Erdogan und Putin – die Virus-Profiteure
Im Schatten von Corona: Der türkische und der russische Präsident bauen ihre Macht in Libyen und Syrien aus
Berlin. In der Corona-Krise ist die Welt mit sich selbst beschäftigt. Doch im Schatten der Pandemie bauen Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan ihre Macht in Libyen und Syrien aus. Die frisch entbrannten Regionalkonflikte könnten für einen weiteren Flüchtlingsansturm Richtung Europa sorgen.
Erdogans Feldzug in Libyen
Im festgefahrenen Bürgerkrieg gibt es eine neue Dynamik. Die Ursache hierfür hat einen Namen: Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident mischt seit Monaten in dem Konflikt mit. Ankara greift mit Kampfdrohnen, Luftabwehrsystemen und Soldaten militärisch immer stärker in Libyen ein.
Die Truppen des mit Erdogan verbündeten Premierministers Fajis alSarradsch sind daher auf dem Vormarsch. Sie konnten kürzlich den mehr als ein Jahr bestehenden Belagerungsring rund um die Hauptstadt Tripolis durchbrechen. Die Verbände von al-Sarradschs Gegner, General Chalifa Haftar, mussten zurückweichen. Auch die dem Kreml nahestehende Privatarmee Wagner, die aufseiten Haftars kämpft, wich in den Osten und Süden des Landes aus, den Haftar kontrolliert. Russland hatte nach US-Angaben mindestens 14 Kampfjets an den General geliefert.
Der libysche Bürgerkrieg tobt seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011. Mehr als 100 Milizengruppen und Stämme liegen miteinander über Kreuz. Es ist ein Stellvertreterkrieg. Haftar bekommt Rückendeckung durch Russland, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich. An der Seite von al-Sarradsch stehen die Türkei, der Golfstaat Katar sowie Italien.
Erdogan geht es vor allem um das Geschäft. Er hat mit al-Sarradsch eine Übereinkunft über neue Seerechtsgrenzen im Mittelmeer getroffen. Gegenstand des Abkommens ist ein rund 200 Kilometer breiter Meeresstreifen zwischen der Türkei und Libyen, auf dessen Grund beide Länder nach Öl und
Gas bohren wollen. So hat Erdogan die Küste vor Kreta im Visier, was ihm Ärger mit Griechenland einbringt. Zudem hofft er auf lukrative Staatsaufträge für die türkische Bauindustrie, sollte Libyen irgendwann einmal zur Ruhe kommen.
Putin und Erdogan unterstützen – wie in Syrien – unterschiedliche Konfliktparteien. Sie sind Gegner und Partner zugleich. Beide folgen der machtpolitischen Logik, die in Einflusssphären denkt. Es könnte dazu führen, dass Libyen de facto geteilt wird. Eine Stabilität des nordafrikanischen Landes ist jedenfalls nicht in Sicht. Das könnte das
Flüchtlingsproblem verschärfen. Libyen ist das wichtigste Transitland für Migranten aus Zentral- und Westafrika. Rund eine Million Menschen warten unter zum Teil grausamen Bedingungen in Lagern auf eine Überfahrt über das Mittelmeer. Putin und Erdogan haben mit der Flüchtlingsfrage auch einen Hebel in der Hand, um Europa unter Druck zu setzen.
Putins Vorherrschaft in Syrien
In Syrien sind die Würfel gefallen. Der Machthaber Baschar al-Assad hat das Land wieder weitgehend unter Kontrolle. Rund 400.000
Menschen wurden in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg getötet. Mehr als elf Millionen mussten fliehen. Die russische Luftwaffe hatte den Regierungstruppen den Weg freigebombt, teils mit Angriffen auf Krankenhäuser und Schulen. Putin ist der Lenker in Syrien, der dem geschwächten Assad-Regime neues Leben eingehaucht hat. Er hat Moskau als Welt- und Ordnungsmacht im Nahen Osten etabliert.
Es gibt hier aber noch einen anderen Gewinner im geostrategischen Schachspiel. Die Türkei marschierte 2018 in Nordsyrien ein. Der Assad-Gegner Erdogan hatte das Ziel, die Kurden zu vertreiben und eine Pufferzone an der Grenze zu seinem Land zu schaffen. Die letzte Hochburg der Anti-Assad-Rebellen ist die nordwestsyrische Provinz Idlib. Hier dominieren islamistische Milizen, die Erdogan unterstützt.
Erdogan und Putin vereinbarten im März eine Waffenruhe für Idlib. Die Kämpfe flauten ab. Doch trotz Assads Übergewicht bleibt die Lage zerbrechlich. An einzelnen Orten wie in der von zumeist regimetreuen Drusen bevölkerten Stadt Al-Suwaida im Süden gab es Proteste.
Die USA verhängten am Mittwoch neue Sanktionen gegen Syrien. Die Strafmaßnahmen richten sich gegen Personen und Firmen, die der syrischen Regierung Hilfe leisten oder russischen und iranischen Militärs in Syrien unter die Arme greifen. Beobachter rechnen damit, dass sich die schwere Wirtschaftskrise in dem Bürgerkriegsland weiter verschärft. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Flüchtlingsströme nach Europa.