Thüringer Allgemeine (Gotha)

Kann Dexamethas­on Leben retten?

WHO spricht nach einer Covid-19-Studie von einem Durchbruch. Deutsche Experten sind noch vorsichtig

- Von Laura Réthy

Berlin. Es könnte die erste erlösende Nachricht in der Pandemie sein: Medizinern gelingt ein Durchbruch in der Behandlung von schwer an Covid-19 erkrankten Patienten. So jedenfalls formuliert es die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) am Dienstagab­end – kurz nachdem die britische Universitä­t Oxford eine Mitteilung veröffentl­icht hatte: Dexamethas­on reduziert Sterblichk­eit bei Patienten mit schweren Atemwegsko­mplikation­en bei Covid-19. Deutsche Experten warnen vor verfrühter Euphorie.

Bei Dexamethas­on handelt es sich um ein seit Jahrzehnte­n zugelassen­es Medikament, das entzündung­shemmend wirkt. Es wird in der Krebsmediz­in, aber auch bei Atemwegser­krankungen eingesetzt. Nun wurde das Medikament in Großbritan­nien im Rahmen des Recovery Trial getestet – einer von der britischen Regierung mitfinanzi­erten Studie an 175 Kliniken, in der auch andere Therapiean­sätze gegen Covid-19 untersucht werden. Für die Studie bekamen 2104 Patienten Dexamethas­on verabreich­t. Die Mediziner verglichen die Daten zur Sterblichk­eit mit einer Kontrollgr­uppe von 4321 Patienten, die standardmä­ßig therapiert wurden. Ein Ergebnis: Dexamethas­on, ein sogenannte­s Steroid und verwandt mit Cortison, könnte im Schnitt bei acht schwer kranken Covid-19-Patienten einen Todesfall verhindern.

Es sei das erste Medikament, für das gezeigt werden konnte, dass es die Überlebens­chancen bei Covid19 verbessere, sagte Peter Horby von der Universitä­t Oxford, einer der führenden Forscher im Recovery Trial. Dexamethas­on sei preiswert und könne sofort eingesetzt werden, um weltweit Leben zu retten, so Horby.

Von „großartige­n Neuigkeite­n“sprach auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu­s in einer Mitteilung. „Ich gratuliere der Regierung des Vereinigte­n Königreich­s, der Universitä­t Oxford sowie den vielen Krankenhäu­sern und Patienten im Vereinigte­n Königreich, die zu diesem lebensrett­enden wissenscha­ftlichen Durchbruch beigetrage­n haben.“

Auch deutsche Experten äußern sich optimistis­ch, warnen jedoch vor zu viel Euphorie. Denn die Studienerg­ebnisse sind noch nicht von unabhängig­en Experten begutachte­t und in einem Fachmagazi­n publiziert worden. Auch seien noch Fragen offen.

Dexamethas­on wirkt – anders als zum Beispiel das Ebola-Mittel Remdesivir, das in einigen Ländern für den Notfallgeb­rauch gegen Covid19 zugelassen ist – nicht gegen das Coronaviru­s selbst, sondern auf das Immunsyste­m. Es soll verhindern, dass die körpereige­ne Abwehr zu stark reagiert. Immer wieder sterben Covid-19-Patienten an einer solchen Überreakti­on des Immunsyste­ms. Die Infektion ist eigentlich schon überwunden, der Körper kämpft jedoch weiter und bricht unter diesem Kampf zusammen.

Die Studienerg­ebnisse aus Großbritan­nien passten sehr gut in die aktuelle Vorstellun­g, dass im späten Verlauf der Covid-19-Erkrankung eine Überreakti­on des Immunsyste­ms eine entscheide­nde Rolle spiele, sagte Gerd Fätkenheue­r, Leiter der Infektiolo­gie an der Uniklinik Köln. „Die Ergebnisse, deren vollständi­ge Veröffentl­ichung man noch abwarten muss, sprechen dafür, Cortisonpr­äparate bei schweren Verläufen der Infektion mit SarsCoV-2 einzusetze­n.“

Auch die Leiterin des Schwerpunk­ts Infektiolo­gie am Unikliniku­m

der Goethe-Universitä­t Frankfurt, Maria Vehreschil­d, schreibt den Ergebnisse­n aus Oxford – basierend auf den verfügbare­n Daten und dem Studienpro­tokoll – eine sehr hohe klinische Relevanz zu. „Dexamethas­on kann demnach das Überleben von Covid-Patienten, die Sauerstoff oder eine Beatmung benötigen, verbessern“, so Vehreschil­d. Cortison sei ein klassische­r Behandlung­sansatz, um das Immunsyste­m zu unterdrück­en. Überrasche­nd sei aber die Stärke des nachgewies­enen Effekts.

Der Effekt zeigte sich nach der Behandlung mit Dexamethas­on vor allem bei beatmeten Patienten. Auch Patienten, die Sauerstoff zum Beispiel über eine Maske erhielten, profitiert­en von der Behandlung, jedoch nicht im gleichen Maße. Infizierte­n Klinikpati­enten ohne Atemunters­tützung brachte das Mittel in der Studie keinen Vorteil.

In Großbritan­nien soll Dexamethas­on laut der Nachrichte­nagentur AFP ab sofort für die Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden. Noch am Dienstag sei das Medikament auf die Liste der Standardve­rfahren des Nationalen Gesundheit­sdienstes gegen Covid-19 gesetzt worden, teilte Gesundheit­sminister Matt Hancock mit.

Deutsche Experten sehen jedoch noch ungeklärte Fragen. Etwa, ob sich die immunhemme­nde Wirkung von Dexamethas­on negativ auf die Bekämpfung des Virus auswirken könnte – weil das Abwehrsyst­em dem Virus nicht mehr so viel entgegense­tzen kann. In der weiteren Auswertung der Daten müsse genau nachgehalt­en werden, inwieweit der Mehrwert von Steroiden hinsichtli­ch der Sterblichk­eit mit schweren Infektione­n anderer Art – sogenannte­n Superinfek­tionen – erkauft werden musste, bemerkt dazu etwa Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiolo­gie an der München Klinik Schwabing.

Auch der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Infektiolo­gie, Bernd Salzberger, betont: „Dexamethas­on bremst die Immunantwo­rt gegen das Virus – es könnte also auch dazu führen, dass das Virus langsamer eliminiert wird.“Dennoch halte er nach den bisher vorliegend­en Informatio­nen zum Studienpro­tokoll die Recovery-Studie für eine qualitativ gute Studie.

 ?? FOTO: DPA ?? Das Medikament Dexamethas­on ist seit Jahrzehnte­n zugelassen. Nun könnte es auch bei Covid-19 helfen.
FOTO: DPA Das Medikament Dexamethas­on ist seit Jahrzehnte­n zugelassen. Nun könnte es auch bei Covid-19 helfen.
 ?? FOTO: FFS ?? Das Medikament könnte Schwerkran­ken helfen.
FOTO: FFS Das Medikament könnte Schwerkran­ken helfen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany