„Die Bedingungen waren katastrophal“Interview der Woche
Der Eisenacher Wolfgang Reuter blickt auf das Oberligajahr mit Motor Suhl zurück
Eisenach/Suhl. Von Eisenach ins Fußball-Oberhaus der DDR. Diesen Aufstieg schaffte neben Dieter Raber (81) nur Wolfgang Reuter, der mit der BSG Motor Suhl in der Saison 1984/85 gegen die Großen des Ostens spielte. Sang- und klanglos stieg der Underdog sofort wieder ab. Über dieses Abenteuer und seine bewegte Karriere sprachen wir mit dem inzwischen 68-jährigen Wolfgang Reuter.
Das Suhler Oberliga-Intermezzo liegt bereits 35 Jahre zurück. Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an diese Zeit denken?
Natürlich die Spiele gegen die Topclubs. Eine lustige Episode gab es beim BFC Dynamo. Die haben in der ersten Hälfte nicht so dominiert, wie es erwartet wurde. In der Halbzeitpause kam einer in die Kabine, um zu sagen, dass wir aufpassen sollen, dass keinem Berliner etwas passiert. Vor dem Spiel hatte sogar der Schiedsrichter gefordert, dass wir uns zurücknehmen sollen, wegen der Nationalspieler, für die es eine Woche später um die WMQualifikation ging. Aber solche Sachen gab es nur beim BFC, wo StasiChef Mielke das Sagen hatte.
Motor Suhl galt als krasser Außenseiter. Wie waren die Erwartungen im Verein?
Mit dieser Mannschaft aufzusteigen, war eine große Überraschung. Wir haben dann gute Vorbereitungsspiele gemacht, gegen polnische Erstligisten gewonnen. Etwas ausgerechnet hatten wir uns schon, aber es ging schlecht los. Zum Auftakt haben wir gegen Frankfurt/ Oder vor 10.000 Zuschauern daheim richtig gut gespielt, aber 0:1 verloren. Drei Tage später mussten wir nach Jena. Dort haben wir vier Stück gekriegt. Am Samstag drauf standen wir gegen Chemie Leipzig dann schon mächtig unter Druck. Es reichte nur zu einem 0:0, das ließ schon erahnen, wohin die Reise geht.
War die Oberliga für Motor eine Nummer zu groß?
Ambitionen hatten sie in Suhl ja immer, dabei war das Umfeld dafür überhaupt nicht da. Nach dem Aufstieg musste schnell ein erstligataugliches Stadion her. In fünf Wochen wurde alles aus dem Boden gestampft, Anzeigetafel, Sprecherturm, Sicherheitszaun und ein erweiterter Sanitärtrakt. Obwohl alle Verantwortlichen großartige Arbeit geleistet haben, waren die Bedingungen im Grunde genommen aus heutiger Sicht katastrophal. Im Winter ging da oben gar nichts. Da sind wir zum Training nach Meiningen gefahren oder haben auf einem Bolzplatz bei Rohr gekickt, das war eigentlich ein Acker, aber immerhin einigermaßen eben.
Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte dieser Saison?
Obwohl wir 0:2 verloren haben, zählt das Heimspiel gegen Dynamo Dresden dazu. Mit Ulf Kirsten und Ralf Minge hatten die im Sturm echte Granaten. Aber hinten drin standen wir in der gesamten Saison ganz gut, was bei den vielen Gegentoren vielleicht blöd klingt. Unser Problem lag vorn, da hat die Qualität gefehlt.
Wer waren die Säulen des Teams?
Der lange Klaus Müller im Tor, Matthias Brückner, der aus Jena kam, und natürlich Erhard Mosert, eines der größten Talente der DDR überhaupt. Er war der beste Fußballer, mit dem ich je zusammengespielt habe.
Wie hoch waren die Prämien?
In der Oberliga waren es pro Sieg 800 Mark, aber die habe ich nur einmal beim 3:1 gegen Wismut Aue erhalten. In der DDR-Liga waren es 300 Mark. Da Suhl in der zweiten Liga immer oben mitgespielt hat, war das schon eine lukrative Geschichte.
Waren Sie eigentlich Vollprofis?
Wir waren alle im Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk angestellt. Ich war dort Lehrmeister, zumindest 1979/1980. Als ich dann 1983 zum zweiten Mal nach Suhl kam, waren wir in der Aufstiegssaison komplett freigestellt und haben nur trainiert. In der Oberliga sowieso.
Schlug die Stimmung während der Saison um?
