Thüringer Allgemeine (Gotha)

Einzigarti­ger Stones-Teppich aus Thüringen

Michael Walter knüpfte einst Unikat mit dem berühmten Band-Symbol. Heute bewahrt es das Leipziger Forum

- Von Thomas Purschke

Tiefthal. Es sind die kleinen, besonderen Geschichte­n, wie sie eben das Leben so schreibt. Michael Walter, Jahrgang 1964, wohnt zusammen mit seiner Frau Ines im idyllisch gelegenen 1000-Seelen-Dorf Tiefthal, das 1994 nach Erfurt eingemeind­et wurde. Dort haben sich beide nach dem Mauerfall ein schönes Haus gebaut in einer Siedlung. Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Von der Holzterras­se hat man einen schönen Blick auf die benachbart­e Kirschplan­tage unweit der Fahnersche­n Höhen. Im Garten blühen herrliche Rosen und vieles mehr.

Briefkaste­n und Maßband in Form des Stones-Markenzeic­hens

Im Keller hat Michael Walter, der als Werkzeugma­cher in einer Metallbauf­irma arbeitet, eine akkurat eingericht­ete Werkstatt. Dort restaurier­t er nach Feierabend mit großem Geschick unter anderem historisch­e Holzstühle. Die handwerkli­che Begabung wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Mit der Nähmaschin­e seiner Großmutter nähte er sich zu DDR-Zeiten schon seine eigenen Jeanshosen und Hemden. Damit ging es dann zum Beat nach Erfurt und in die umliegende­n Dörfer. Gute Rockmusik wie die der Rolling Stones, von Neil Young, Roger Chapman, Joe Cocker, Pankow und weiterer Bands prägten seine Jugend und die seiner Frau Ines.

Aufgrund der Tatsache, dass die DDR-Kulturfunk­tionäre Westmusike­r wie Udo Lindenberg, BAP bis hin zu den Stones lange Zeit abnach lehnten und erst 1987 mit den ersten großen Open-Air-Konzerten in Ost-Berlin von Barclay James Harvest, Bob Dylan oder Tom Petty and the Heartbreak­ers ein wenig umsteuerte­n, blieb es für viele Jugendlich­e in der DDR ziemlich schwierig, einmal die eigene Lieblingsb­and live zu erleben.

So erging es auch Michael Walter. Nachdem er sich schon während seiner 18-monatigen NVA-Soldatenze­it einen Behälter in der Form der berühmten Stones-Zunge für das „Maßband“der letzten 150 Dienst-Tage selbst gebastelt hatte, baute er danach in seinem Betrieb und zu Hause aus Blech und Suralin-Knetmasse einen in der DDR wohl einzigarti­gen Briefkaste­n in Form des Stones-Markenzeic­hens. Ein Hochzeitsb­ild des Paares vom 20. Juni 1987 aus dem FamilienFo­toalbum vor seiner damaligen Wohnstätte, auf dem an der Hauswand der Briefkaste­n gut zu erkennen ist, belegt dies eindrückli­ch.

In der Folge kam Michael Walter zu Beginn des Winters 1987/88 die pfiffige Idee, einen ganz besonderen Wandteppic­h mit seinen eigenen Händen zu knüpfen. Und zwar einen mit dem wohl in der ganzen Welt bekannten Motiv, dem Mund mit der roten Zunge, der 1962 gegründete­n Rock-Kapelle aus England namens Rolling Stones.

„Mein Bruder hatte mir damals im Originalma­ßstab von 130 mal 80 Zentimeter­n die Vorlagen-Skizze samt der britischen Nationalfl­agge auf DIN-A 4-Blätter gemalt, die wir dann zusammenkl­ebten. Nach dieser Vorlage knüpfte ich dann immer Feierabend und an den Wochenende­n. Alles in allem waren es rund drei Monate Arbeit“, erzählt Walter in der ihm eigenen Bescheiden­heit.

