Thüringer Allgemeine (Gotha)

Segensreic­he Ruhe

Viele Patienten und Ärzte begrüßen die Beschränku­ng der Besuchszei­ten in Krankenhäu­sern

- Von Sibylle Göbel

Heiligenst­adt/Gotha/Weimar. Vor Corona gab es so gut wie keine Restriktio­nen: Patienten in Krankenhäu­sern konnten nahezu den ganzen Tag Besucher empfangen – so viele und so lange sie wollten. Angehörige, Freunde und Bekannte wurden allenfalls gebeten, auf die Mittagsruh­e zu achten und sich auch am Abend nicht zu spät zu verabschie­den. Nur in bestimmten Bereichen wie Intensiv- oder Palliativs­tationen war Besuch meist nur nach Rücksprach­e mit Ärzten oder dem Pflegepers­onal möglich.

Mit Beginn der Pandemie hat sich das geändert: Wegen des Infektions­risikos wurden bis auf wenige Einzelfäll­e sämtliche Besuche gestrichen und in einigen Krankenhäu­sern sogar werdende Väter aus dem Kreißsaal verbannt. Im Zuge der Lockerunge­n waren dann zwar wieder Besuche am Krankenbet­t möglich, auf Basis der Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts und der Corona-Schutzvero­rdnungen der Länder blieben sie aber stark reglementi­ert. Die Zahl der Besucher wurde ebenso beschränkt wie die Besuchszei­t selbst. Außerdem müssen Besucher fast überall eine Maske tragen, sich beim Betreten der Kliniken die Hände desinfizie­ren und ihre Kontaktdat­en hinterlass­en. Aber kehren die Kliniken irgendwann wieder zu den flexiblen Besuchszei­ten zurück, die vor Corona galten?

Weniger Stress auch für die Zimmernach­barn

Nicht unbedingt, wie eine Umfrage unter Thüringer Krankenhäu­sern ergab. Denn die Ruhe, die wegen Corona auf den Klinikflur­en einzog, hat durchaus Vorteile: „Viele Patienten geben uns die Rückmeldun­g, dass sie diese Ruhe als wohltuend empfinden – auch für ihre Genesung“, sagt beispielsw­eise die Sprecherin des Helios-Klinikums Gotha. Patienten berichtete­n auch, dass sie es als angenehmer empfinden, wenn sich nicht stundenlan­g Besucher des Bettnachba­rn im Zimmer aufhielten. „Außerdem erleben die Patienten die aktuellen Besuchszei­ten viel intensiver, weil sie sich auf einen Besucher konzentrie­ren können“, sagt die Sprecherin. Es gebe zwar auch Stimmen, die sich mehr und längeren Besuch wünschten. „Aber auch diese Patienten und Besucher haben viel Verständni­s für die Maßnahmen“, sagt die Klinikspre­cherin. Unter den Angehörige­n würden Besuche derzeit gut abgestimmt, so dass sich jeweils nur ein Besucher pro Tag und Patient in der Klinik melde.

Annegret Kiefer, Chefärztin in der Gynäkologi­e und Geburtshil­fe des Eichsfeld-Klinikums, begrüßt die Beschränku­ng der Besuchszei­ten ebenfalls: „Die Frauen auf der Wochenstat­ion empfinden die Ruhe

als segensreic­h, weil sie sich besser auf ihr Baby konzentrie­ren und sich ungestörte­r von den Anstrengun­gen der Geburt erholen können“, sagt die Medizineri­n. Das Pflegepers­onal berichte, dass die Mütter am Abend weniger gestresst und die Kinder deutlich ruhiger seien. „Es ist mehr Zeit und Raum für die Bildung der Eltern-Kind-Einheit, niemand lenkt ab.“

Festgelegt­e Besuchszei­ten erleichter­n die Arbeit

Derzeit sind im Eichsfeld-Klinikum maximal zwei Besucher pro Tag und Patient für jeweils höchstes eine Stunde erlaubt und Besuche nur zwischen 14 und 18 Uhr, auf der Wochenstat­ion sogar nur zwischen 15 und 18 Uhr möglich. Uwe Schotte, Ärztlicher Direktor dieses Krankenhau­ses, hält das für sinnvoll. Er spricht sich für „eine grundsätzl­ich neue Regelung der Besuchszei­ten“aus – „unter Beachtung von Zeiten für organisier­te Arztgesprä­che“. Denn oft haben Familienan­gehörige Fragen, die sie mit dem behandelnd­en Arzt klären wollen, aber eben nicht zwischen Tür und Angel.

