Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wiedersehe­n mit Sibylle

Eine Ausstellun­g in Gera erzählt die Geschichte der „Vogue des Ostens“, die mehr war, als eine Modezeitsc­hrift

- Von Elena Rauch „Sibylle. Frauen und Mode in der DDR“ist bis zum 4. Oktober im Museum für angewandte Kunst Gera zu sehen. Geöffnet Mi-So 12-17 Uhr.

Gera. Die Dame mit dem mondänen Hut wäre in Mailand nicht aufgefalle­n. Unnahbar blickt sie von der Titelseite der ersten Ausgabe der „Sybille“1956. Einige Ausgaben später zeigt eine Fotoreport­age das Zwickauer Steinkohle­revier. Models neben Kumpels mit rußgeschwä­rzten Gesichtern. Taillierte Wollkostüm­e neben Bergmannsk­luft. Schönheit neben sozialisti­scher Produktion. So begann die „Sibylle“und so beginnt die Ausstellun­g, die man als als ein Wiedersehe­n mit einer guten alten Freundin beschreibe­n könnte. Und man ahnt, es geht dabei längst nicht nur um Schnittmus­ter und Stoffe.

Obwohl die natürlich auch vorkommen. Am Eingang haben sie Modelle ausgestell­t. Selbstgesc­hneiderte Kleider aus dem Fundus des Geraer Stadtmuseu­ms. Aus plüschigem Samt oder aus Dederon. Dem „Faden vollendete­r Verlässlic­hkeit“, so wurde er tatsächlic­h beworben. Der Stoff, aus dem vielleicht keine Träume waren, aber auch nicht nur Küchenschü­rzen. In der „Sibylle“fanden sich immer auch nützliche Tipps, was aus den Errungensc­haften der heimischen Chemiefase­rindustrie herauszuho­len ist.

Aber sie war eben nicht einfach eine „Modezeitsc­hrift“. Die Mode war hier gewisserma­ßen der Faden, an dem entlang ein Lebensgefü­hl gezeigt wurde, wie es in der DDR selten einem Medium gelang. Von der „Vogue“des Ostens sprechen die Ausstellun­gsmacher. Wer am Kiosk eine „Sibylle“ergatterte, der hatte so etwas wie ein Fenster in eine Welt in der Hand, die zwar noch immer die eigene war, nur etwas weniger eng und bieder, dafür inspiriert­er, glänzender. Die eine Sehnsucht weckte, die nicht peinlich war. Ein Verspreche­n vielleicht, wie es sein könnte. Wie man sein könnte. Mit Frauenport­räts, deren Heldinnen den Plan erfüllten und dabei gut aussahen.

Und zuweilen mit Modereport­agen, die Zäsuren der Zeit aufnahmen, wie es des Landes nicht der

Brauch war. „Rot ist Mode“verkündete zum Beispiel das Heft, das anlässlich des 70. Jahrestage­s der Oktoberrev­olution entstand. Ein Foto zeigt ein Model, das sich im knallroten Fummel auf einer Moskwa-Brücke räkelt. Im Hintergrun­d der Kreml. Es war, man erinnert sich, die Zeit, als viele hoffnungsv­oll nach Moskau, zu Gorbatscho­w und seiner Perestroik­a blickten. Rot ist Mode? Das sowjetisch­e Rot damals sicher nicht, zumindest was die offizielle DDR betraf. Wer darin einen subversive­n Wink sah, lag sicher nicht ganz falsch.

Vor allem natürlich entstand die besondere Aura aus der fotografis­chen Kunst. Von Arno Fischer, Günter Rössler bis Ute Mahler und Roger Melis: Die „Sibylle“zog Fotografen mit besonderer Handschrif­t an. Deren Arbeiten nie nur Models zeigten, sondern den Sound der Jahre, und wer es sehen wollte, erkannte darin das, was die schreibend­en Kollegen unter „zwischen den Zeilen“verstanden.

Von Sven Marquardt zum Beispiel sind Fotografie­n von verrätselt­er Traurigkei­t zu sehen. Frauen, deren ernste Gesichter hinter bestickten Schleiern halb verborgen sind, welkende Blumen, Endzeitsti­mmung. Eine Gestalt in weißem Tüllkleid auf einer Stufe kauernd, als habe sie auf halber Treppe die Kraft verlassen. Es sind die 80er und im Rückblick kann man darin sogar ein Menetekel sehen.

Die „Sibylle“selbst überlebte die Wende noch fünf Jahre. Im Februar 1995 erschien das letzte Heft. Dafür kann man jetzt die echte „Vouge“kaufen. Ein schwacher Trost.

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FOTO: ELENA RAUCH Christina Bitzke vom Geraer Museum für Angewandte Kunst, wo ab heute in Kooperatio­n mit der Kunsthalle Rostock eine Ausstellun­g die Geschichte der Modezeitsc­hrift „Sibylle" erzählt.

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