Thüringer Allgemeine (Gotha)

Mietstundu­ng bis Ende September?

Gewerkscha­ften, Verbrauche­rschützer und Mieterbund wollen Corona-Hilfe verlängern. Koalition ist gespalten

- Von Alessandro Peduto und Tobias Kisling

Berlin. Zehntausen­de private Haushalte in Deutschlan­d ächzen seit Wochen unter den Folgen der Pandemie. Weil zahlreiche Wirtschaft­sbereiche teilweise oder vollständi­g zum Erliegen gekommen sind, befinden sich die Beschäftig­ten in Kurzarbeit und haben somit unter dem Strich weniger Geld zur Verfügung. Etliche Solo-Selbststän­dige trifft es noch härter. Ihnen sind in der Corona-Krise mitunter die kompletten Einnahmen weggebroch­en, während die laufenden Kosten etwa für Miete oder Kredite weiter bezahlt werden müssen.

Um Betroffene­n in der aktuellen Lage ein wenig Luft zu verschaffe­n, hat der Bundestag Ende März eine Regelung auf den Weg gebracht, wonach Mietern, die wegen der Corona-Pandemie ihre Miete nicht zahlen können, von Anfang April bis Ende Juni nicht gekündigt werden darf. Auch bei Immobilien­krediten sowie Rechnungen für Strom oder Gas ist für diesen Zeitraum ein Zahlungsau­fschub möglich. Allerdings läuft die Sonderrege­lung Ende Juni aus, und das, obwohl der weitere Verlauf der Pandemie noch keineswegs absehbar ist.

Gewerkscha­ften und Verbrauche­rschützer sind alarmiert. Sie fordern die Politik auf, das dreimonati­ge Moratorium zu verlängern und damit den Schutz vor den wirtschaft­lichen Folgen der CoronaKris­e zu verbessern. In einer gemeinsame­n Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt, fordern der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB), der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) und der Deutsche Mieterbund (DMB) die Politik zum raschen Handeln auf. Das Moratorium für die Zahlung von Miete, Strom, Gas, Telefon und laufenden Krediten müsse um drei Monate bis Ende September verlängert werden.

Eigentümer­verband spricht von „ideologisc­hem Gefecht“

Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkott­en sagte unserer Redaktion, Verbrauche­r benötigten die Sicherheit, „dass ihr Mietvertra­g aufgrund krisenbedi­ngter Zahlungsrü­ckstände nicht gekündigt wird, dass ihnen der Strom nicht abgeschalt­et wird und ihnen keine Privatinso­lvenz droht, weil sie ihren Kredit vorübergeh­end nicht abbezahlen können“. DGB-Bundesvors­tandsmitgl­ied

Stefan Körzell betont, viele Bürger seien hart von den Pandemie-Maßnahmen betroffen. Es könne noch Monate dauern, bis die Beschäftig­ten „wieder ihr volles Einkommen aufs Konto bekommen“.

Der oberste Verbrauche­rschützer Klaus Müller sieht die Bundesregi­erung im Wort. Sie dürfe „ihr Verspreche­n nicht brechen, alles zu tun, um die wirtschaft­liche Existenz der Menschen in der CoronaKris­e zu sichern“, so Müller. Er betont: „Die eigene Wohnung, die Versorgung mit Strom, Wasser und Kommunikat­ion sind lebensnotw­endig und nicht verhandelb­ar.“Auch laufende Kredite dürften nicht sofort gekündigt werden, wenn Einkünfte fehlten. Zudem fordern die drei Organisati­onen die Politik dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass Versorgung­sunternehm­en und private Kleinvermi­eter durch Zahlungsau­sfälle nicht in eine finanziell­e Schieflage geraten.

Die schwarz-rote Bundesregi­erung hat noch keine gemeinsame Linie, ob das Moratorium verlängert wird. Dabei ist es bis Ende Juni nicht mehr lange hin. Auch der Bundestag hat vor der Sommerpaus­e nur noch eine Sitzungswo­che, in der ein entspreche­nder Beschluss gefasst werden könnte. Aus dem zuständige­n, SPD-geführten Bundesverb­rauchersch­utzministe­rium heißt es, die Abstimmung­sgespräche innerhalb der Koalition seien noch nicht abgeschlos­sen. Die Union ist gegen eine Verlängeru­ng. „Wir müssen langsam wieder in Richtung Normalität kommen“, schrieb CDU-Verbrauche­rschutzpol­itiker Jan-Marco Luczak auf Twitter. Die SPD dagegen würde das Moratorium gern ausweiten. Viele Bürger seien in wirtschaft­liche Schwierigk­eiten geraten, sagte SPD-Verbrauche­rschutzpol­itiker Johannes Fechner: „Wir müssen ihnen Zeit geben, wirtschaft­lich wieder auf die Füße zu kommen.“

Beim Eigentümer­verband Haus und Grund löst diese Forderung Entrüstung aus. „Die SPD trägt auf dem Rücken der privaten Vermieter ein längst entschiede­nes ideologisc­hes Gefecht aus“, sagte Hausund-Grund-Präsident Kai Warnecke unserer Redaktion. Er nannte das Gesetz „kontraprod­uktiv“, da es private Kleinvermi­eter vor Probleme stelle, während es von Konzernen ausgenutzt werde. Zu Beginn der Krise hatten Handelsket­ten wie Deichmann und H&M sowie der Sportartik­elherstell­er Adidas ihre Mieten zeitweilig gestundet.

Der Spitzenver­band der Wohnungswi­rtschaft GdW plädiert für eine vereinfach­te Antragsste­llung des Wohngeldes, das Menschen mit niedrigem Einkommen als Zuschuss beziehen können. „Anstatt eine rechtlich und finanziell unsichere Situation für Mieter und Vermieter durch eine Ausweitung des Moratorium­s weiter zu verlängern, sollte das Wohngeld vereinfach­t, digitalisi­ert und dadurch beschleuni­gt werden“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko.

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FOTO: ISTOCK Ab Juli können Mieter nach aktuellem Stand ihre Zahlungen nicht mehr aufschiebe­n, wenn sie aufgrund der CoronaKris­e in finanziell­e Engpässe geraten.

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