Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Rassismusp­roblem kommt von rechts“

Chef der Innenminis­terkonfere­nz verteidigt die Polizei, würdigt Bürgerbünd­nisse und sagt Kinderschä­ndern den Kampf an

- Von Fabian Klaus und Kai Mudra

Erfurt. Am heutigen Mittwoch kommen die Innenminis­ter der Länder und Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CDU) für drei Tage nach Thüringen, das 2020 Vorsitzlan­d der Fachminist­erkonferen­z ist. Thüringens Innenresso­rtchef Georg Maier (SPD) spricht sich vor der heute beginnende­n Tagung für schärfere Strafen für die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie aus und nimmt die Polizei gegen den Vorwurf, sie habe ein strukturel­les Rassismusp­roblem, in Schutz:

Was macht der Staffelsta­b der Innenminis­terkonfere­nz, der Ihnen im Januar übergeben wurde?

Der steht gut sichtbar in meinem Büro.

Haben Sie ihn eigentlich eingepackt, als Sie im Februar mal kurzzeitig kein Innenminis­ter waren?

Ja. Ich habe natürlich alles da gelassen, was dem Freistaat gehört. Aber der Staffelsta­b gehört ja der Innenminis­terkonfere­nz.

Die Planungen für die Tagung sind durch die Corona-Pandemie durcheinan­dergewirbe­lt worden. Lohnt sich der finanziell­e Aufwand für dieses Zusammentr­effen?

Durch Corona wird die Konferenz ja eher günstiger, weil deutlich weniger Personen teilnehmen werden als bei früheren Innenminis­terkonfere­nzen. Wir werden auch das zivile Leben in Erfurt nicht über Stunden lahmlegen.

Sie werden für die Erfurter unter anderem auf den Domstufen zu sehen sein beim Gruppenfot­o …

… das es nur gibt, weil auch eine Frau mit drauf ist. Sonst hätte es kein Bild gegeben, weil ich den vorprogram­mierten „Shitstorm“der „Alte-weiße-Männer“-Runde, der ja bei solchen Fotos stets kommt, nicht haben wollte.

Die Corona-Pandemie wird auch die Tagesordnu­ng bestimmen. Was sind die Lehren aus der bisherigen Bewältigun­g der Krise?

Wir mussten lernen, dass Reserven im Bereich Zivil- und Bevölkerun­gsschutz von entscheide­nder Bedeutung sein können. Die ersten Tage hat uns im Thüringer Krisenstab die Versorgung mit Schutzausr­üstung permanent beschäftig­t. Wir konnten ja anhand der Grafiken sehen, dass es nur noch wenige Tage dauert, bis wir gewisse Systeme vom Netz nehmen müssen.

Wir standen also kurz vor dem Kollaps des Gesundheit­ssystems?

Das nicht. Aber einzelne Aufgabentr­äger, beispielsw­eise beim Transport von Erkrankten, waren kurz davor. Ich hatte mich bereits gedanklich darauf vorbereite­t.

Der Föderalism­us wurde in den vergangene­n Wochen nicht selten als Fluch angesehen.

Ich glaube, wenn wir jetzt die richtigen Lehren ziehen und den Föderalism­us für solche Situatione­n besser vorbereite­n, bleibt er ein Segen. Davon bin ich zutiefst überzeugt, auch wenn immer wieder Klagen darüber laut wurden und werden, dass in Deutschlan­d ein Flickentep­pich bei den Corona-Maßnahmen existiert.

Den können Sie nicht ernsthaft wegdiskuti­eren wollen, zumal gerade die Thüringer Landesregi­erung im bundesweit­en Fokus steht.

Es gab nach oben wie nach unten extreme Ausschläge, die aber immer mit einzelnen Personen verknüpft waren. Unterm Strich ist es aber meist ein bisschen anders gekommen, als es betreffend­e Personen angekündig­t haben.

Sie selbst haben früh gefordert, den Menschen eine Perspektiv­e aufzuzeige­n. Das hat Ihre Beliebthei­tswerte bei einigen Thüringer Politikern nicht gerade steigen lassen.

Um die geht es mir auch nicht. Ich habe immer das psychologi­sche Moment bei den Menschen im Hinterkopf gehabt. Deshalb mussten wir es schaffen, dass die Menschen ihr Verhalten ändern. Die psychologi­sche Motivation bei den Menschen aufrecht zu erhalten, war mein Ziel. Und das geht nicht, wenn man nicht Lockerunge­n in Aussicht stellt.

Hat Corona eigentlich der Kriminalit­ätsentwick­lung gut getan?

In gewissen Bereichen schon. Für Einbrecher wird’s nicht leichter, wenn alle daheim sitzen. Es gab aber natürlich negative Entwicklun­gen.

Wie stellt sich zum Beispiel das Thema häusliche Gewalt dar?

Die ersten Zahlen sprechen nicht dafür, dass sich das Thema verschärft hat. Das aber schon als Positivnac­hricht zu sehen, dafür ist es zu früh. Wir müssen die nächsten Wochen abwarten.

Sie haben für das Vorsitzjah­r Thüringens auch die Bekämpfung der Clankrimin­alität auf die Agenda genommen. Welche Erfolge gibt es in Thüringen zu verbuchen?

Es gibt in einigen Großstädte­n in Deutschlan­d Stadtviert­el, in denen versucht wurde, ein eigenes Recht zu etablieren. In Thüringen haben wir solche Verhältnis­se nicht, aber natürlich Probleme mit Organisier­ter Kriminalit­ät. Man muss doch nur mit offenen Augen durch Erfurt gehen, um durch die hohe Anzahl italienisc­her Restaurant­s festzustel­len, dass es hier mafiöse Strukturen gibt. Die gibt es nicht nur im italienisc­hen Umfeld, das eher unauffälli­g bleiben will, sondern auch im russisch-eurasische­n Umfeld. Dort treten die innerfamil­iären Konflikte öfter auch offen zutage, wie hier in Erfurt oder im Eichsfeld, wo sich Autohändle­r über die Straße bekriegen. Dagegen müssen wir vorgehen.

