Zurück in die Schuldenfalle
Warum sich das Land nur kurzzeitig reich fühlen durfte – und was das mit Corona zu tun hat
Erfurt. Für lange Zeit hat 2020 als finanzpolitische Drohkulisse gedient. Schließlich ist es das Jahr, in dem Thüringen erstmals keine Gelder mehr aus dem Solidarpakt II erhält, ab dem ein neuer Länderfinanzausgleich gilt und die Schuldenbremse im Grundgesetz steht. Und: Es ist das letzte Jahr, in dem noch Gelder aus den Struktur- und Sozialfonds der EU fließen.
Vor einem Jahrzehnt, mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise, sah diese Perspektive für Thüringen besonders trübe aus. Mehr als 16 Milliarden Euro waren an Altschulden angehäuft worden, die um die 700 Millionen Euro an Zinsen im Jahr verursachten – und dies bei einem Landesetat von rund neun Milliarden Euro. Hinzu kam eine hohe dreistellige Millionensumme an Sonderschulden.
Gleichzeitig wurden vor allem wegen der sinkenden Einwohnerzahlen enorme Einnahmeverluste prognostiziert. Selbst wenn die Ausgaben nicht stiegen, würde 2020 das Jahresdefizit des Landes bei zwei Milliarden Euro liegen, hieß es.
Es kam ganz anders – jedenfalls vorerst. Nach der Finanzkrise begann eine der stabilsten Hochkonjunkturphasen in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Steuereinnahmen stiegen immer weiter, gleichzeitig sank das Zinsniveau auf nahezu Null.
Im Jahr 2011 nahm Thüringen das letzte Mal Schulden auf, in Höhe von 261 Millionen Euro. Danach konnten Finanzminister Wolfgang Voß (CDU) und seine Nachfolgerin Heike Taubert (SPD) stetig ausgeglichene Haushalte vorlegen und trotzdem Rekordüberschusse erzielen, die teilweise zur Tilgung genutzt wurden.
Im Winter dieses Jahres, vor dem sich einst die Landespolitik fürchtete, stand Thüringen finanziell besser da als je zuvor. Das Land hatte mehr als eine Milliarde Euro an alten Krediten abgebaut, die Sonderschuldenfonds waren größtenteils aufgelöst, die jährlichen Zinszahlungen machten mit zuletzt 312 Millionen Euro nicht einmal mehr die Hälfte früherer Lasten aus. Doch dann begann das, was niemand für möglich gehalten hatte: eine globale Pandemie. Laut der – vorsichtigen – Mai-Steuerschätzung werden dem Land dieses Jahr eine knappe Milliarde Euro an Einnahmen wegbrechen. Gleichzeitig muss Thüringen die Steuerausfälle der Kommunen ausgleichen, die mindestens eine halbe Milliarde
Euro betragen dürften. Hinzu kommen die Sonderhilfen an Firmen, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen … Rechnet man das alles zusammen, verbleibt in der Reserve noch ein Rest von knapp 700 Millionen Euro. Zieht man davon noch die 400 Millionen Euro ab, die bis 2023 als zusätzliches Investitionspaket an die Kommunen gesetzlich fixiert sind, bleibt nicht viel übrig.
Steigende Ausgaben, sinkende Einnahmen und eine fast leere Reserve: Das ist der Grund, warum wahrscheinlich im Herbst im Rahmen eines Nachtragshaushalts erstmals seit fast zehn Jahren neue Schulden gemacht werden müssen. Das Jahr 2020 hätte dann seine Drohung doch noch wahr gemacht.