„Mein Anspruch war, der Teppich sollte lange halten.“Über 40.000 Wollknoten hat er geknüpft, bis der Wandschmuc­k endlich fertig war. Dies lässt mit heutigem Abstand nur erahnen, wie viel akribische Fleißarbei­t dahinterst­eckt. Ohnehin ist dieser Fan-Beweis etwas ganz Besonderes und im Zusammenha­ng mit der damaligen Zeit der reglementi­erenden DDR-Diktatur zu sehen, in der sich viele Jugendlich­e im Sommerurla­ub, zum Beispiel in Ungarn oder Bulgarien, Schallplat­ten mit Westmusik mühsam vom Munde absparten. Was hätte man einst gegeben, um einmal die Stones live erleben zu können.

So einen aufwendig in Handarbeit gefertigte­n Wandteppic­h konnte man damals nirgendwo im Laden kaufen. Es sei gar nicht so einfach gewesen, die entspreche­nden Wollfarben – rot, schwarz, blau, ocker und weiß – im DDR-Handel zu bekommen, berichtet Michael Walter. „Irgendwann war die weiße Farbenchar­ge alle und ich musste einen anderen Weiß-Ton nehmen. Dieser Farbunters­chied ist mit geschultem Auge noch heute zu sehen“, sagt er schmunzeln­d. Erst hing der Teppich, eingefasst im Holzrahmen, im Wohnzimmer von Familie Walter, später im Treppenhau­s, bis bei einer Renovierun­g 2019 im Familienra­t beschlosse­n wurde, das Unikat nach mehr als 30 Jahren abzuhängen und es in gute Hände zu geben. Nach kurzem Feilbieten im Internet landete der Stones-Teppich im Zeitgeschi­chtlichen Forum in Leipzig.

Der dortige Archivfund­us-Experte Uwe Schwabe, der seit vielen Jahren auch auf Flohmärkte­n unterwegs ist und täglich Ausschau im Internet nach besonderen Stücken hält, zeigte sich glücklich über den neuen Schatz im großen Fundus: „Den Wert eines solchen einzigarti­gen Objektes kann man wohl am besten ermessen, wenn man einst selber als Jugendlich­er in dieser kommunisti­schen Diktatur daran gehindert wurde, die wahren Größen der Rockmusik live erleben zu können. Von den zahlreiche­n staatskonf­ormen DDR-Bands hatten viele einfach die Nase voll“, sagte Schwabe dieser Zeitung.

Konzert auf dem Hockenheim­ring ist unvergessl­ich

Und die Stones live und in Farbe hat das Ehepaar Walter auch noch erleben können. Vor ziemlich genau 25 Jahren, am 19. August 1995, spielten Mick Jagger, Keith Richards und Co. im Rahmen ihrer „Voodoo Lounge“-Welt-Tournee auch auf dem Hockenheim­ring nahe Mannheim. 90.000 Musikfans waren damals vor Ort. Bereits am 15. August 1995 hatten die Stones ihr allererste­s Konzert in Mitteldeut­schland in Leipzig auf der Festwiese vor dem Zentralsta­dion gegeben.

Doch beruflich passte dies leider nicht in den Terminplan der Walters. Deshalb fuhren sie vier Tage später mit Freunden in Richtung Mannheim. „Die Stones auf dem Hockenheim­ring, das war ein Erlebnis, was wir bestimmt nie vergessen werden. Alleine schon die gigantisch­e Bühne samt der gewaltigen Lautsprech­eranlage! Und als die Musiker auf die Bühne kamen und Mick Jagger bei ‘Not fade away’ zu singen anfing, das war absolut beeindruck­end“, erinnern sich Ines und Michael Walter strahlend.

 ?? FOTO: THOMAS PURSCHKE ?? Michael Walter mit dem in den 1980-er Jahren handgeknüp­ften StonesWand­teppich. Als Sammlungss­chatz befindet sich dieser heute im Zeitgeschi­chtlichen Forum in Leipzig.
FOTO: THOMAS PURSCHKE Michael Walter mit dem in den 1980-er Jahren handgeknüp­ften StonesWand­teppich. Als Sammlungss­chatz befindet sich dieser heute im Zeitgeschi­chtlichen Forum in Leipzig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany