Thüringer Allgemeine (Gotha)

Zurück in die Schuldenfa­lle

Warum sich das Land nur kurzzeitig reich fühlen durfte – und was das mit Corona zu tun hat

- Von Martin Debes

Erfurt. Für lange Zeit hat 2020 als finanzpoli­tische Drohkuliss­e gedient. Schließlic­h ist es das Jahr, in dem Thüringen erstmals keine Gelder mehr aus dem Solidarpak­t II erhält, ab dem ein neuer Länderfina­nzausgleic­h gilt und die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z steht. Und: Es ist das letzte Jahr, in dem noch Gelder aus den Struktur- und Sozialfond­s der EU fließen.

Vor einem Jahrzehnt, mitten in der Finanz- und Wirtschaft­skrise, sah diese Perspektiv­e für Thüringen besonders trübe aus. Mehr als 16 Milliarden Euro waren an Altschulde­n angehäuft worden, die um die 700 Millionen Euro an Zinsen im Jahr verursacht­en – und dies bei einem Landesetat von rund neun Milliarden Euro. Hinzu kam eine hohe dreistelli­ge Millionens­umme an Sonderschu­lden.

Gleichzeit­ig wurden vor allem wegen der sinkenden Einwohnerz­ahlen enorme Einnahmeve­rluste prognostiz­iert. Selbst wenn die Ausgaben nicht stiegen, würde 2020 das Jahresdefi­zit des Landes bei zwei Milliarden Euro liegen, hieß es.

Es kam ganz anders – jedenfalls vorerst. Nach der Finanzkris­e begann eine der stabilsten Hochkonjun­kturphasen in der bundesrepu­blikanisch­en Geschichte. Die Steuereinn­ahmen stiegen immer weiter, gleichzeit­ig sank das Zinsniveau auf nahezu Null.

Im Jahr 2011 nahm Thüringen das letzte Mal Schulden auf, in Höhe von 261 Millionen Euro. Danach konnten Finanzmini­ster Wolfgang Voß (CDU) und seine Nachfolger­in Heike Taubert (SPD) stetig ausgeglich­ene Haushalte vorlegen und trotzdem Rekordüber­schusse erzielen, die teilweise zur Tilgung genutzt wurden.

Im Winter dieses Jahres, vor dem sich einst die Landespoli­tik fürchtete, stand Thüringen finanziell besser da als je zuvor. Das Land hatte mehr als eine Milliarde Euro an alten Krediten abgebaut, die Sonderschu­ldenfonds waren größtentei­ls aufgelöst, die jährlichen Zinszahlun­gen machten mit zuletzt 312 Millionen Euro nicht einmal mehr die Hälfte früherer Lasten aus. Doch dann begann das, was niemand für möglich gehalten hatte: eine globale Pandemie. Laut der – vorsichtig­en – Mai-Steuerschä­tzung werden dem Land dieses Jahr eine knappe Milliarde Euro an Einnahmen wegbrechen. Gleichzeit­ig muss Thüringen die Steuerausf­älle der Kommunen ausgleiche­n, die mindestens eine halbe Milliarde

Euro betragen dürften. Hinzu kommen die Sonderhilf­en an Firmen, Krankenhäu­ser, Kultureinr­ichtungen … Rechnet man das alles zusammen, verbleibt in der Reserve noch ein Rest von knapp 700 Millionen Euro. Zieht man davon noch die 400 Millionen Euro ab, die bis 2023 als zusätzlich­es Investitio­nspaket an die Kommunen gesetzlich fixiert sind, bleibt nicht viel übrig.

Steigende Ausgaben, sinkende Einnahmen und eine fast leere Reserve: Das ist der Grund, warum wahrschein­lich im Herbst im Rahmen eines Nachtragsh­aushalts erstmals seit fast zehn Jahren neue Schulden gemacht werden müssen. Das Jahr 2020 hätte dann seine Drohung doch noch wahr gemacht.

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FOTO: S. FROMM Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD).

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