Thüringer Allgemeine (Gotha)

Erdogan und Putin – die Virus-Profiteure

Im Schatten von Corona: Der türkische und der russische Präsident bauen ihre Macht in Libyen und Syrien aus

- Von Michael Backfisch

Berlin. In der Corona-Krise ist die Welt mit sich selbst beschäftig­t. Doch im Schatten der Pandemie bauen Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskolleg­e Recep Tayyip Erdogan ihre Macht in Libyen und Syrien aus. Die frisch entbrannte­n Regionalko­nflikte könnten für einen weiteren Flüchtling­sansturm Richtung Europa sorgen.

Erdogans Feldzug in Libyen

Im festgefahr­enen Bürgerkrie­g gibt es eine neue Dynamik. Die Ursache hierfür hat einen Namen: Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident mischt seit Monaten in dem Konflikt mit. Ankara greift mit Kampfdrohn­en, Luftabwehr­systemen und Soldaten militärisc­h immer stärker in Libyen ein.

Die Truppen des mit Erdogan verbündete­n Premiermin­isters Fajis alSarradsc­h sind daher auf dem Vormarsch. Sie konnten kürzlich den mehr als ein Jahr bestehende­n Belagerung­sring rund um die Hauptstadt Tripolis durchbrech­en. Die Verbände von al-Sarradschs Gegner, General Chalifa Haftar, mussten zurückweic­hen. Auch die dem Kreml nahestehen­de Privatarme­e Wagner, die aufseiten Haftars kämpft, wich in den Osten und Süden des Landes aus, den Haftar kontrollie­rt. Russland hatte nach US-Angaben mindestens 14 Kampfjets an den General geliefert.

Der libysche Bürgerkrie­g tobt seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011. Mehr als 100 Milizengru­ppen und Stämme liegen miteinande­r über Kreuz. Es ist ein Stellvertr­eterkrieg. Haftar bekommt Rückendeck­ung durch Russland, Ägypten, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und Frankreich. An der Seite von al-Sarradsch stehen die Türkei, der Golfstaat Katar sowie Italien.

Erdogan geht es vor allem um das Geschäft. Er hat mit al-Sarradsch eine Übereinkun­ft über neue Seerechtsg­renzen im Mittelmeer getroffen. Gegenstand des Abkommens ist ein rund 200 Kilometer breiter Meeresstre­ifen zwischen der Türkei und Libyen, auf dessen Grund beide Länder nach Öl und

Gas bohren wollen. So hat Erdogan die Küste vor Kreta im Visier, was ihm Ärger mit Griechenla­nd einbringt. Zudem hofft er auf lukrative Staatsauft­räge für die türkische Bauindustr­ie, sollte Libyen irgendwann einmal zur Ruhe kommen.

Putin und Erdogan unterstütz­en – wie in Syrien – unterschie­dliche Konfliktpa­rteien. Sie sind Gegner und Partner zugleich. Beide folgen der machtpolit­ischen Logik, die in Einflusssp­hären denkt. Es könnte dazu führen, dass Libyen de facto geteilt wird. Eine Stabilität des nordafrika­nischen Landes ist jedenfalls nicht in Sicht. Das könnte das

Flüchtling­sproblem verschärfe­n. Libyen ist das wichtigste Transitlan­d für Migranten aus Zentral- und Westafrika. Rund eine Million Menschen warten unter zum Teil grausamen Bedingunge­n in Lagern auf eine Überfahrt über das Mittelmeer. Putin und Erdogan haben mit der Flüchtling­sfrage auch einen Hebel in der Hand, um Europa unter Druck zu setzen.

Putins Vorherrsch­aft in Syrien

In Syrien sind die Würfel gefallen. Der Machthaber Baschar al-Assad hat das Land wieder weitgehend unter Kontrolle. Rund 400.000

Menschen wurden in dem seit 2011 andauernde­n Bürgerkrie­g getötet. Mehr als elf Millionen mussten fliehen. Die russische Luftwaffe hatte den Regierungs­truppen den Weg freigebomb­t, teils mit Angriffen auf Krankenhäu­ser und Schulen. Putin ist der Lenker in Syrien, der dem geschwächt­en Assad-Regime neues Leben eingehauch­t hat. Er hat Moskau als Welt- und Ordnungsma­cht im Nahen Osten etabliert.

Es gibt hier aber noch einen anderen Gewinner im geostrateg­ischen Schachspie­l. Die Türkei marschiert­e 2018 in Nordsyrien ein. Der Assad-Gegner Erdogan hatte das Ziel, die Kurden zu vertreiben und eine Pufferzone an der Grenze zu seinem Land zu schaffen. Die letzte Hochburg der Anti-Assad-Rebellen ist die nordwestsy­rische Provinz Idlib. Hier dominieren islamistis­che Milizen, die Erdogan unterstütz­t.

Erdogan und Putin vereinbart­en im März eine Waffenruhe für Idlib. Die Kämpfe flauten ab. Doch trotz Assads Übergewich­t bleibt die Lage zerbrechli­ch. An einzelnen Orten wie in der von zumeist regimetreu­en Drusen bevölkerte­n Stadt Al-Suwaida im Süden gab es Proteste.

Die USA verhängten am Mittwoch neue Sanktionen gegen Syrien. Die Strafmaßna­hmen richten sich gegen Personen und Firmen, die der syrischen Regierung Hilfe leisten oder russischen und iranischen Militärs in Syrien unter die Arme greifen. Beobachter rechnen damit, dass sich die schwere Wirtschaft­skrise in dem Bürgerkrie­gsland weiter verschärft. Damit steigt auch die Wahrschein­lichkeit weiterer Flüchtling­sströme nach Europa.

 ?? FOTO: AP ?? Lieben militärisc­he Muskelspie­le: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) und sein russischer Amtskolleg­e Wladimir Putin bei der Internatio­nalen Flug- und Raumfahrtm­esse in Schukowski, nahe Moskau.
FOTO: AP Lieben militärisc­he Muskelspie­le: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) und sein russischer Amtskolleg­e Wladimir Putin bei der Internatio­nalen Flug- und Raumfahrtm­esse in Schukowski, nahe Moskau.

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