Konsolenkicker: Wie wird man eSport-Profi?
Die Branche boomt, Millionen Menschen zocken, manche auch beruflich. Zu Besuch in einer Videospiel-Akademie
Berlin. Wenn Elias Nerlich zum Training kommt, darf er erst mal einen Stapel Fanpost durchforsten. Auf dem Weg zum Trainingsgelände hat er gerade wieder Selfie-Wünsche von Fans erfüllt, die ihn erkannt und angesprochen haben.
Als der Berliner vor zwei Jahren beim Fußballklub Hertha BSC einen Profivertrag unterschrieb, ging es nicht etwa um das Spiel auf dem Rasen. Nerlich sollte am Computer um Siege kämpfen, beim sogenannten eSport. Elektronischer Sport also, der sich seit der Jahrtausendwende zu einem weltweiten Phänomen bei jungen Menschen entwickelt hat.
Elias Nerlich ist 22. Er hat mehr als eine halbe Million Fans, die im Internet seine Karriere verfolgen. Anders als Herthas Fußballprofis trainiert Nerlich mit fünf Teamkollegen im ersten Stock der HerthaGeschäftsstelle in Berlin. Sein Arbeitsgerät ist ein sogenanntes Gamepad mit einem Dutzend Tasten und zwei kleinen Hebeln. Damit steuert er seine Fußballer auf dem Bildschirm. Nerlich ist eSport-Profi in Vollzeit, einer der bekanntesten in Deutschland, wenn es um das populäre Fußball-Videospiel „Fifa“geht. Nach dem Abitur hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt er.
Die Videospiel-Branche boomt. Ihr Umsatz in Deutschland ist 2019 auf über sechs Milliarden Euro gestiegen. Millionen Fußballfans spielen die weltweit erfolgreichste Sportsimulation „Fifa“zu Hause gegen den Computer oder online gegen Freunde. Auf der Spielemesse Gamescom, die 2019 in Köln etwa 370.000 Besucher zählte und in diesem Jahr ab Donnerstag coronabedingt als Geisterspielemesse digital stattfindet, wird der neue Titel „Fifa 21“gezeigt, der im Oktober im Handel erscheint.
Vor allem viele Jungs folgen den eSport-Profis virtuell bei Übertragungen im Internet und eifern ihren Tricks auf der eigenen Konsole nach. Sicher träumt der ein oder andere auch davon, eSport-Profi zu werden – was häufig für Augenrollen bei den Eltern sorgt.
Wer „Fifa“professionell spielen und damit sein Geld verdienen will, der muss um einen Platz in einem der 22 Profiteams kämpfen, die in der Virtual Bundesliga online – und beim Finalturnier normalerweise in einer großen Halle vor Publikum – um den Meistertitel spielen. Mit dabei sind Schalke 04, Borussia Mönchengladbach oder RB Leipzig. Der aktuelle Klub-Meister heißt Werder Bremen. Hertha BSC hat 2018 als erster Verein eine eSport-Akademie gegründet. Dort will der Klub – statt ein Team zusammenzukaufen – Talente aus der Region entdecken und ausbilden.
Zwei der Hertha-Profis sind Elias Nerlich und Christoph Strietzel (20). Ihre Ausbildung fußt auf drei Säulen: Neben dem Training an der Konsole nehmen Ernährung und Fitness eine feste Rolle ein. Den Spielern stehen Fitnessräume und Ernährungsberater zur Verfügung.
Zusätzlich werden die eSportler fit gemacht für die sozialen Medien. Für professionelle Videos und Streaming-Sendungen wurde eine Studioecke eingerichtet. „Wir schulen das von der Pike auf: Wie formuliere ich einen Tweet, wie trete ich bei Instagram gut auf, wie schneide ich ein Video, wie baue ich einen Youtube-Kanal auf“, sagt Maurice Sonneveld, Leiter für Digitalthemen bei Hertha. Er hat die eSportAkademie mit aufgebaut und kennt die Vorurteile gegenüber eSportlern: Zocken auf dem Sofa bei Pizza und Cola. Die Realität sehe anders aus, sagt Sonneveld. „Man muss auch körperlich topfit sein. Es geht viel um Hand-Auge-Koordination.“
Wenn das neue „Fifa“-Spiel jährlich im Herbst erscheint, trainieren Vollprofis wie Nerlich bis zu acht Stunden täglich an der Konsole. Wie hat sich die Spielmechanik verändert? Mit welchen Spielzügen komme ich dieses Jahr am besten zum Torerfolg? Im Mai wird der Deutsche Meister gekürt.
Auf dem virtuellen Rasen müsse man sich in Millisekunden auf neue Situationen einstellen, sagt Christoph Strietzel. „Du musst immer einen Schritt voraus sein und das Spiel lesen können.“Sein Teamkollege nickt. „eSport ist auf jeden Fall Stress für die Psyche“, sagt Elias Nerlich. An manchen Wochenenden spielt er bei Turnieren acht Stunden lang am Stück – unter höchstem Leistungsdruck. Jeder Fehler kann entscheiden. Um den Druck in positive Leistung umzuwandeln, arbeitet die Akademie mit Mentaltrainern zusammen.
Bei Elias bleibt abseits von Training und Turnieren die Konsole aus. Dann stehen Fitness, Freunde und Kochen auf dem Plan. Neben dem Training füttert Nerlich seine Social-Media-Kanäle. Unter dem Spitznamen „Eligella“hat er sich eine stattliche Reichweite aufgebaut, die Geld einbringt.
Teamkollege Strietzel will dort noch hin. Er ist gerade erst zu Hertha BSC gewechselt. Für ihn als Fan und Berliner „schon ein kleiner Kindheitstraum.“Wie Elias Nerlich kickte er vor neun Jahren das erste Mal auf der Konsole. Beide merkten früh, dass sie besser sind als alle Freunde und viele der Gegner im Internet. Mit 16 schafft es Christoph zum ersten Mal ins Finalturnier um den Deutschen Meistertitel . Für die Zeit nach dem eSport studiert er Sportmanagement.
Bis zu fünfstellige Preisgelder bei großen Turnieren
Der Spagat zwischen Ausbildung und Erfolg ist Hertha „sehr wichtig“, sagt Digital-Leiter Sonneveld. Die meisten eSport-Profis sind zwischen 17 und 25 Jahren alt. In dieser kurzen Zeit können die meisten Profis vom eSport gut leben, die besten sogar sehr gut. Zum Gehalt kommen bei großen Turnieren bis zu fünfstellige Preisgelder. Dem Weltmeister winkt eine Viertelmillion Dollar. Hinzu kommen Sponsoren und Einnahmen durch VideoPlattformen. Herthas eSport-Manager Dennis Krüger sagt: „Der eSport ist schon extrem groß geworden.“