Wiedersehen mit Sibylle
Eine Ausstellung in Gera erzählt die Geschichte der „Vogue des Ostens“, die mehr war, als eine Modezeitschrift
Gera. Die Dame mit dem mondänen Hut wäre in Mailand nicht aufgefallen. Unnahbar blickt sie von der Titelseite der ersten Ausgabe der „Sybille“1956. Einige Ausgaben später zeigt eine Fotoreportage das Zwickauer Steinkohlerevier. Models neben Kumpels mit rußgeschwärzten Gesichtern. Taillierte Wollkostüme neben Bergmannskluft. Schönheit neben sozialistischer Produktion. So begann die „Sibylle“und so beginnt die Ausstellung, die man als als ein Wiedersehen mit einer guten alten Freundin beschreiben könnte. Und man ahnt, es geht dabei längst nicht nur um Schnittmuster und Stoffe.
Obwohl die natürlich auch vorkommen. Am Eingang haben sie Modelle ausgestellt. Selbstgeschneiderte Kleider aus dem Fundus des Geraer Stadtmuseums. Aus plüschigem Samt oder aus Dederon. Dem „Faden vollendeter Verlässlichkeit“, so wurde er tatsächlich beworben. Der Stoff, aus dem vielleicht keine Träume waren, aber auch nicht nur Küchenschürzen. In der „Sibylle“fanden sich immer auch nützliche Tipps, was aus den Errungenschaften der heimischen Chemiefaserindustrie herauszuholen ist.
Aber sie war eben nicht einfach eine „Modezeitschrift“. Die Mode war hier gewissermaßen der Faden, an dem entlang ein Lebensgefühl gezeigt wurde, wie es in der DDR selten einem Medium gelang. Von der „Vogue“des Ostens sprechen die Ausstellungsmacher. Wer am Kiosk eine „Sibylle“ergatterte, der hatte so etwas wie ein Fenster in eine Welt in der Hand, die zwar noch immer die eigene war, nur etwas weniger eng und bieder, dafür inspirierter, glänzender. Die eine Sehnsucht weckte, die nicht peinlich war. Ein Versprechen vielleicht, wie es sein könnte. Wie man sein könnte. Mit Frauenporträts, deren Heldinnen den Plan erfüllten und dabei gut aussahen.
Und zuweilen mit Modereportagen, die Zäsuren der Zeit aufnahmen, wie es des Landes nicht der
Brauch war. „Rot ist Mode“verkündete zum Beispiel das Heft, das anlässlich des 70. Jahrestages der Oktoberrevolution entstand. Ein Foto zeigt ein Model, das sich im knallroten Fummel auf einer Moskwa-Brücke räkelt. Im Hintergrund der Kreml. Es war, man erinnert sich, die Zeit, als viele hoffnungsvoll nach Moskau, zu Gorbatschow und seiner Perestroika blickten. Rot ist Mode? Das sowjetische Rot damals sicher nicht, zumindest was die offizielle DDR betraf. Wer darin einen subversiven Wink sah, lag sicher nicht ganz falsch.
Vor allem natürlich entstand die besondere Aura aus der fotografischen Kunst. Von Arno Fischer, Günter Rössler bis Ute Mahler und Roger Melis: Die „Sibylle“zog Fotografen mit besonderer Handschrift an. Deren Arbeiten nie nur Models zeigten, sondern den Sound der Jahre, und wer es sehen wollte, erkannte darin das, was die schreibenden Kollegen unter „zwischen den Zeilen“verstanden.
Von Sven Marquardt zum Beispiel sind Fotografien von verrätselter Traurigkeit zu sehen. Frauen, deren ernste Gesichter hinter bestickten Schleiern halb verborgen sind, welkende Blumen, Endzeitstimmung. Eine Gestalt in weißem Tüllkleid auf einer Stufe kauernd, als habe sie auf halber Treppe die Kraft verlassen. Es sind die 80er und im Rückblick kann man darin sogar ein Menetekel sehen.
Die „Sibylle“selbst überlebte die Wende noch fünf Jahre. Im Februar 1995 erschien das letzte Heft. Dafür kann man jetzt die echte „Vouge“kaufen. Ein schwacher Trost.