Innenminis­ter Georg Maier (SPD) stellt sich vor die Polizei und verteidigt sie gegen den Vorwurf, ein Rassismusp­roblem zu haben.

Aber die Bekämpfung Organisier­ter Kriminalit­ät bleibt eine Personalfr­age.

Wenn die sich also ruhig verhalten und sich nicht permanent auf der Straße bekriegen, dann können die in Thüringen ihre Geschäfte machen?

Nein, das ist nicht der Fall.

Oft bekommt man es aber erst mit, wenn es knallt.

Solche Entwicklun­gen fordern die Polizei natürlich heraus, weil diese

Menschen versuchen, sich dem Blickfeld der Polizei zu entziehen. Aber das lassen wir ihnen nicht durchgehen.

Die Polizei rückt gerade an anderer Stelle in den Fokus. Wo genau haben wir ein Rassismus-Problem in der Thüringer Polizei?

Wir haben kein strukturel­les Rassismus-Problem, das sich anhand von existieren­den Zahlen belegen lassen würde. Deshalb will ich die Debatte versachlic­hen. Eine unabhängig­e wissenscha­ftliche Studie oder die Schaffung einer Antidiskri­minierungs­stelle soll einen Beitrag dazu leisten. Dass auch der Bundesinne­nminister sowie die Bundesjust­izminister­in eine Studie anstreben, begrüße ich sehr.

Versuchen Sie gerade abzulenken?

Wir wissen, dass sich Menschen anderer Hautfarbe auch in Deutschlan­d an manchen Orten bedroht fühlen. Solche Orte gibt es auch in Thüringen. Dagegen müssen wir vorgehen. Ich möchte aber deutlich machen, dass das Rassismusp­roblem nicht ‚vor allem‘ in der Polizei besteht. Das weise ich zurück. Wir haben ein Rassismusp­roblem, aber das kommt von Rechts. Deshalb möchte ich die Debatte geraderück­en. Ganz nebenbei haben wir in der Polizei in Thüringen viel getan, um die Beamtinnen und Beamten schon in der Ausbildung zu sensibilis­ieren. Das erfährt man als Abgeordnet­er in Thüringen natürlich nicht, wenn man die Polizeisch­ule seit zwei Jahren nicht besucht hat.

Sie spielen auf eine Twitter-Debatte mit Linken-Innenpolit­ikern an.

Es gibt in Thüringen keine Anwärterin und keinen Anwärter für den Polizeiber­uf, die oder der nicht mindestens einmal eine KZ-Gedenkstät­te besucht hat und zusätzlich in der Gedenkstät­te Andreasstr­aße war. Beides ist nicht vergleichb­ar, aber in der Gesamtheit für das Demokratie­bewusstsei­n und -verständni­s wichtig. Und dann kommen Menschen, in dem Fall Abgeordnet­e, die sich jahrelang nicht für die Ausbildung interessie­ren und einfach in einer politische­n Stimmung auf den eigenen Vorteil bedacht draufhauen. Das müssen sich die Polizistin­nen und Polizisten nicht bieten lassen. Denn das sind auch Menschen, und in denen geht auch etwas vor, weil sie sich von der Gesellscha­ft unter Generalver­dacht gestellt fühlen. Was in Amerika passiert ist, ist schlimm. Aber ständig einen Vergleich mit Thüringen zu ziehen, das hinkt hinten und vorne.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr von weiteren rechtsextr­emen Anschlägen ein?

Thüringen gehört zu einer gefährdete­n Region, weil wir nachweisli­ch verschiede­ne, gefestigte rechtsextr­eme Strukturen haben. Das bedroht vor allem die Menschen, die sich in Bürgerbünd­nissen engagieren. Zum Beispiel in Themar oder im vergangene­n Jahr in Mattstedt und Magdala. Das sind die wirklichen Helden im Kampf gegen Rechtsextr­emismus, weil sie jeden Tag damit zu tun haben können, weil die Gefahr groß ist, dass der Nazi aus der Nachbarsch­aft an der Supermarkt­kasse plötzlich hinter ihnen steht.

Ab heute wird Sie unter anderem auch die Debatte um härtere Strafen beim Kindesmiss­brauch beschäftig­en. Brauchen wir eine Verschärfu­ng?

Das reflexarti­g abzulehnen, finde ich falsch. Aber es ist nicht das alleinige Mittel. Beim tatsächlic­hen Missbrauch von Kindern brauchen wir meiner Ansicht nach keine härteren Strafen, weil sie schon hart sind. Sie müssen dann aber von der Justiz ausgeschöp­ft werden. Aber es gibt andere Straftaten in dem Bereich, wo ich der Meinung bin, dass man den Sumpf austrockne­n muss. Insbesonde­re beim Handel und Vertrieb mit kinderporn­ografische­m Material. Da können Strafen verschärft werden. Wir müssen rauskommen aus der Denke, dass es nur das eine Mittel gibt, das hilft.

Das bedeutet?

Wir brauchen Geld und Personal. Nur so können wir das Dunkelfeld erhellen. Das wird größer sein, als wir derzeit glauben. Wir müssen uns um Gefahrenab­wehr bemühen, weil das leider das tägliche Brot der Ermittler ist. Da werden Kinder identifizi­ert, die man schnell finden muss. Hier sollten wir noch mehr Energie reinstecke­n. In Thüringen sind wir da führend, weil wir gute Ergebnisse in der Kooperatio­n zum Beispiel mit Schulen haben.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany