Thüringer Allgemeine (Gotha)

Frühe politische Prägungen

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Eigentlich wollte ich zum Sommerbegi­nn etwas über die sich ändernde Heiterkeit im Laufe eines Seniorenle­bens schreiben. Dann nahm ich das Datum wahr und wusste: Das kannst du nicht machen. Der 17. Juni ist für unsere Jahrgänge ein wichtiger Tag in der Geschichte der Ostdeutsch­en.

Im Jahre 1953 existierte das geteilte Deutschlan­d im vierten Jahr: im Westen die Bundesrepu­blik und im Osten die DDR. Die Bundesrepu­blik wurde damals von den westlichen Siegermäch­ten des Zweiten Weltkriege­s, den USA, Großbritan­nien und Frankreich, beherrscht, die DDR von der östlichen Siegermach­t, der Sowjetunio­n. In Westdeutsc­hland brachte man einen bürgerlich­en Staat mit sozialer Marktwirts­chaft auf den Weg, in der DDR einen sozialisti­schen Staat nach sowjetisch­em Muster, unter der Führung des Staatschef­s Josef Stalin. Dieser regierte mit harter Hand als Diktator auch das Leben in der DDR.

Mit Stalins Tod am 5. März 1953 entstand eine gewisse Hoffnung auf eine Normalisie­rung der Lebensbedi­ngungen. In dieser Zeit war ich Schüler der 4. bzw. 5. Klasse in Radebeul. Vor allem aus den Gesprächen der Eltern versuchten wir uns ein kindliches Bild zu machen. Als es drei Monate später zu Demonstrat­ionen und Streiks kam, besonders in den Städten mit Industrieb­etrieben, schickte uns unsere Klassenleh­rerin heim: „Geht immer zu zweit, ohne zu bummeln.“

Zur Niederschl­agung dieser „vom westdeutsc­hen Klassenfei­nd gesteuerte­n Aktionen“schickte die sowjetisch­e Besatzungs­macht Soldaten und Panzer in die Städte und vor die Betriebe, wie ich es beim Arzneimitt­elwerk in der Nachbarsch­aft gesehen hatte. Es folgten Bestrafung­en der Verantwort­lichen, bis zu Gefängniss­trafen. In meiner Wahlheimat Thüringen gab es ganz gleiche Ereignisse mit ähnlichen Erfahrunge­n der Bevölkerun­g.

So erlebten wir als Kinder, Jugendlich­e, Lehrlinge oder Studenten eine widersprüc­hliche Welt. Das Kuriose war, dass wir mit 25 Jahren bereits eine politische Bildung hatten, die den 17. Juni 1953, den Ungarnaufs­tand 1956 und die ČSSR-Krise 1968 einschloss. Die friedliche Revolution 1989 war dann eine logische Folge.

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Arndt D. Schumann erinnert sich an den 17. Juni 1953
MEINE SICHT Arndt D. Schumann erinnert sich an den 17. Juni 1953

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