„Angst ist wie ein Muskel“
Wissenschaftlerin Cornelia Betsch über einen Corona-Impfstoff, Risikowahrnehmung und Verschwörungstheorien
Erfurt. Seit mehr als fünf Monaten leitet Cornelia Betsch, Expertin für Gesundheitskommunikation und Psychologin, eine Studie, in der wöchentlich je etwa 1000 repräsentativ ausgewählte Deutsche mittels eines Online-Fragebogens zu ihrem Wissen über die Pandemie und dem eigenen Verhalten befragt werden. Wir sprachen mit der Erfurter Universitätsprofessorin, die auch zum Wissenschaftlichen Beirat der Thüringer Landesregierung gehört.
Es gibt neue Ergebnisse aus dem Monitoring. Nimmt die Risikowahrnehmung zu, da die Infektionszahlen nach oben klettern?
Sowohl die Risikowahrnehmung als auch die Akzeptanz der Maßnahmen steigen im Vergleich zu den Erhebungswellen vom Juli leicht an. Die Sorgen über die Überlastung des Gesundheitssystems nehmen ebenfalls zu. Auch, dass es dauerhafte Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens geben oder man selbst erkranken könnte. 22 Prozent halten es für wahrscheinlich, dass sie sich mit dem Coronavirus infizieren.
In Deutschland gilt: Abstand, Hygiene, Alltagsmasken. Findet das weiter Zustimmung?
Masken werden von 87 Prozent der Befragten häufig oder immer getragen. 85 Prozent halten den 1,5-Meter-Abstand ein, 83 Prozent waschen sich 20 Sekunden die Hände.
Also werden die Maßnahmen als richtig angesehen?
Bei der Einschätzung der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen und Lockerungen gibt es mit 50 Prozent eine große Gruppe Zufriedener.
Und der Rest?
34 Prozent finden die Lockerungen übertrieben, 15 Prozent die Maßnahmen der Einschränkungen. Insgesamt ist dabei festzustellen, dass lokale Beschränkungen eine deutlich höhere Akzeptanz finden als regionale oder deutschlandweite.
Junge Menschen werden sich bestimmt nach noch mehr Lockerungen sehnen. . .
Seit Beginn der Pandemie schätzen jüngere Leute unter 30 ihr Risiko als niedriger ein als über 30-Jährige. Aber die steigende Risikowahrnehmung angesichts steigender Fallzahlen ist auch bei Jüngeren erkennbar. Man kann daher nicht von einem neuen Phänomen der Sorglosigkeit bei ihnen reden – sie sehen sich schon immer als weniger gefährdet.
Die Schule hat wieder begonnen, in Thüringen steht der Start bevor. Welche Erkenntnisse gibt es diesbezüglich?
Zunächst mal werden vorsorgliche
Schulschließungen weiter abgelehnt. Und einheitliche, verbindliche Regelungen, die an allen Schulen im Bundesland gelten, werden vor deutschlandweiten oder schulspezifischen Regelungen bevorzugt. Wenn es um die Maskenfrage geht, befürworten 54 Prozent der Eltern, dass Masken nur für den Schulweg und das Schulhaus gelten, 42 wünschen sich das für den Unterricht. 56 möchten, dass Lehrer/innen dort auch Masken tragen. Doch egal, was entschieden wird, der Kommunikationsbedarf ist hoch.
Können Sie noch weitere interessante Fakten der Studie in Kurzform nennen?
85 Prozent achten häufig oder immer darauf, die Kontaktdokumente in Restaurants, Bars oder bei Friseuren korrekt auszufüllen. Seit ihrer Einführung haben 36 Prozent der Befragten angegeben, die CoronaWarn-App heruntergeladen zu haben. Dass der Test auf eine CoronaInfektion für Rückkehrer aus Risikogebieten verpflichtend ist, finden 87,4 Prozent richtig. 63 Prozent stimmen zu, dass für private Veranstaltungen wie Familienfeiern eine eingeschränkte Personenanzahl gelten sollte. 73 Prozent sind der Meinung, dass Besucher/innen von
Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen während der Veranstaltung eine Maske tragen sollten.
Für Diskussionen hat der russische Impfstoff gesorgt. Wie viele würden sich damit impfen lassen?
14 Prozent, wenn dieser nächste Woche verfügbar wäre. Mit einem in Deutschland zugelassenen und empfohlenen Impfstoff würden sich 59 Prozent impfen lassen.
Sie auch?
Ja. Ich vertraue den Sicherungs- und Zulassungssystemen, die es in Deutschland und international gibt, und bin von der Notwendigkeit der verschiedenen Phasen der Zulassung überzeugt.
Was ist der wichtigste Grund, sich nicht impfen zu lassen? Der Glaube an Verschwörungstheorien? Oder Unsicherheit? Gibt es da vielleicht sogar eine Schnittmenge?
Vertrauen in die Sicherheit ist momentan der wichtigste Grund. Daher ist es auch so wichtig, dass hier sauber gearbeitet und transparent kommuniziert wird. Und Verschwörungstheorien und Impfgegnertum hingen ja schon vor Corona in gewisser Weise zusammen. Es sind Menschen, die es nicht gerne sehen, dass der Staat ihnen in ihr Leben reinredet. Die für sich feststellen, dass die Kluft zwischen oben und unten größer wird, die auch Existenzängste haben.
Empfehlen Sie Diskussionen mit Corona-Leugnern? Und wenn ja, wie sollten diese geführt werden?
Eine Möglichkeit ist, den anderen durch Nachfragen selbst auf die Schwachstellen in seiner Argumentation zu stoßen. Auf die falsche Logik hinzuweisen. Auf eindeutige Fakten, die nicht zu übersehen sind. Aber die meisten Verschwörungstheorien immunisieren sich dagegen. Man muss deshalb einen langen Atem haben.
Die Welt hofft auf einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus. Denken Sie selbst in Wochen, Monaten, Jahren?
Ich hoffe natürlich, dass es so schnell wie möglich gelingen wird, einen wirksamen Impfstoff zu finden. Aber es ist nun mal unklar, wann es ihn geben wird.
Ist Angst vor dem Virus weiter empfehlenswert?
Das Angstgefühl ist ein Motivator für Schutzverhalten und etwas, das uns wach und aufmerksam sein lässt. Dass es über die Dauer der Pandemie nachlässt, ist verständlich – Angst ist wie ein Muskel und kann auch nicht dauerhaft angespannt sein. Die einsetzende Gewöhnung lässt uns dann nachlässiger werden. Auch wenn wir uns vielleicht wieder in größerer Sicherheit wiegen, gilt es, weiter achtsam zu sein und dafür hilft das Risikobewusstsein. Wenn also jetzt bei steigenden Zahlen die Angst etwas zunimmt, ist das durchaus sinnvoll.
Was denken die Befragten darüber, wie die Ausnahmesituation durch Corona noch andauern wird?
Nur zwei bis fünf Prozent erwarten, dass sich die Pandemiesituation im nächsten halben Jahr auflösen wird. Die Mehrheit – 30 Prozent - glaubt, die Situation könnte sich in 18-24 Monaten wieder normalisiert haben. 13 Prozent erwarten, dass es nie wieder so wird wie vorher.