Thüringer Allgemeine (Gotha)

Konsolenki­cker: Wie wird man eSport-Profi?

Die Branche boomt, Millionen Menschen zocken, manche auch beruflich. Zu Besuch in einer Videospiel-Akademie

- Von Maik Henschke

Berlin. Wenn Elias Nerlich zum Training kommt, darf er erst mal einen Stapel Fanpost durchforst­en. Auf dem Weg zum Trainingsg­elände hat er gerade wieder Selfie-Wünsche von Fans erfüllt, die ihn erkannt und angesproch­en haben.

Als der Berliner vor zwei Jahren beim Fußballklu­b Hertha BSC einen Profivertr­ag unterschri­eb, ging es nicht etwa um das Spiel auf dem Rasen. Nerlich sollte am Computer um Siege kämpfen, beim sogenannte­n eSport. Elektronis­cher Sport also, der sich seit der Jahrtausen­dwende zu einem weltweiten Phänomen bei jungen Menschen entwickelt hat.

Elias Nerlich ist 22. Er hat mehr als eine halbe Million Fans, die im Internet seine Karriere verfolgen. Anders als Herthas Fußballpro­fis trainiert Nerlich mit fünf Teamkolleg­en im ersten Stock der HerthaGesc­häftsstell­e in Berlin. Sein Arbeitsger­ät ist ein sogenannte­s Gamepad mit einem Dutzend Tasten und zwei kleinen Hebeln. Damit steuert er seine Fußballer auf dem Bildschirm. Nerlich ist eSport-Profi in Vollzeit, einer der bekanntest­en in Deutschlan­d, wenn es um das populäre Fußball-Videospiel „Fifa“geht. Nach dem Abitur hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. „Das war die beste Entscheidu­ng meines Lebens“, sagt er.

Die Videospiel-Branche boomt. Ihr Umsatz in Deutschlan­d ist 2019 auf über sechs Milliarden Euro gestiegen. Millionen Fußballfan­s spielen die weltweit erfolgreic­hste Sportsimul­ation „Fifa“zu Hause gegen den Computer oder online gegen Freunde. Auf der Spielemess­e Gamescom, die 2019 in Köln etwa 370.000 Besucher zählte und in diesem Jahr ab Donnerstag coronabedi­ngt als Geisterspi­elemesse digital stattfinde­t, wird der neue Titel „Fifa 21“gezeigt, der im Oktober im Handel erscheint.

Vor allem viele Jungs folgen den eSport-Profis virtuell bei Übertragun­gen im Internet und eifern ihren Tricks auf der eigenen Konsole nach. Sicher träumt der ein oder andere auch davon, eSport-Profi zu werden – was häufig für Augenrolle­n bei den Eltern sorgt.

Wer „Fifa“profession­ell spielen und damit sein Geld verdienen will, der muss um einen Platz in einem der 22 Profiteams kämpfen, die in der Virtual Bundesliga online – und beim Finalturni­er normalerwe­ise in einer großen Halle vor Publikum – um den Meistertit­el spielen. Mit dabei sind Schalke 04, Borussia Mönchengla­dbach oder RB Leipzig. Der aktuelle Klub-Meister heißt Werder Bremen. Hertha BSC hat 2018 als erster Verein eine eSport-Akademie gegründet. Dort will der Klub – statt ein Team zusammenzu­kaufen – Talente aus der Region entdecken und ausbilden.

Zwei der Hertha-Profis sind Elias Nerlich und Christoph Strietzel (20). Ihre Ausbildung fußt auf drei Säulen: Neben dem Training an der Konsole nehmen Ernährung und Fitness eine feste Rolle ein. Den Spielern stehen Fitnessräu­me und Ernährungs­berater zur Verfügung.

Zusätzlich werden die eSportler fit gemacht für die sozialen Medien. Für profession­elle Videos und Streaming-Sendungen wurde eine Studioecke eingericht­et. „Wir schulen das von der Pike auf: Wie formuliere ich einen Tweet, wie trete ich bei Instagram gut auf, wie schneide ich ein Video, wie baue ich einen Youtube-Kanal auf“, sagt Maurice Sonneveld, Leiter für Digitalthe­men bei Hertha. Er hat die eSportAkad­emie mit aufgebaut und kennt die Vorurteile gegenüber eSportlern: Zocken auf dem Sofa bei Pizza und Cola. Die Realität sehe anders aus, sagt Sonneveld. „Man muss auch körperlich topfit sein. Es geht viel um Hand-Auge-Koordinati­on.“

Wenn das neue „Fifa“-Spiel jährlich im Herbst erscheint, trainieren Vollprofis wie Nerlich bis zu acht Stunden täglich an der Konsole. Wie hat sich die Spielmecha­nik verändert? Mit welchen Spielzügen komme ich dieses Jahr am besten zum Torerfolg? Im Mai wird der Deutsche Meister gekürt.

Auf dem virtuellen Rasen müsse man sich in Millisekun­den auf neue Situatione­n einstellen, sagt Christoph Strietzel. „Du musst immer einen Schritt voraus sein und das Spiel lesen können.“Sein Teamkolleg­e nickt. „eSport ist auf jeden Fall Stress für die Psyche“, sagt Elias Nerlich. An manchen Wochenende­n spielt er bei Turnieren acht Stunden lang am Stück – unter höchstem Leistungsd­ruck. Jeder Fehler kann entscheide­n. Um den Druck in positive Leistung umzuwandel­n, arbeitet die Akademie mit Mentaltrai­nern zusammen.

Bei Elias bleibt abseits von Training und Turnieren die Konsole aus. Dann stehen Fitness, Freunde und Kochen auf dem Plan. Neben dem Training füttert Nerlich seine Social-Media-Kanäle. Unter dem Spitznamen „Eligella“hat er sich eine stattliche Reichweite aufgebaut, die Geld einbringt.

Teamkolleg­e Strietzel will dort noch hin. Er ist gerade erst zu Hertha BSC gewechselt. Für ihn als Fan und Berliner „schon ein kleiner Kindheitst­raum.“Wie Elias Nerlich kickte er vor neun Jahren das erste Mal auf der Konsole. Beide merkten früh, dass sie besser sind als alle Freunde und viele der Gegner im Internet. Mit 16 schafft es Christoph zum ersten Mal ins Finalturni­er um den Deutschen Meistertit­el . Für die Zeit nach dem eSport studiert er Sportmanag­ement.

Bis zu fünfstelli­ge Preisgelde­r bei großen Turnieren

Der Spagat zwischen Ausbildung und Erfolg ist Hertha „sehr wichtig“, sagt Digital-Leiter Sonneveld. Die meisten eSport-Profis sind zwischen 17 und 25 Jahren alt. In dieser kurzen Zeit können die meisten Profis vom eSport gut leben, die besten sogar sehr gut. Zum Gehalt kommen bei großen Turnieren bis zu fünfstelli­ge Preisgelde­r. Dem Weltmeiste­r winkt eine Viertelmil­lion Dollar. Hinzu kommen Sponsoren und Einnahmen durch VideoPlatt­formen. Herthas eSport-Manager Dennis Krüger sagt: „Der eSport ist schon extrem groß geworden.“

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Wer wird Weltmeiste­r? Die Aufnahme stammt vom Finalturni­er Fifa eWorld Cup 2019 in London.
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