Einzigartiger Stones-Teppich aus Thüringen
Michael Walter knüpfte einst Unikat mit dem berühmten Band-Symbol. Heute bewahrt es das Leipziger Forum
Tiefthal. Es sind die kleinen, besonderen Geschichten, wie sie eben das Leben so schreibt. Michael Walter, Jahrgang 1964, wohnt zusammen mit seiner Frau Ines im idyllisch gelegenen 1000-Seelen-Dorf Tiefthal, das 1994 nach Erfurt eingemeindet wurde. Dort haben sich beide nach dem Mauerfall ein schönes Haus gebaut in einer Siedlung. Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Von der Holzterrasse hat man einen schönen Blick auf die benachbarte Kirschplantage unweit der Fahnerschen Höhen. Im Garten blühen herrliche Rosen und vieles mehr.
Briefkasten und Maßband in Form des Stones-Markenzeichens
Im Keller hat Michael Walter, der als Werkzeugmacher in einer Metallbaufirma arbeitet, eine akkurat eingerichtete Werkstatt. Dort restauriert er nach Feierabend mit großem Geschick unter anderem historische Holzstühle. Die handwerkliche Begabung wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Mit der Nähmaschine seiner Großmutter nähte er sich zu DDR-Zeiten schon seine eigenen Jeanshosen und Hemden. Damit ging es dann zum Beat nach Erfurt und in die umliegenden Dörfer. Gute Rockmusik wie die der Rolling Stones, von Neil Young, Roger Chapman, Joe Cocker, Pankow und weiterer Bands prägten seine Jugend und die seiner Frau Ines.
Aufgrund der Tatsache, dass die DDR-Kulturfunktionäre Westmusiker wie Udo Lindenberg, BAP bis hin zu den Stones lange Zeit abnach lehnten und erst 1987 mit den ersten großen Open-Air-Konzerten in Ost-Berlin von Barclay James Harvest, Bob Dylan oder Tom Petty and the Heartbreakers ein wenig umsteuerten, blieb es für viele Jugendliche in der DDR ziemlich schwierig, einmal die eigene Lieblingsband live zu erleben.
So erging es auch Michael Walter. Nachdem er sich schon während seiner 18-monatigen NVA-Soldatenzeit einen Behälter in der Form der berühmten Stones-Zunge für das „Maßband“der letzten 150 Dienst-Tage selbst gebastelt hatte, baute er danach in seinem Betrieb und zu Hause aus Blech und Suralin-Knetmasse einen in der DDR wohl einzigartigen Briefkasten in Form des Stones-Markenzeichens. Ein Hochzeitsbild des Paares vom 20. Juni 1987 aus dem FamilienFotoalbum vor seiner damaligen Wohnstätte, auf dem an der Hauswand der Briefkasten gut zu erkennen ist, belegt dies eindrücklich.
In der Folge kam Michael Walter zu Beginn des Winters 1987/88 die pfiffige Idee, einen ganz besonderen Wandteppich mit seinen eigenen Händen zu knüpfen. Und zwar einen mit dem wohl in der ganzen Welt bekannten Motiv, dem Mund mit der roten Zunge, der 1962 gegründeten Rock-Kapelle aus England namens Rolling Stones.
„Mein Bruder hatte mir damals im Originalmaßstab von 130 mal 80 Zentimetern die Vorlagen-Skizze samt der britischen Nationalflagge auf DIN-A 4-Blätter gemalt, die wir dann zusammenklebten. Nach dieser Vorlage knüpfte ich dann immer Feierabend und an den Wochenenden. Alles in allem waren es rund drei Monate Arbeit“, erzählt Walter in der ihm eigenen Bescheidenheit.
„Mein Anspruch war, der Teppich sollte lange halten.“Über 40.000 Wollknoten hat er geknüpft, bis der Wandschmuck endlich fertig war. Dies lässt mit heutigem Abstand nur erahnen, wie viel akribische Fleißarbeit dahintersteckt. Ohnehin ist dieser Fan-Beweis etwas ganz Besonderes und im Zusammenhang mit der damaligen Zeit der reglementierenden DDR-Diktatur zu sehen, in der sich viele Jugendliche im Sommerurlaub, zum Beispiel in Ungarn oder Bulgarien, Schallplatten mit Westmusik mühsam vom Munde absparten. Was hätte man einst gegeben, um einmal die Stones live erleben zu können.
So einen aufwendig in Handarbeit gefertigten Wandteppich konnte man damals nirgendwo im Laden kaufen. Es sei gar nicht so einfach gewesen, die entsprechenden Wollfarben – rot, schwarz, blau, ocker und weiß – im DDR-Handel zu bekommen, berichtet Michael Walter. „Irgendwann war die weiße Farbencharge alle und ich musste einen anderen Weiß-Ton nehmen. Dieser Farbunterschied ist mit geschultem Auge noch heute zu sehen“, sagt er schmunzelnd. Erst hing der Teppich, eingefasst im Holzrahmen, im Wohnzimmer von Familie Walter, später im Treppenhaus, bis bei einer Renovierung 2019 im Familienrat beschlossen wurde, das Unikat nach mehr als 30 Jahren abzuhängen und es in gute Hände zu geben. Nach kurzem Feilbieten im Internet landete der Stones-Teppich im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig.
Der dortige Archivfundus-Experte Uwe Schwabe, der seit vielen Jahren auch auf Flohmärkten unterwegs ist und täglich Ausschau im Internet nach besonderen Stücken hält, zeigte sich glücklich über den neuen Schatz im großen Fundus: „Den Wert eines solchen einzigartigen Objektes kann man wohl am besten ermessen, wenn man einst selber als Jugendlicher in dieser kommunistischen Diktatur daran gehindert wurde, die wahren Größen der Rockmusik live erleben zu können. Von den zahlreichen staatskonformen DDR-Bands hatten viele einfach die Nase voll“, sagte Schwabe dieser Zeitung.
Konzert auf dem Hockenheimring ist unvergesslich
Und die Stones live und in Farbe hat das Ehepaar Walter auch noch erleben können. Vor ziemlich genau 25 Jahren, am 19. August 1995, spielten Mick Jagger, Keith Richards und Co. im Rahmen ihrer „Voodoo Lounge“-Welt-Tournee auch auf dem Hockenheimring nahe Mannheim. 90.000 Musikfans waren damals vor Ort. Bereits am 15. August 1995 hatten die Stones ihr allererstes Konzert in Mitteldeutschland in Leipzig auf der Festwiese vor dem Zentralstadion gegeben.
Doch beruflich passte dies leider nicht in den Terminplan der Walters. Deshalb fuhren sie vier Tage später mit Freunden in Richtung Mannheim. „Die Stones auf dem Hockenheimring, das war ein Erlebnis, was wir bestimmt nie vergessen werden. Alleine schon die gigantische Bühne samt der gewaltigen Lautsprecheranlage! Und als die Musiker auf die Bühne kamen und Mick Jagger bei ‘Not fade away’ zu singen anfing, das war absolut beeindruckend“, erinnern sich Ines und Michael Walter strahlend.