Als „mitreisende Ehefrau“in Mexiko
Marlis Stiebich lebte zu DDR-Zeiten mit der Familie in Lateinamerika. Nun hat sie darüber ein Buch veröffentlicht
Jena. Leute, die in ferne Länder reisen durften, galten in der DDR als privilegiert. Insbesondere dann, wenn es sich um das „nichtsozialistische Ausland“handelte. Marlis Stiebich aus Großpürschütz nahe Jena lebte insgesamt zehn Jahre in Lateinamerika. Ihre Erfahrungen aus Mexiko hat die 70-Jährige im Buch „Die mitreisende Ehefrau“festgehalten.
Privilegiert hat sie sich aber nie gefühlt. Ihre dreiköpfige Familie lebte dort nie in Saus und Braus. Auch ausgedehnte Reisen durchs Land konnte sich das Trio nicht leisten. Der Lohn fiel schmal aus.
Sie darf weder Auto fahren, noch ihren Beruf ausüben
1978 ziehen Marlis Stiebich und ihr Mann samt kleiner Tochter von Jena-Lobeda nach Mexiko-City. Er arbeitet im Zeiss-Büro der Handelsvertretung der DDR. Sein Job ist es, Geschäfte mit Mexiko anzukurbeln. Marlis Stiebich gilt laut Reisepass als „mitreisende Ehefrau“. Eine Rollenzuweisung, die die Freiheit der damals 28-Jährigen erheblich einengt. Sie darf weder Auto fahren, noch ihren Beruf als Augenoptikerin ausüben. Dennoch arrangiert sie sich. Sie will der Familie die Chance nicht verbauen.
Allein, dass die Stiebichs überhaupt nach Mexiko geschickt wurden, grenzt ihrer Ansicht nach an ein Wunder: Marlis ist nicht in der Partei. Und sowohl sie als auch ihr Mann unterhalten enge Westkontakte. Der Neuanfang in Amerika ist vor allem für Marlis Stiebich schwierig. Die Tochter ist gerade mal acht Monate alt, als sie von der Auslandsvertretung mehr oder weniger verdonnert wird, die Ferienbetreuung für die Kinder der DDRBotschaft zu übernehmen. Ihr Baby muss währenddessen selbst betreut werden, von einem Kindermädchen, einer Muchacha. Glück im Unglück: Die Muchacha bleibt auch nach dem ungeliebten Ferienjob; von ihr lernt Marlis Stiebich Spanisch.
Das Buch basiert auf Tagebüchern sowie unzähligen Briefen in die Heimat. Die Schwiegereltern hatten sie jahrelang gesammelt und Marlis Stiebich eines Tages in Leinen gebunden wieder gegeben. Darin schildert sie den Alltag in der Fremde, berichtet aber auch vom gewaltigen Erdbeben oder vom unerwarteten Besuch eines befreundeten Querflötenspielers.
Der Musiker war gerade mit dem Gewandhaus-Orchester auf Welttournee, hatte beim Stopp in Mexiko-City aber keine Kontaktdaten der Stiebichs. Also wälzt er das Telefonbuch und landet bei Zeiss-West. Sie können helfen. „Dabei kannten wir niemanden von denen, wir durften ja keine Kontakte unterhalten“, sagt Marlis Stiebich. Aber selbst Gewandhaus-Musiker verfügen damals nur über wenige Devisen, wie die Autorin berichtet. „Um die Tagesgagen für Mitbringsel zu sparen, hatten sie Tütensuppen dabei.“
In Mexiko-City lernt sie die Sprinterin Marlies Göhr kennen
Auch die enge Freundschaft zu Sprinterin Marlies Göhr beginnt in Mexiko-City. DDR-Sportler, vor allem die Jenaer Leichtathleten wie Göhr und Ruth Fuchs, kommen damals zum Höhentraining in die Hauptstadt. Als die sportbegeisterten Stiebichs davon erfahren, besuchen sie die Athleten kurzerhand in ihrer Unterkunft. Sie zeigen ihnen Land und Leute und treffen sie im Olympiastadion. „Die Sportler hätten wir in Jena nie kennengelernt“, ist sich die Autorin sicher.
1981 ist Marlis Stiebich erneut schwanger. Zur Geburt muss sie zurückkehren. Die DDR will keine Doppelstaatsbürgerschaften. Während ihres Aufenthaltes in der Heimat wird eine Zeiss-Stelle in Bolivien frei, die Stiebichs werden nach La Paz versetzt. Die folgenden Erlebnisse schreibt die 70-Jährige gerade in einem zweiten Buch nieder. Danach plant sie noch einen dritten Band über Brasilien.