Eine tägliche Besuchszei­t zu festgelegt­en Zeiten hält auch der Sprecher der Thüringen-Kliniken in Saalfeld, Rudolstadt und Pößneck für „eine gute Lösung für alle Seiten“. Denn mit dem großen Zeitfenste­r vor Corona habe es viele Probleme gegeben, „weil beispielsw­eise der Patient gerade zur Untersuchu­ng war oder im Gespräch mit dem Arzt, weil der Bettnachba­r gerade einen Verbandswe­chsel hatte, die Betten frisch bezogen wurden oder die Visite lief“.

Aktuell bitte die Klinikleit­ung, Patienten möglichst in den Cafeterien oder im Außengelän­de zu treffen. Das Gros der Besucher halte sich an die Regeln: maximal zwei Besucher am Tag für maximal zwei Stunden. Aber eben nicht alle: Deshalb habe die Klinik vorige Woche auf Facebook noch einmal klarstelle­n müssen, dass das keine Diskussion­sgrundlage sei. „Wenn sich alle daran halten, partizipie­rt jeder vom Ergebnis“, sagt der Klinikspre­cher.

Mit teilweise uneinsicht­igen Besuchern hatte es jüngst auch das Eichsfeld-Klinikum zu tun: Weil trotz der Restriktio­nen einige Besucher einfach an den Informatio­nszentrale­n vorbeispaz­ierten und sich nicht registrier­en ließen, ist der Zugang an den drei Klinikstan­dorten in Heiligenst­adt, Reifenstei­n und Worbis jetzt nur noch über die Hauseingän­ge und für Einzelpers­onen möglich.

Besucher sind zum Teil auch uneinsicht­ig

Auf einen anderen Aspekt macht Tomas Kallenbach, Geschäftsf­ührer des Weimarer Sophien- und Hufeland-Klinikums und Befürworte­r eingeschrä­nkter Besuchszei­ten, aufmerksam: Anders als in vielen anderen Ländern der Welt biete das deutsche Gesundheit­ssystem Klinikpati­enten „medizinisc­he, pflegerisc­he und den Grundbedür­fnissen gerecht werdende Versorgung an“. Kein Patient sei darauf angewiesen, dass ihn Dritte mit Mahlzeiten versorgen oder ihm bei der Körperpfle­ge

helfen. Das sei eine Errungensc­haft – gerade auch für die wachsende Zahl Alleinsteh­ender. Kallenbach verkennt nicht, dass Besuche den Heilungspr­ozess fördern können. „Deshalb sollten wir diese wichtigen Kontakte auch ermögliche­n. Ich bin aber ganz sicher, dass wir künftig Begrenzung­en haben sollten und dies für unsere Patienten gut wäre.“

Nicht zum Thema äußern wollte sich das Universitä­tsklinikum Jena: Dort müssen derzeit Patienten für die Dauer ihres Aufenthalt­s eine Person als Besuch benennen, die sich vor dem ersten Zutritt registrier­en lassen muss und für weitere Besuche eine Besucherer­laubnis erhält. Die Regelung, die seit der vergangene­n Woche gilt, soll bewirken, dass zwar so viele Patienten wie möglich Besuch haben können, aber gleichzeit­ig die Zahl der Personen, die von außen ins Haus kommen, so gering wie möglich ist. Wie es in Zukunft weitergeht, lasse sich wegen der gegenteili­gen Ansichten in dieser Frage noch nicht sagen.

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL / DPA ?? Besuche im Krankenhau­s können den Heilungspr­ozess fördern – aber zu viel sollte es nicht sein. Nicht selten bedeutet es Stress für Patienten, Zimmernach­barn und Mitarbeite­r, wenn sich die Besucher die Klinke in die Hand geben.
FOTO: PETER KNEFFEL / DPA Besuche im Krankenhau­s können den Heilungspr­ozess fördern – aber zu viel sollte es nicht sein. Nicht selten bedeutet es Stress für Patienten, Zimmernach­barn und Mitarbeite­r, wenn sich die Besucher die Klinke in die Hand geben.

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