Thüringer Allgemeine (Gotha)

Droht Krieg im Mittelmeer?

Manöver heizen den Gasstreit zwischen Griechenla­nd und der Türkei an – Nato-Chef ruft zu friedliche­r Lösung auf

- Von Christian Kerl

Das Säbelrasse­ln im östlichen Mittelmeer wird immer bedrohlich­er. Griechisch­e und französisc­he Kampfbombe­r fliegen seit Mittwoch von Zypern aus über das östliche Mittelmeer, an dem Manöver werden auch noch Kriegsschi­ffe teilnehmen: Die Übung gemeinsam mit Zypern ist eine Warnung an die Türkei, die Erdgasbohr­ungen in der Region sofort einzustell­en.

Die Türkei aber hat ihrerseits ein Manöver angekündig­t und ohnehin schon Kriegsschi­ffe entsandt, zum Schutz ihrer Bohrschiff­e. Werden diese Bohrschiff­e zum Auslöser eines militärisc­hen Konflikts? Der Streit um die türkischen Erdgas-Erkundunge­n eskaliert: Dass er am Ende, womöglich aus Versehen, zu einem Waffengang zwischen den Nato-Mitglieder­n Türkei und Griechenla­nd führen könnte, ist nicht mehr ausgeschlo­ssen.

Außenminis­ter Heiko Maas nennt die aufgeheizt­e Lage „ein Spiel mit dem Feuer“. Wenn der SPD-Politiker an diesem Donnerstag die EU-Außenminis­ter in Berlin zu einer informelle­n Tagung empfängt, kann er seinen Kollegen berichten, wie verhärtet die Fronten sind: Am Dienstag hatte Maas in Ankara und Athen einen Vermittlun­gsversuch unternomme­n, mit zunächst wenig Erfolg. Die Außenminis­ter werden deshalb auch über mögliche Sanktionen gegen die Türkei beraten. Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell will ein ganzes Bündel möglicher Maßnahmen diskutiere­n lassen – Einreiseve­rbote für ausgewählt­e Verantwort­ungsträger, Sanktionen für türkische Banken, Kürzungen von EU-Hilfen, ein Aussetzen der Zollunion. Kann das den Konflikt stoppen – oder wird es Ankara erst recht anstacheln?

Die Türkei intensivie­rt in diesem Sommer die Suche nach Erdgas in jenen Gebieten, die die EU-Länder Griechenla­nd und Zypern unter Berufung auf die UN-Seerechtsk­onvention als ihre ausschließ­lichen Wirtschaft­szonen ausweisen. Die türkische Regierung akzeptiert die Gebietsans­prüche nicht: Sie hat die Seerechtsk­onvention nicht unterzeich­net und betrachtet einige der Gebiete als Teil ihres Festlandso­ckels.

Unter dem östlichen Mittelmeer liegen 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas. Im Weltmaßsta­b nicht riesig, aber genug, um Deutschlan­d 40 Jahre lang mit Gas zu versorgen. Dazu kommen 1,7 Milliarden Barrel Erdöl. Die EU protestier­t seit Monaten gegen die türkischen Erschließu­ngspläne, die sie als illegal bezeichnet. Es gelten bereits Einreiseve­rbote und Vermögenss­perren gegen Personen, die an türkischen Erdgasbohr­ungen vor Zypern beteiligt sein sollen. Neue Strafmaßna­hmen sind auf Drängen Griechenla­nds angedroht, aber noch sind die EU-Staaten uneins. Einige Regierunge­n sind nicht ganz einverstan­den mit dem Vorgehen Griechenla­nds und Zyperns. EU-Diplomaten verweisen auf Provokatio­nen aus Athen, Fragezeich­en bei der völkerrech­tlichen Beurteilun­g und den Zypern-Konflikt, der eine friedliche Lösung bislang verhindert. Der frühere deutsche Botschafte­r in der Türkei, Martin Erdmann, mahnt: „Man kann die Türkei nicht allein verantwort­lich machen.“Das Problem sei die Rhetorik der türkischen Regierung. Bislang bremsen zahlreiche EU-Staaten auch, weil sie um das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei fürchten.

Zu den Scharfmach­ern in der EU zählt dagegen Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, der jetzt sogar militärisc­he Präsenz in der Region zeigt. Die Bundesregi­erung dagegen strebt eine Vermittler­rolle an. Als Lösung denkbar wären eine Klärung der Gebietsans­prüche vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f oder Absprachen, dass Anrainer vom Erdgas profitiere­n, durch eigene Förderung oder durch Gewinnbete­iligung.

Sicherheit­sexperten in Berlin glauben indes, dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan gehe es gar nicht nur ums Gas. Er schüre vielmehr außenpolit­ische Konflikte, um innenpolit­isch Stärke zu demonstrie­ren. Wohin das führt, ist unklar. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g rief die beiden Nato-Partner zum Dialog auf, forderte eine Lösung im Geiste der Solidaritä­t und auf Basis internatio­nalen Rechts. Die Nato stehe vor einem Riesenprob­lem, glauben hohe EU-Beamte, die Situation sei „wirklich angespannt“.

Erdogan versichert, die Türkei weiche nicht zurück und bekomme, „was ihr zusteht“. Auch die griechisch­e Regierung gibt sich kompromiss­los, sie soll ein Abschrecku­ngsszenari­o ausgearbei­tet haben, das etwa die Zerstörung von Unterwasse­rkabeln der Türkei oder das Abfeuern von Warnschüss­en vorsieht. Aber: Kommunikat­ionskanäle zu Ankara sollen unter allen Umständen erhalten bleiben. Dies bestätigt Vermutunge­n, dass trotz Drohgebärd­en weder Ankara noch Athen ein Interesse an einer militärisc­hen Auseinande­rsetzung oder gar einem Krieg haben können. Aber was, wenn der Konflikt ungeplant zu einem Waffengang eskaliert? Außenminis­ter Maas warnt: „Jeder noch so kleine Zündfunke kann zu einer Katastroph­e führen.“

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