Brutale Herrscher
Unterdrückung, Ausbeutung, Genozid: Die Forderungen nach einer Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte werden lauter
Berlin. Das Gesicht des Reichskanzlers ist rot, der Kragen seines Uniformmantels ebenso. Auch an seinen Händen klebt die rote Farbe, die wie Blut aussieht. Wer die Statue Otto von Bismarcks in Hamburg am Wochenende beschmiert hat, ist nicht bekannt. Sicher ist aber: Die Debatte über die Frage, ob der Platz auf dem Sockel zentralen Figuren des Kolonialismus und der Ausbeutung gebührt, ist in Deutschland angekommen.
Großbritannien, USA, Belgien: Vor dem Hintergrund der globalen Antirassismusbewegung stürzen derzeit in vielen Ländern die Denkmäler. Die Demonstranten forcieren damit eine Auseinandersetzung mit einem dunklen Teil europäischer Geschichte, der bis heute nachwirkt. Auch in Deutschland werden jetzt die Stimmen lauter, die auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte drängen.
„Die deutsche Kolonialherrschaft war äußerst brutal – nicht nur in Namibia, sondern überall.“Jürgen Zimmerer, Historiker
Verglichen mit den europäischen Nachbarn wurde das deutsche Kaiserreich spät zur Kolonialmacht, baute dafür aber umso schneller seine Macht aus. Zwischen 1884 und dem Ersten Weltkrieg entstand das flächenmäßig viertgrößte Kolonialreich der Welt. Dazu gehörten neben Namibia das heutige Kamerun, Togo, Tansania, Burundi, Ruanda sowie Gebiete in China, Samoa und in Mikronesien.
Dass sie dabei vergleichsweise „gute“Kolonialisten gewesen seien, sei ein Mythos, der sich bis heute hält, sagt Historiker Jürgen Zimmerer, einer der führenden Forscher zum deutschen Kolonialismus. „Die deutsche Kolonialherrschaft war äußerst brutal, nicht nur in Namibia, sondern überall, das hat die Forschung in den letzten Jahren herausgearbeitet.“
In Namibia aber herrschte Deutschland am brutalsten. Der Vernichtungskrieg gegen die Völker der Herero und Nama, bei dem schätzungsweise 80.000 Menschen starben, gilt heute als erster Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Bundesrepublik will sich dafür entschuldigen. Mit der namibischen Regierung laufen deshalb Gespräche über die Möglichkeiten einer Wiedergutmachung – seit fünf Jahren schon. Dass es so lange dauern würde, hätte er nicht erwartet, sagt Ruprecht Polenz, Verhandlungsführer auf deutscher Seite. Geeinigt habe man sich bereits auf einen Text, in dem die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 eindeutig als Völkermord bezeichnet werden.
Offen ist, wie viel Geld nach Namibia fließen soll
Die Bitte um Entschuldigung dafür werde „von hochrangiger deutscher Stelle und in der geeigneten Form“in Namibia zum Ausdruck gebracht werden, so Polenz. Offen ist noch, welche materiellen Konsequenzen sich ergeben – die Bundesregierung wolle „längerfristige und substanzielle Beiträge leisten“, um die verbliebenen Wunden und konkreten
Benachteiligungen von Herero und Nama zu lindern, zum Beispiel mit Berufsförderzentren. Doch wie hoch diese Beiträge sein und wie lange sie gezahlt werden sollen, darüber besteht noch Uneinigkeit. Mittlerweile sei ein erfolgreiches Ende der Gespräche absehbar, sagte Polenz unserer Redaktion: „Ich bin optimistisch, dass wir vor der nächsten Bundestagswahl eine Einigung haben werden.“
Auch andere ehemalige Kolonien hätten ein Anrecht auf Aufarbeitung, so der CDU-Politiker: „Wir sollten das Gespräch mit denen suchen, die in Togo, Namibia, Kamerun und anderen ehemaligen deutschen Kolonien mit den Nachwirkungen und Erinnerungen an diese
Zeit leben.“
Auch Oppositionsparteien drängen auf eine Debatte über die Folgen deutscher Kolonialherrschaft: Er sehe die Bundesregierung in der Pflicht, konkrete Gespräche mit ehemals deutsch besetzten Staaten zu führen und deren Meinung einzuholen, erklärt Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag. Kirsten Kappert-Gonther, Kulturpolitikerin der Grünen-Fraktion, plädiert für einen „neuen, kritischen Umgang“– mit den Denkmälern, aber auch mit Straßennamen oder Einrichtungen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind. „Mit der bloßen Beifügung von Infotafeln ist es sicher nicht getan.“
Es möge Gründe geben, Denkmäler zu demontieren, sagte auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) unserer Redaktion. Sie kritisierte aber den Abbau von Statuen durch Demonstranten: Man solle sich davor hüten, „die schwierigen Spuren unserer Geschichte im öffentlichen Raum einfach zu tilgen“. Einem „Bildersturm“müsse eine gesellschaftliche Debatte vorangehen. Mit „rabiaten Spontanaktionen“würden Aktivisten sich dem Verdacht aussetzen, eine inhaltliche Auseinandersetzung verhindern zu wollen.