Thüringer Allgemeine (Gotha)

Als A-Junior im Fußballtem­pel Mein größter Moment

Philipp Kiebert und die besondere Erinnerung an Dortmund

- Von Thomas Rudolph

Ohrdruf. Als Henri Fuchs während des Trainings bei der ersten Mannschaft des FC Rot-Weiß Erfurt auf Philipp Kiebert zulief, ihn zur Seite nahm und die frohe Kunde überbracht­e, begannen die Augen zu funkeln. Kaum waren dessen Worte „du bist im Kader für das Dortmund-Spiel“ausgesproc­hen, lief es dem damals 18-Jährigen kalt den Rücken herunter.

Nicht nur die Nominierun­g in den Drittliga-Kader der Rot-Weißen stellte für den Kapitän der A-Jugend einen scheinbar wahrgeword­enen Traum dar. Denn wie im Vorfeld der Partie gegen die Bundesliga-Reserve bekannt wurde, sollte das Spiel im riesigen Signal-Iduna-Park ausgetrage­n werden.

Und so pochte das Herz in mehrerlei Hinsicht, als sich die Erfurter am Freitag Richtung Westen aufmachten, um am Folgetag, dem 7. November 2009, im großen Fußballtem­pel anzutreten. „Es hat sich unheimlich toll angefühlt, in das Stadion und die Katakomben zu gehen. So etwas erlebst du als Fußballer nicht oft. Es war schön, in diesen Moment reinschnup­pern zu können“, blickt Kiebert zurück.

Vergessen waren für eine kurze Zeit nicht nur die unzähligen Trainingse­inheiten, seit er 2000 zum Club kam, sondern auch die an die Grenze der Machbarkei­t gehenden Entbehrung­en. „Zu diesem Zeitpunkt der Saison musste ich zweigleisi­g – Erste und A-Junioren – fahren. Eigentlich hatte ich immer bis 16.10 Uhr Schule, aber das Training der Ersten fand 14.30 Uhr statt. Zwei Fächer, die zeitlich so ungünstig lagen, konnte ich drei Monate lang gar nicht besuchen“, sagt er.

Dass er bei der knappen 0:1-Niederlage vor mehr als 2000 Zuschauern, die im riesigen Rund dennoch etwas verloren aussahen, von Trainer Rainer Hörgl nicht eingewechs­elt wurde, war und ist für ihn zweitrangi­g. „Allein die Atmosphäre aufzunehme­n war toll, zumal die Fans ordentlich Stimmung gemacht haben“, so Kiebert, der zwei Monate später sein Gastspiel beim RWE abrupt beendete.

Noch Anfang Januar wurde er mit ins Trainingsl­ager in die Türkei genommen. Hörgl attestiert­e ihm das Talent, es in die 3. Liga schaffen zu können. Doch es blieben warme Worte. Ein Profivertr­ag wurde dem heute 28-Jährigen nie angeboten. Als Kiebert ihm gestand, den hohen Aufwand zwischen Sport und Schule unter diesen Bedingunge­n nicht mehr kompensier­en zu können, fiel die Antwort ernüchtern­d aus. „Er wusste nicht, ob er mir noch einmal eine Chance geben könne“, ließ Hörgl verlauten.

Ein Schlag ins Gesicht für den Ohrdrufer, der keine drei Wochen später den Radikalsch­nitt vollzog. Abmeldung vom Sportgymna­sium, Kündigung des Vertrages bei RotWeiß, Rückkehr auf die Ohrdrufer Schule, Abkehr vom Fußball. Kiebert

hatte die Nase gestrichen voll, trat über ein Jahr nicht vor dem Ball, ehe er mit Freunden in Luisenthal in der 1. Kreisklass­e den Weg zurück fand.

„Ich war vielleicht jung, dumm und naiv, hätte es rückblicke­nd auch anders machen können. Aber es gab in Erfurt niemanden, der mich mal zur Seite genommen oder unterstütz­t hat – weder beim FC Rot-Weiß, noch anderswo. Dass ich mit der Ersten ins Trainingsl­ager gefahren bin, haben die Lehrer meiner Schule aus der Zeitung erfahren. Viele haben nur mit dem Kopf geschüttel­t, aber wirklich geholfen hat keiner.“Es waren die wohl schwersten Wochen in der fußballeri­schen

Laufbahn Kieberts, denn er hatte immer das Gefühl, auch seine Familie enttäuscht zu haben. „Meine Mutter hat mich jahrelang jeden Tag von Ohrdruf nach Erfurt gefahren und wieder abgeholt. Selbst zu den weiten Auswärtsfa­hrten ist sie mitgekomme­n. Es war nicht nur für sie ein Rückschlag, dass ich alles weggeworfe­n habe. Es ist verständli­ch, dass die Stimmung zu Hause für ein paar Wochen unterkühlt war und sie in der Folge lange zu keinem Spiel von mir gekommen ist. Aber ich bin ihr bis heute dankbar, dass sie solche Strapazen auf sich genommen hat“, sagt Kiebert mit nachdenkli­cher Stimme.

Rund elf Jahre später haben sich die Dinge grundlegen­d geändert. „Ich bin einfach glücklich“, sagt der Kapitän des FSV Ohratal. Nach einem Intermezzo in Martinroda wechselte er 2012 in die Heimat nach Ohrdruf und ist seitdem auf und neben dem Platz nicht mehr wegzudenke­n.

Ob er negativ auf die Zeit beim FC Rot-Weiß Erfurt zurückdenk­t? „Nein. Wenn man die Chance hat, seinen Traum zu leben, sollte man das auf jeden Fall machen. Die Zeit im Jugendbere­ich war toll, immer ein kleiner Nervenkitz­el und mit vielen Heimlichke­iten verbunden. Das schweißt ein Team zusammen.“Zumal die Erinnerung­en – unter anderem das Spiel im Signal-IdunaPark – mit den Jahren immer freundlich­er im Gedächtnis bleiben.

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FOTO: FRANK STEINHORST Philipp Kiebert beim Aufwärmen im Signal-Iduna-Park am 7. November 2009.

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