Nach dem gesicherten Aufstieg mit dem 2:2 in Dessau haben die Fans uns gefeiert, da war ein Rieseneuphorie in der Stadt zu spüren. Zum Schluss wurden es immer weniger Zuschauer, es gab auch Häme. Da wurden dann auch Dinge aus dem Freizeitbereich hochgekocht. Das ist heute nicht anders. Zum Saisonende war ich jedoch schon weg.
Warum das?
Ich habe nur 18 Spiele, also etwas mehr als eine Halbserie, gemacht und bin zurück nach Eisenach. Mit Trainer Ernst Kurth hatte ich unterschiedliche Auffassungen sowohl vom Fußball als auch vom Leben. Es gab auch Turbulenzen privater Natur, nachdem mein Bruder einen Ausreiseantrag gestellt hatte.
Wären Sie angesichts der Verdienstmöglichkeiten im West-Fußball gerne zehn Jahre später geboren worden?
Es ist müßig, darüber nachzudenken. Ich hätte vielleicht auch in der DDR länger Oberliga spielen können. Einmal bot sich mir die Chance. 1975, zum „Tag des Automobilbaus“, spielten wir vor zwei-, dreitausend Zuschauern mit Motor Eisenach gegen Carl Zeiss Jena und haben nur 0:1 verloren. Als Vorstopper habe ich gegen Peter Ducke, der zu der Zeit noch das Nonplusultra war, ein ganz starkes Spiel gemacht. Danach bekam ich einen Anruf. Hans Meyer, damals junger Jenaer Trainer, lud mich zu einem mehrwöchigen Probetraining ein.
Es lief gut, ich sollte in den Oberligakader aufgenommen werden. Allerdings war ich gerade zurück zu Tiefenort gewechselt, mein Spielerpass lag schon dort. Die Jenaer sagten, kein Problem, sie würden sich drum kümmern. Ein paar Tage später bekam ich eine Vorladung von der Rechtskommission des DDRFußballverbandes, deren Vorsitzender übrigens der Eisenacher Jurist Karl-Heinz Benedix war. Die hatten meine Akten angefordert. Mein Stiefvater war Ende der 60er-Jahre zurück in den Westen gegangen, so dass ich für einen Club als nicht tragbar galt. Jena hat mich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Und weil ich mich angeblich bei zwei Vereinen angemeldet hatte, wurde ich zu 1000 Ostmark Strafe und einer dreimonatigen Sperre verdonnert. Ja, das war Pech.
Wie würden Sie den Fußballer Wolfgang Reuter beschreiben?
Ich war kein Künstler, hatte aber ein gutes Stellungsspiel. Ich war athletisch immer topfit und konnte den Ball beidfüßig schlagen. Das reicht als Libero oder Vorstopper. Man muss auf der Position nicht zaubern, nicht sechs Übersteiger oder zehn Finten machen.
Die Fußball-Datenbank zeigt bei Ihnen zwischen 1971 und 1989 insgesamt zehn Stationen an. Waren Sie ein Wandervogel?
Wenn man will, kann man es so nennen. Aus heutiger Sicht würde ich es wohl anders machen. Aber hätte es beispielsweise mit Jena geklappt, hätte ich keine Veranlassung gehabt, so oft zu wechseln.
Allein dreimal heuerten sie in Eisenach an.
Eisenach war und ist mein Lebensmittelpunkt. Es ist eine schöne Stadt. Während der Motorzeit wurde viel in den Fußball reingepumpt. Teilweise waren wir als Bezirksligamannschaft finanziell besser gestellt als die Handballer in der 1. Liga. Wir hatten gute Leute, aber es kam zu wenig raus.
Wie verfolgen Sie die Entwicklung Ihrer einstigen Vereine?
Eher wenig. Richtigen Bezug habe ich nur zu Eisenach. Und ich muss sagen, so wie es der FC jetzt macht, das gefällt mir. Sie haben eine junge Mannschaft, die marschiert und willig ist. Trainer Michael Offenhaus macht das gut.
In Ihrer Freizeit schwingen Sie mittlerweile das Racket.
Ich hätte viel früher damit anfangen müssen. In meinem Alter lernt man es nicht mehr richtig. Im Fußball kannst du mit körperlichem Einsatz viel wettmachen, da wird man von Zuschauern oder Mitspielern emotional gepusht. Beim Tennis zählt nur der saubere Schlag. Tennis ist vor allem eine mentale Geschichte.