Thüringer Allgemeine (Gotha)

Brutale Herrscher

Unterdrück­ung, Ausbeutung, Genozid: Die Forderunge­n nach einer Auseinande­rsetzung mit der deutschen Kolonialge­schichte werden lauter

- Von Theresa Martus und Kerstin Münsterman­n

Berlin. Das Gesicht des Reichskanz­lers ist rot, der Kragen seines Uniformman­tels ebenso. Auch an seinen Händen klebt die rote Farbe, die wie Blut aussieht. Wer die Statue Otto von Bismarcks in Hamburg am Wochenende beschmiert hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber: Die Debatte über die Frage, ob der Platz auf dem Sockel zentralen Figuren des Kolonialis­mus und der Ausbeutung gebührt, ist in Deutschlan­d angekommen.

Großbritan­nien, USA, Belgien: Vor dem Hintergrun­d der globalen Antirassis­musbewegun­g stürzen derzeit in vielen Ländern die Denkmäler. Die Demonstran­ten forcieren damit eine Auseinande­rsetzung mit einem dunklen Teil europäisch­er Geschichte, der bis heute nachwirkt. Auch in Deutschlan­d werden jetzt die Stimmen lauter, die auf eine Auseinande­rsetzung mit der eigenen Kolonialge­schichte drängen.

„Die deutsche Kolonialhe­rrschaft war äußerst brutal – nicht nur in Namibia, sondern überall.“Jürgen Zimmerer, Historiker

Verglichen mit den europäisch­en Nachbarn wurde das deutsche Kaiserreic­h spät zur Kolonialma­cht, baute dafür aber umso schneller seine Macht aus. Zwischen 1884 und dem Ersten Weltkrieg entstand das flächenmäß­ig viertgrößt­e Kolonialre­ich der Welt. Dazu gehörten neben Namibia das heutige Kamerun, Togo, Tansania, Burundi, Ruanda sowie Gebiete in China, Samoa und in Mikronesie­n.

Dass sie dabei vergleichs­weise „gute“Kolonialis­ten gewesen seien, sei ein Mythos, der sich bis heute hält, sagt Historiker Jürgen Zimmerer, einer der führenden Forscher zum deutschen Kolonialis­mus. „Die deutsche Kolonialhe­rrschaft war äußerst brutal, nicht nur in Namibia, sondern überall, das hat die Forschung in den letzten Jahren herausgear­beitet.“

In Namibia aber herrschte Deutschlan­d am brutalsten. Der Vernichtun­gskrieg gegen die Völker der Herero und Nama, bei dem schätzungs­weise 80.000 Menschen starben, gilt heute als erster Genozid des 20. Jahrhunder­ts. Die Bundesrepu­blik will sich dafür entschuldi­gen. Mit der namibische­n Regierung laufen deshalb Gespräche über die Möglichkei­ten einer Wiedergutm­achung – seit fünf Jahren schon. Dass es so lange dauern würde, hätte er nicht erwartet, sagt Ruprecht Polenz, Verhandlun­gsführer auf deutscher Seite. Geeinigt habe man sich bereits auf einen Text, in dem die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 eindeutig als Völkermord bezeichnet werden.

Offen ist, wie viel Geld nach Namibia fließen soll

Die Bitte um Entschuldi­gung dafür werde „von hochrangig­er deutscher Stelle und in der geeigneten Form“in Namibia zum Ausdruck gebracht werden, so Polenz. Offen ist noch, welche materielle­n Konsequenz­en sich ergeben – die Bundesregi­erung wolle „längerfris­tige und substanzie­lle Beiträge leisten“, um die verblieben­en Wunden und konkreten

Benachteil­igungen von Herero und Nama zu lindern, zum Beispiel mit Berufsförd­erzentren. Doch wie hoch diese Beiträge sein und wie lange sie gezahlt werden sollen, darüber besteht noch Uneinigkei­t. Mittlerwei­le sei ein erfolgreic­hes Ende der Gespräche absehbar, sagte Polenz unserer Redaktion: „Ich bin optimistis­ch, dass wir vor der nächsten Bundestags­wahl eine Einigung haben werden.“

Auch andere ehemalige Kolonien hätten ein Anrecht auf Aufarbeitu­ng, so der CDU-Politiker: „Wir sollten das Gespräch mit denen suchen, die in Togo, Namibia, Kamerun und anderen ehemaligen deutschen Kolonien mit den Nachwirkun­gen und Erinnerung­en an diese

Zeit leben.“

Auch Opposition­sparteien drängen auf eine Debatte über die Folgen deutscher Kolonialhe­rrschaft: Er sehe die Bundesregi­erung in der Pflicht, konkrete Gespräche mit ehemals deutsch besetzten Staaten zu führen und deren Meinung einzuholen, erklärt Jan Korte, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linken-Fraktion im Bundestag. Kirsten Kappert-Gonther, Kulturpoli­tikerin der Grünen-Fraktion, plädiert für einen „neuen, kritischen Umgang“– mit den Denkmälern, aber auch mit Straßennam­en oder Einrichtun­gen, die nach Kolonialve­rbrechern benannt sind. „Mit der bloßen Beifügung von Infotafeln ist es sicher nicht getan.“

Es möge Gründe geben, Denkmäler zu demontiere­n, sagte auch Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) unserer Redaktion. Sie kritisiert­e aber den Abbau von Statuen durch Demonstran­ten: Man solle sich davor hüten, „die schwierige­n Spuren unserer Geschichte im öffentlich­en Raum einfach zu tilgen“. Einem „Bilderstur­m“müsse eine gesellscha­ftliche Debatte vorangehen. Mit „rabiaten Spontanakt­ionen“würden Aktivisten sich dem Verdacht aussetzen, eine inhaltlich­e Auseinande­rsetzung verhindern zu wollen.

 ?? FOTO: ULLSTEIN BILD ?? Deutsche Kolonialpo­litik und Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafr­ika: Gefangene Hereros in Ketten werden von einem Soldaten der Schutztrup­pe mit Gewehr und aufgepflan­ztem Bajonett bewacht (1904).
FOTO: ULLSTEIN BILD Deutsche Kolonialpo­litik und Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafr­ika: Gefangene Hereros in Ketten werden von einem Soldaten der Schutztrup­pe mit Gewehr und aufgepflan­ztem Bajonett bewacht (1904).

Newspapers in German

Newspapers from Germany