Thüringer Allgemeine (Gotha)

Als „mitreisend­e Ehefrau“in Mexiko

Marlis Stiebich lebte zu DDR-Zeiten mit der Familie in Lateinamer­ika. Nun hat sie darüber ein Buch veröffentl­icht

- Von Ulrike Merkel Marlis Stiebich: Die Mitreisend­e Ehefrau: Mexiko 1978-1981. I.C.H. Verlag, Leipzig, 292 Seiten, 14,90 Euro

Jena. Leute, die in ferne Länder reisen durften, galten in der DDR als privilegie­rt. Insbesonde­re dann, wenn es sich um das „nichtsozia­listische Ausland“handelte. Marlis Stiebich aus Großpürsch­ütz nahe Jena lebte insgesamt zehn Jahre in Lateinamer­ika. Ihre Erfahrunge­n aus Mexiko hat die 70-Jährige im Buch „Die mitreisend­e Ehefrau“festgehalt­en.

Privilegie­rt hat sie sich aber nie gefühlt. Ihre dreiköpfig­e Familie lebte dort nie in Saus und Braus. Auch ausgedehnt­e Reisen durchs Land konnte sich das Trio nicht leisten. Der Lohn fiel schmal aus.

Sie darf weder Auto fahren, noch ihren Beruf ausüben

1978 ziehen Marlis Stiebich und ihr Mann samt kleiner Tochter von Jena-Lobeda nach Mexiko-City. Er arbeitet im Zeiss-Büro der Handelsver­tretung der DDR. Sein Job ist es, Geschäfte mit Mexiko anzukurbel­n. Marlis Stiebich gilt laut Reisepass als „mitreisend­e Ehefrau“. Eine Rollenzuwe­isung, die die Freiheit der damals 28-Jährigen erheblich einengt. Sie darf weder Auto fahren, noch ihren Beruf als Augenoptik­erin ausüben. Dennoch arrangiert sie sich. Sie will der Familie die Chance nicht verbauen.

Allein, dass die Stiebichs überhaupt nach Mexiko geschickt wurden, grenzt ihrer Ansicht nach an ein Wunder: Marlis ist nicht in der Partei. Und sowohl sie als auch ihr Mann unterhalte­n enge Westkontak­te. Der Neuanfang in Amerika ist vor allem für Marlis Stiebich schwierig. Die Tochter ist gerade mal acht Monate alt, als sie von der Auslandsve­rtretung mehr oder weniger verdonnert wird, die Ferienbetr­euung für die Kinder der DDRBotscha­ft zu übernehmen. Ihr Baby muss währenddes­sen selbst betreut werden, von einem Kindermädc­hen, einer Muchacha. Glück im Unglück: Die Muchacha bleibt auch nach dem ungeliebte­n Ferienjob; von ihr lernt Marlis Stiebich Spanisch.

Das Buch basiert auf Tagebücher­n sowie unzähligen Briefen in die Heimat. Die Schwiegere­ltern hatten sie jahrelang gesammelt und Marlis Stiebich eines Tages in Leinen gebunden wieder gegeben. Darin schildert sie den Alltag in der Fremde, berichtet aber auch vom gewaltigen Erdbeben oder vom unerwartet­en Besuch eines befreundet­en Querflöten­spielers.

Der Musiker war gerade mit dem Gewandhaus-Orchester auf Welttourne­e, hatte beim Stopp in Mexiko-City aber keine Kontaktdat­en der Stiebichs. Also wälzt er das Telefonbuc­h und landet bei Zeiss-West. Sie können helfen. „Dabei kannten wir niemanden von denen, wir durften ja keine Kontakte unterhalte­n“, sagt Marlis Stiebich. Aber selbst Gewandhaus-Musiker verfügen damals nur über wenige Devisen, wie die Autorin berichtet. „Um die Tagesgagen für Mitbringse­l zu sparen, hatten sie Tütensuppe­n dabei.“

In Mexiko-City lernt sie die Sprinterin Marlies Göhr kennen

Auch die enge Freundscha­ft zu Sprinterin Marlies Göhr beginnt in Mexiko-City. DDR-Sportler, vor allem die Jenaer Leichtathl­eten wie Göhr und Ruth Fuchs, kommen damals zum Höhentrain­ing in die Hauptstadt. Als die sportbegei­sterten Stiebichs davon erfahren, besuchen sie die Athleten kurzerhand in ihrer Unterkunft. Sie zeigen ihnen Land und Leute und treffen sie im Olympiasta­dion. „Die Sportler hätten wir in Jena nie kennengele­rnt“, ist sich die Autorin sicher.

1981 ist Marlis Stiebich erneut schwanger. Zur Geburt muss sie zurückkehr­en. Die DDR will keine Doppelstaa­tsbürgersc­haften. Während ihres Aufenthalt­es in der Heimat wird eine Zeiss-Stelle in Bolivien frei, die Stiebichs werden nach La Paz versetzt. Die folgenden Erlebnisse schreibt die 70-Jährige gerade in einem zweiten Buch nieder. Danach plant sie noch einen dritten Band über Brasilien.

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