„Rassismusproblem kommt von rechts“
Chef der Innenministerkonferenz verteidigt die Polizei, würdigt Bürgerbündnisse und sagt Kinderschändern den Kampf an
Erfurt. Am heutigen Mittwoch kommen die Innenminister der Länder und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU) für drei Tage nach Thüringen, das 2020 Vorsitzland der Fachministerkonferenz ist. Thüringens Innenressortchef Georg Maier (SPD) spricht sich vor der heute beginnenden Tagung für schärfere Strafen für die Verbreitung von Kinderpornografie aus und nimmt die Polizei gegen den Vorwurf, sie habe ein strukturelles Rassismusproblem, in Schutz:
Was macht der Staffelstab der Innenministerkonferenz, der Ihnen im Januar übergeben wurde?
Der steht gut sichtbar in meinem Büro.
Haben Sie ihn eigentlich eingepackt, als Sie im Februar mal kurzzeitig kein Innenminister waren?
Ja. Ich habe natürlich alles da gelassen, was dem Freistaat gehört. Aber der Staffelstab gehört ja der Innenministerkonferenz.
Die Planungen für die Tagung sind durch die Corona-Pandemie durcheinandergewirbelt worden. Lohnt sich der finanzielle Aufwand für dieses Zusammentreffen?
Durch Corona wird die Konferenz ja eher günstiger, weil deutlich weniger Personen teilnehmen werden als bei früheren Innenministerkonferenzen. Wir werden auch das zivile Leben in Erfurt nicht über Stunden lahmlegen.
Sie werden für die Erfurter unter anderem auf den Domstufen zu sehen sein beim Gruppenfoto …
… das es nur gibt, weil auch eine Frau mit drauf ist. Sonst hätte es kein Bild gegeben, weil ich den vorprogrammierten „Shitstorm“der „Alte-weiße-Männer“-Runde, der ja bei solchen Fotos stets kommt, nicht haben wollte.
Die Corona-Pandemie wird auch die Tagesordnung bestimmen. Was sind die Lehren aus der bisherigen Bewältigung der Krise?
Wir mussten lernen, dass Reserven im Bereich Zivil- und Bevölkerungsschutz von entscheidender Bedeutung sein können. Die ersten Tage hat uns im Thüringer Krisenstab die Versorgung mit Schutzausrüstung permanent beschäftigt. Wir konnten ja anhand der Grafiken sehen, dass es nur noch wenige Tage dauert, bis wir gewisse Systeme vom Netz nehmen müssen.
Wir standen also kurz vor dem Kollaps des Gesundheitssystems?
Das nicht. Aber einzelne Aufgabenträger, beispielsweise beim Transport von Erkrankten, waren kurz davor. Ich hatte mich bereits gedanklich darauf vorbereitet.
Der Föderalismus wurde in den vergangenen Wochen nicht selten als Fluch angesehen.
Ich glaube, wenn wir jetzt die richtigen Lehren ziehen und den Föderalismus für solche Situationen besser vorbereiten, bleibt er ein Segen. Davon bin ich zutiefst überzeugt, auch wenn immer wieder Klagen darüber laut wurden und werden, dass in Deutschland ein Flickenteppich bei den Corona-Maßnahmen existiert.
Den können Sie nicht ernsthaft wegdiskutieren wollen, zumal gerade die Thüringer Landesregierung im bundesweiten Fokus steht.
Es gab nach oben wie nach unten extreme Ausschläge, die aber immer mit einzelnen Personen verknüpft waren. Unterm Strich ist es aber meist ein bisschen anders gekommen, als es betreffende Personen angekündigt haben.
Sie selbst haben früh gefordert, den Menschen eine Perspektive aufzuzeigen. Das hat Ihre Beliebtheitswerte bei einigen Thüringer Politikern nicht gerade steigen lassen.
Um die geht es mir auch nicht. Ich habe immer das psychologische Moment bei den Menschen im Hinterkopf gehabt. Deshalb mussten wir es schaffen, dass die Menschen ihr Verhalten ändern. Die psychologische Motivation bei den Menschen aufrecht zu erhalten, war mein Ziel. Und das geht nicht, wenn man nicht Lockerungen in Aussicht stellt.
Hat Corona eigentlich der Kriminalitätsentwicklung gut getan?
In gewissen Bereichen schon. Für Einbrecher wird’s nicht leichter, wenn alle daheim sitzen. Es gab aber natürlich negative Entwicklungen.
Wie stellt sich zum Beispiel das Thema häusliche Gewalt dar?
Die ersten Zahlen sprechen nicht dafür, dass sich das Thema verschärft hat. Das aber schon als Positivnachricht zu sehen, dafür ist es zu früh. Wir müssen die nächsten Wochen abwarten.
Sie haben für das Vorsitzjahr Thüringens auch die Bekämpfung der Clankriminalität auf die Agenda genommen. Welche Erfolge gibt es in Thüringen zu verbuchen?
Es gibt in einigen Großstädten in Deutschland Stadtviertel, in denen versucht wurde, ein eigenes Recht zu etablieren. In Thüringen haben wir solche Verhältnisse nicht, aber natürlich Probleme mit Organisierter Kriminalität. Man muss doch nur mit offenen Augen durch Erfurt gehen, um durch die hohe Anzahl italienischer Restaurants festzustellen, dass es hier mafiöse Strukturen gibt. Die gibt es nicht nur im italienischen Umfeld, das eher unauffällig bleiben will, sondern auch im russisch-eurasischen Umfeld. Dort treten die innerfamiliären Konflikte öfter auch offen zutage, wie hier in Erfurt oder im Eichsfeld, wo sich Autohändler über die Straße bekriegen. Dagegen müssen wir vorgehen.
