Thüringer Allgemeine (Gotha)

Nachruf auf den Thüringer Fußball

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Es ist schon 23 Jahre her. 7. März 1997: Der FC Carl Zeiss empfängt in der 2. Bundesliga den 1. FC Kaiserslau­tern. Die „Roten Teufel“kommen mit Startraine­r Otto Rehhagel und Andreas Brehme, der Deutschlan­d 1990 zum WM-Sieg schoss, ins Jenaer Paradies.

Und wir sind mit dabei im ErnstAbbe-Sportfeld. Mit 14 Jahren geht es natürlich dahin, wo es laut ist, wo die beste Stimmung herrscht – in die Südkurve. Und der Underdog aus Thüringen zeigt seine früher bekannte Tugend: Er kämpft verbissen gegen den schier übermächti­gen Gegner. Als der eingewechs­elte Wynton Rufer, vielen besser bekannt als „Kiwi“, seine Lauterer in der 57. Minute in Führung bringt, scheint das Spiel seinen erwarteten Verlauf zu nehmen.

Beim FCC gibt es aber eine ganze Reihe von Spielern, die etwas dagegen haben. Zwei 23-Jährige zum Beispiel. Einer heißt Bernd Schneider und offenbart schon seine technische Brillanz, die ihn später zum Vize-Weltmeiste­r macht. Der andere, Mark Zimmermann, trifft in der 71. Minute zum verdienten Ausgleich.

Rehhagel tobt und wird von ExNational­spieler Martin Wagner erhört – 1:2 (73.). Doch das Spiel ist noch nicht vorbei und Jenas Leitwolf Olaf Holetschek packt in der 84. Minute ein Pfund aus – der 2:2Endstand. In der Südkurve fordert der „Uffta-Mann“seine Doppel-F’s und das Telekom-T, die Feier mit der Mannschaft kann beginnen und der 14-Jährige, der für den SV 1924 Münchenber­nsdorf stürmt, überlegt, ob ein Mark-Zimmermann-Trikot nicht das von Jürgen Klinsmann fürs Training gut ergänzen würde. Und ob der Vater sich nach dem tollen Spiel vielleicht spendabel zeigt.

Es war die gute alte Zeit, als Thüringen noch einen Namen hatte auf Deutschlan­ds Fußball-Landkarte. Und sich die hiesigen Vereine zumindest hin und wieder anschickte­n, die Großen zu ärgern.

Etwas mehr als ein Jahr später war Kaiserslau­tern übrigens Deutscher Meister. Und Jena – abgestiege­n. Zimmermann, Schneider und Holetschek schlossen sich besseren Teams an. Vielleicht schon ein Fingerzeig für den Niedergang des Thüringer Fußballs?

In der kommenden Saison 2020/21 ist kein Thüringer Club mehr drittklass­ig. Und das zum ersten Mal in der Nachwendez­eit. Die hiesigen Leuchttürm­e flackern entweder gehörig, wie der FC Carl Zeiss Jena, der schon sechs Spieltage vor Saisonende als Absteiger in die Regionalli­ga feststeht. Oder sie sind fast ganz erloschen – wie beim FC Rot-Weiß Erfurt.

Wer kann sich in der Landeshaup­tstadt nicht mehr erinnern an die „Mission 2016“? 2013 wurde das, zugegebene­rmaßen, ehrgeizige Ziel ausgerufen, ab 2016 wieder in der 2. Bundesliga zu kicken. Heute,

sieben Jahre später, ruht im neugebaute­n Steigerwal­dstadion der Ball. In der kommenden Saison spielen die Rot-Weißen, wenn überhaupt, fünftklass­ig im Stadion an der Grubenstra­ße. Ein Traditions­verein, der in der ewigen Tabelle der 3. Liga aktuell immer noch auf Rang vier liegt. Traurig, bitter, unverständ­lich.

Auch der Hoffnungsf­unke aus dem Norden Thüringens ist erloschen, Wacker Nordhausen insolvent, die Träume von der 3. Liga passé. Einzig der ZFC Meuselwitz scheint von den Vorzeigecl­ubs aus dem Freistaat der zu sein, der in den kommenden Jahren keine finanziell­en Probleme haben wird. Angesichts der Lage bei den anderen Clubs eine Meisterlei­stung, die größten Respekt abverlangt. Den Thüringer Fußball ab der Saison 2021/22 zurück in die Drittklass­igkeit zu führen, ist und kann aber nicht der Anspruch der Ostthüring­er sein.

Die Blicke gehen diesbezügl­ich nach Jena. Dass der Meister der Regionalli­ga Nordost in der kommenden Saison direkt aufsteigt ohne Relegation, klingt verheißung­svoll. Die Vereinsges­chichte der Saalestädt­er spricht aber dagegen. Beim ersten Absturz des FC Carl Zeiss in die Viertklass­igkeit 2001 dauerte das Tief vier Jahre. Beim zweiten 2012 dauerte es sogar fünf Jahre bis zum Wiederaufs­tieg.

Es bleibt die Frage: Warum ist es in Thüringen nicht möglich, dauerhaft in der 3. Liga zu spielen und zumindest hin und wieder einmal von der 2. Bundesliga zu träumen?

Antworten müssen die Vereinsver­antwortlic­hen finden. Und es in Zukunft besser machen.

Bis es soweit ist, bleibt uns nur die Erinnerung an die gute, alte Zeit. Schön war’s.

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