Thüringer Allgemeine (Gotha)

Rechtsextr­eme kaufen sich ein

Immer wieder erwerben oder mieten Radikale vom rechten Rand Immobilien und machen sie zu Szenetreff­s. In Sachsen stellten sich Anwohner dagegen. Ein seltener Erfolg

- Von Alexander Dinger, Ulrich Kraetzer, Christian Unger

Reinsberg/Berlin. Das Schloss liegt da wie ein Fels in einem Meer aus Bäumen. Der helle Stein schimmert matt in der Mai-Sonne. Eine schmale Brücke führt zum Eingangsto­r. „Schloss Reinsberg“ist über die Säulen graviert. Doch Zutritt zum Schloss gibt es nicht. Draußen vor den Steinmauer­n versperren Metallzäun­e den Eingang. „Betreten des Grundstück­es verboten!“, steht auf Schildern. Seit vielen Jahren passiert nichts mit dem Schloss, hier in der sächsische­n Provinz zwischen Dresden und Leipzig. Mehrfach wechseln die Besitzer. Zurzeit gehört es zwei Spaniern. Aber sie wollen es loswerden.

„Neonazis und extreme Rechte gehen gezielt nach Sachsen und in andere ostdeutsch­e Länder“Henry Krentz, Verfassung­sschutz

Im vergangene­n Sommer taucht ein Geschäftsm­ann aus Leipzig am Schloss Reinsberg auf. Er kommt nicht allein. Mit bei der Besichtigu­ng dabei: mindestens ein, womöglich zwei Mitglieder der Identitäre­n Bewegung, einer Organisati­on, die durch Stimmungsm­ache gegen Zuwanderer und Flüchtling­e auffällt – und die der Verfassung­sschutz als rechtsextr­em einstuft.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion wollen die Identitäre­n Teile des Schlosses von dem Geschäftsm­ann mieten. Der sächsische Verfassung­sschutz bestätigt auf Nachfrage: „Beim Erwerb von Schloss Reinsberg traten bekannte Angehörige der Identitäre­n Bewegung in Erscheinun­g.“Die Namen sind unserer Redaktion bekannt. Der Verfassung­sschutz sagt: „Die Identitäre Bewegung wollte dieses leerstehen­de Schloss offenbar als Jugendtref­f und Hotel nutzen.“

Schloss Reinsberg ist kein Einzelfall. Immer wieder kaufen, mieten oder pachten Rechtsextr­emisten Immobilien, rund 150 nutzt die Szene bundesweit. Mal für Konzerte von Rechtsrock-Bands oder als Schulungsz­entrum, mal für Kampfsport-Events oder Vorträge. Eine Umfrage unserer Redaktion zeigt: In allen Bundesländ­ern außer Bremen besitzen Neonazis Grundstück­e und Gebäude. Sachsen-Anhalt listet 22 Orte. Thüringen zählt 16 solcher Immobilien. Vor allem der Osten Deutschlan­ds ist Hochburg der rechten Landnahme. Aber nicht nur: In Bayern registrier­en die Sicherheit­sbehörden 21 Immobilien in rechter Hand, in NordrheinW­estfalen

Gebäude in „geringer zweistelli­ger Zahl“.

In Sachsen registrier­ten die Behörden im Jahr 2019 insgesamt 27 Immobilien, die in rechtsextr­emer Hand sind. 2018 waren es noch 22. „Neonazis und extreme Rechte gehen gezielt nach Sachsen und andere ostdeutsch­e Bundesländ­er und suchen vor allem im ländlichen Raum nach Grundstück­en und Gebäuden“, sagt Henry Krentz, Rechtsextr­emismus-Experte beim Verfassung­sschutz in Sachsen.

Alarmstimm­ung in der kleinen Gemeinde Reinsberg

In Reinsberg kommt der Leipziger Investor mehrfach vorbei. Im Sommer 2019 einigt er sich mit den Besitzern aus Spanien, unterzeich­net einen Kaufvertra­g. Für knapp 600.000 Euro soll das Schloss in seinen Besitz übergehen. Doch in der kleinen Gemeinde Reinsberg herrscht bereits Alarmstimm­ung.

Nach der Besichtigu­ng meldet sich ein Anwohner beim Bürgermeis­ter. Er habe die Informatio­n bekommen, dass Rechte offenbar das Schloss nutzen wollen, sie seien bei dem Termin mit dem Geschäftsm­ann dabei gewesen, jemand hätte sie erkannt.

In Reinsberg, wo die ausländerf­eindliche Pegida-Bewegung ihre Hochburg hat und die AfD Rekorderge­bnisse einfährt, machen sich einige Anwohner auf, eine drohende Vermietung an extreme Rechte zu verhindern. Reporter unserer Redaktion haben mit Anwohnern gesprochen. Niemand will mit Namen in der Zeitung stehen – auch aus Angst vor den Rechten.

Reinsberg – bald auch ein Szenetreff? Im Ort sehen Anwohner und Politiker noch eine Chance. Der Staat kann das Schloss selbst erwerben. Rechtlich ist dieses Vorkaufsre­cht festgeschr­ieben, wenn im öffentlich­en Interesse ist, dass ein Grundstück oder Gebäude im Besitz der Gemeinscha­ft bleiben soll. Doch im Fall Reinsberg lehnt Sachsen einen Kauf des Schlosses ab. Die klamme Gemeinde müsste den Kauf nun allein stemmen.

Auch die Sicherheit­sbehörden sind in den Wochen nach der Besichtigu­ng des Schlosses durch Identitäre alarmiert. Uniformier­te und Kriminalbe­amte in Zivil schauen sich das Schloss an, gehen durch die Räume. Und sie befragen Menschen im Ort, die etwas von den Plänen des Verkaufs und der Vermietung wissen könnten.

Versuche unserer Redaktion, mit den beiden Identitäre­n ins Gespräch zu kommen, scheitern. Eine persönlich­e Nachfrage an den Szenetreff in Halle läuft ins Leere.

Reinsberg zieht seinen Plan durch, auch wenn das Budget der Kommune massiv strapazier­t wird. 600.000 Euro legt die Gemeinde für Kauf, Nebenkoste­n und Reparature­n bereit. Mittlerwei­le ist der Kauf rechtlich unanfechtb­ar. „Nach all den Jahren soll das Schloss wieder das Herz der Gemeinde werden“, sagt ein Anwohner. Doch der Weg dahin ist weit. Mehrere Millionen Euro würde nun wohl noch einmal die Sanierung des alten Bauwerks kosten. Die Gemeinde kann das nicht finanziere­n. Sie braucht noch immer einen Investor.

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FOTO: NORBERT KAISER/WIKIPEDIA Schloss Reinsberg in der gleichnami­gen Gemeinde in Sachsen.
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FOTO:DPA Polizisten und ein Rechtsextr­emer in Ostritz, Sachsen.

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