Innenminister Georg Maier (SPD) stellt sich vor die Polizei und verteidigt sie gegen den Vorwurf, ein Rassismusproblem zu haben.
Aber die Bekämpfung Organisierter Kriminalität bleibt eine Personalfrage.
Wenn die sich also ruhig verhalten und sich nicht permanent auf der Straße bekriegen, dann können die in Thüringen ihre Geschäfte machen?
Nein, das ist nicht der Fall.
Oft bekommt man es aber erst mit, wenn es knallt.
Solche Entwicklungen fordern die Polizei natürlich heraus, weil diese
Menschen versuchen, sich dem Blickfeld der Polizei zu entziehen. Aber das lassen wir ihnen nicht durchgehen.
Die Polizei rückt gerade an anderer Stelle in den Fokus. Wo genau haben wir ein Rassismus-Problem in der Thüringer Polizei?
Wir haben kein strukturelles Rassismus-Problem, das sich anhand von existierenden Zahlen belegen lassen würde. Deshalb will ich die Debatte versachlichen. Eine unabhängige wissenschaftliche Studie oder die Schaffung einer Antidiskriminierungsstelle soll einen Beitrag dazu leisten. Dass auch der Bundesinnenminister sowie die Bundesjustizministerin eine Studie anstreben, begrüße ich sehr.
Versuchen Sie gerade abzulenken?
Wir wissen, dass sich Menschen anderer Hautfarbe auch in Deutschland an manchen Orten bedroht fühlen. Solche Orte gibt es auch in Thüringen. Dagegen müssen wir vorgehen. Ich möchte aber deutlich machen, dass das Rassismusproblem nicht ‚vor allem‘ in der Polizei besteht. Das weise ich zurück. Wir haben ein Rassismusproblem, aber das kommt von Rechts. Deshalb möchte ich die Debatte geraderücken. Ganz nebenbei haben wir in der Polizei in Thüringen viel getan, um die Beamtinnen und Beamten schon in der Ausbildung zu sensibilisieren. Das erfährt man als Abgeordneter in Thüringen natürlich nicht, wenn man die Polizeischule seit zwei Jahren nicht besucht hat.
Sie spielen auf eine Twitter-Debatte mit Linken-Innenpolitikern an.
Es gibt in Thüringen keine Anwärterin und keinen Anwärter für den Polizeiberuf, die oder der nicht mindestens einmal eine KZ-Gedenkstätte besucht hat und zusätzlich in der Gedenkstätte Andreasstraße war. Beides ist nicht vergleichbar, aber in der Gesamtheit für das Demokratiebewusstsein und -verständnis wichtig. Und dann kommen Menschen, in dem Fall Abgeordnete, die sich jahrelang nicht für die Ausbildung interessieren und einfach in einer politischen Stimmung auf den eigenen Vorteil bedacht draufhauen. Das müssen sich die Polizistinnen und Polizisten nicht bieten lassen. Denn das sind auch Menschen, und in denen geht auch etwas vor, weil sie sich von der Gesellschaft unter Generalverdacht gestellt fühlen. Was in Amerika passiert ist, ist schlimm. Aber ständig einen Vergleich mit Thüringen zu ziehen, das hinkt hinten und vorne.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr von weiteren rechtsextremen Anschlägen ein?
Thüringen gehört zu einer gefährdeten Region, weil wir nachweislich verschiedene, gefestigte rechtsextreme Strukturen haben. Das bedroht vor allem die Menschen, die sich in Bürgerbündnissen engagieren. Zum Beispiel in Themar oder im vergangenen Jahr in Mattstedt und Magdala. Das sind die wirklichen Helden im Kampf gegen Rechtsextremismus, weil sie jeden Tag damit zu tun haben können, weil die Gefahr groß ist, dass der Nazi aus der Nachbarschaft an der Supermarktkasse plötzlich hinter ihnen steht.
Ab heute wird Sie unter anderem auch die Debatte um härtere Strafen beim Kindesmissbrauch beschäftigen. Brauchen wir eine Verschärfung?
Das reflexartig abzulehnen, finde ich falsch. Aber es ist nicht das alleinige Mittel. Beim tatsächlichen Missbrauch von Kindern brauchen wir meiner Ansicht nach keine härteren Strafen, weil sie schon hart sind. Sie müssen dann aber von der Justiz ausgeschöpft werden. Aber es gibt andere Straftaten in dem Bereich, wo ich der Meinung bin, dass man den Sumpf austrocknen muss. Insbesondere beim Handel und Vertrieb mit kinderpornografischem Material. Da können Strafen verschärft werden. Wir müssen rauskommen aus der Denke, dass es nur das eine Mittel gibt, das hilft.
Das bedeutet?
Wir brauchen Geld und Personal. Nur so können wir das Dunkelfeld erhellen. Das wird größer sein, als wir derzeit glauben. Wir müssen uns um Gefahrenabwehr bemühen, weil das leider das tägliche Brot der Ermittler ist. Da werden Kinder identifiziert, die man schnell finden muss. Hier sollten wir noch mehr Energie reinstecken. In Thüringen sind wir da führend, weil wir gute Ergebnisse in der Kooperation zum Beispiel mit Schulen haben.