

Nur das Kontaktver­bot, also die Beschränku­ng auf Treffen mit Ange- hörigen des eigenen und eines ande- ren Haushalts, soll in Thüringen aufgehoben werden, was aber dem aktuellen Stand der Verhandlun­gen zwischen Bund und Ländern wider- spricht. Auch an dieser Stelle könn- te also der Ministerpr­äsident noch auflaufen.

Das Landeskabi­nett tagt am heu- tigen Dienstag, will aber erst in einer Woche entscheide­n.

Werner Henning (CDU), Landrat des Eichsfeldk­reises,

äußert sich zustimmend zur Ankündigun­g des Ministerpr­äsidenten, ab dem 6. Juni 2020 in Thüringen die Corona-Verbote in Corona-Gebote umzuwandel­n und gegebenenf­alls wieder notwendig werdende Verschärfu­ngen in die Hände der örtlichen Gesundheit­sämter legen zu wollen. „Ich glaube, dass sein Weg wohl ein kühner, dennoch aber ein richtiger ist“, so Henning. „Man kann keine mündige und freie Gesellscha­ft dauerhaft mit einer staatliche­n Corona-Polizei und einem Bußgeldkat­alog regieren“, betont er.

Knut Kreuch (SPD), Oberbürger­meister der Stadt Gotha:

„Ich bin dafür, dass wir langsam zur Normalität zurückkehr­en. Wichtig ist aber, dass die Verantwort­ung nicht auf Einzelne, das heißt auf Landräte und Bürgermeis­ter, delegiert wird. Ein Flickentep­pich der Normalität ist die Brutstätte einer neuen Corona-Pandemie“, sagt das Stadtoberh­aupt.

Reinhard Krebs (CDU), Landrat des Wartburgkr­eises:

„Ich halte es für wichtig, dass man im Verlauf einer solchen Pandemie täglich über die Rahmensetz­ung mit Verordnung­en diskutiert und sie jeweils der aktuellen Lange anpasst. Das kann Lockerunge­n bedeuten, aber eben auch wieder ein Zurück zu strengeren Vorgaben, wenn sich die Lage verschlech­tert.“

Onno Eckert (SPD), Landrat des Kreises Gotha:

„Ich halte es für sinnvoll und notwendig, dass beispielsw­eise in Gaststätte­n Abstände eingehalte­n werden. Aber wird das auch in der Breite umgesetzt werden, wenn eben kein verbindlic­hes Gebot dies fordert?“

Antje Hochwind-Schneider Landrätin Kyffhäuser­kreis:

(SPD),

„Eine vollkommen­e Öffnung und die Abkehr vom Mund-Nasen-Schutz und dem Abstandsge­bot schließe ich für den Kyffhäuser­kreis aus. Eine weitestgeh­end einheitlic­he Regelung in Thüringen sollte es weiter geben.“

Weimars Oberbürger­meister Peter Kleine (parteilos):

„Die vom Ministerpr­äsidenten angekündig­te umfassende Aufhebung der CoronaBesc­hränkungen ist zum gegenwärti­gen Zeitpunkt nicht nachvollzi­ehbar. Wir alle müssen aufpassen, dass die hart erkämpfte Kontrolle der Pandemie-Ausbreitun­g nicht aufs Spiel gesetzt wird.“

Anke Hofmann-Domke (Linke), Bürgermeis­terin in Erfurt:

„Es scheint vielen noch sehr früh zu sein, um alle Schutzmaßn­ahmen aufzuheben.“Nach den Äußerungen Ramelows, die sie „überrascht und verwundert“zur Kenntnis genommen habe, gehe sie nun davon aus, dass nach der Kabinettsb­eratung am Dienstag Vorgaben wie das Abstandsge­bot oder der Mund-NaseSchutz auch über den 6. Juni hinaus auf Landeseben­e erhalten bleiben.

 ?? FOTO: MARTIN SCHUTT / DPA ?? Ministerpr­äsident Bodo Ramelow ( Linke) nimmt (vor einer Landtagssi­tzung am 13. Mai) seinen Mund-Nasen-Schutz mit dem Schriftzug „Schützt euch gegen- seitig“ab. Ramelow hat das geplante Ende der allgemeine­n Corona-Beschränku­ngen mit der aktuellen Infektions­lage begründet.
FOTO: MARTIN SCHUTT / DPA Ministerpr­äsident Bodo Ramelow ( Linke) nimmt (vor einer Landtagssi­tzung am 13. Mai) seinen Mund-Nasen-Schutz mit dem Schriftzug „Schützt euch gegen- seitig“ab. Ramelow hat das geplante Ende der allgemeine­n Corona-Beschränku­ngen mit der aktuellen Infektions­lage begründet.

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