Thüringer Allgemeine (Gotha)

Philosoph der Freiheit

Jena feiert den 250. Geburtstag Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Der Biograf Klaus Vieweg gibt erhellende Auskunft

- Von Wolfgang Hirsch Klaus Vieweg, Hegel. Der Philosoph der Freiheit. C. H. Beck, 824 S., 34 Euro

Jena. Heute vor 250 Jahren wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in Stuttgart geboren. Der Philosoph gilt als der wichtigste Vertreter des deutschen Idealismus – indes als schwer verständli­ch. Nach dem Studium in Tübingen und Anstellung­en als Hauslehrer in Bern und Frankfurt kam Hegel 1801 nach Jena und schrieb eine Dissertati­on zur Naturphilo­sophie, erhielt eine Privatdoze­ntur an der Universitä­t und las im Winterseme­ster über „Logik und Metaphysik“. 1805 wurde er zum außerorden­tlichen Professor berufen, das heißt: ohne Gehalt.

Wegen großer finanziell­er Nöte zog es ihn 1807 ins Fränkische: als Chefredakt­eur der Bamberger Zeitung. Nach seiner Zeit in Nürnberg ab 1808 als Rektor des ersten humanistis­chen Gymnasiums in Deutschlan­d erhielt er 1816 seine erste ordentlich­e Professur in Heidelberg und wirkte ab 1818 an der Universitä­t von Berlin. Als er 1831 starb, erhielt er ein Ehrengrab auf dem Dorotheens­tädtischen Friedhof. Wir sprachen über Hegel mit seinem Biografen, dem Jenaer Philosophi­eprofessor Klaus Vieweg.

Welche Bedeutung haben die sechs Jahre in Jena für Hegels Leben und seine Karriere gehabt?

„Jena“, so äußerte Hegel, „hat mich angezogen wegen des freien Wirkens der Kunst und Wissenscha­ft.“Die Jahre in dem damaligen Mekka der Philosophi­e waren entscheide­nd für seinen Denkweg, hier entwickelt­e er seinen Kerngedank­en. Im Zentrum steht dabei die Verbindung von Vernunft und Freiheit. Mit seinem Freund Schelling gab er eine Zeitschrif­t, das „Kritische Journal der Philosophi­e“, heraus und leitete gemeinsam mit ihm das prominente­ste Seminar in der Geschichte des philosophi­schen Denkens.

Der von Hegel hoch verehrte schwäbisch­e Landsmann Friedrich Schiller hielt ihn für einen „gründliche­n philosophi­schen Kopf“. Schließlic­h schrieb Hegel in Jena einen Verfassung­sentwurf für Deutschlan­d und eines der bedeutends­ten Werke der Philosophi­e überhaupt, die „Phänomenol­ogie des Geistes“, das wichtigste Buch, das je in Jena verfasst wurde.

Warum trägt er den Nimbus, für den Leser zu komplizier­t zu sein?

Dies liegt an seiner neuen wissenscha­ftlichen Terminolog­ie. Aber das Komplizier­te gilt für jede Revolution im Denken – ebenso wie zum

Beispiel für Aristotele­s und Kant. Hegel hatte den Anspruch, Philosophi­e als strenge Wissenscha­ft zu betreiben. Auch die Quantenphy­sik ist ja nicht ohne gründliche­s Studium zu verstehen.

Schauen wir uns doch mal zwei zentrale Begriffe seiner Philosophi­e an: Freiheit und Dialektik. Wie passt das zusammen?

Er betrachtet­e die Geschichte der Menschheit als Fortschrit­t der Freiheit, der aber nicht automatisc­h eintritt, sondern in der Hand der Menschen liegt. Das Dialektisc­he ist dabei das dynamische Element; es ist aber bei Hegel nicht die höchste Form des Denkens, die er als das Positiv-Vernünftig­e beschreibt. Dies zeigt sich darin, dass die geschichtl­iche Stufe der Freiheit aller Menschen nicht dialektisc­h zu überbieten ist. Ideen lösen sich ab, nur der Gedanke der Freiheit – als das Innerste des Menschen – bleibt.

Gern wird die Behauptung kolportier­t, Marx habe Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt. Was würden Sie dem entgegnen?

Marx versuchte zumindest, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen; darin liegt aber ein Unverständ­nis von Hegels Idealismus. Denn Hegel stand schon auf festen Füßen: auf denen des Denkens. Im Denken sah er zu Recht – mit Goethes Worten – „das, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt“. Aber mit diesem philosophi­schen Idealismus werden keineswegs Luftschlös­ser gebaut. Hegels Staatsdenk­en etwa ruht auf seinen umfassende­n Studien der Verfassung­en Frankreich­s und Englands sowie des preußische­n und amerikanis­chen Grundgeset­zes. Hegels Ästhetik hat ihr Fundament in seinen brillanten Kenntnisse­n der Kunstgesch­ichte.

Wie schätzen Sie seinen Rang für die Philosophi­e, ja für das wissensbas­ierte Weltgetrie­be der Moderne ein?

Ein Hörer seiner Vorlesunge­n notierte: „Es ist unmöglich, den Geist, den eigentlich­en Lebensnerv der Modernen zu erfassen – ohne Hegel.“Das gilt trotz der teilweise katastroph­alen Wirkungsge­schichte: Man diskrediti­erte ihn als Fürstenkne­cht,

Kaiser Wilhelm II. verkündete, dass ein Kerl wie Hegel nicht in sein Reich gehöre, der Nazi Alfred Rosenberg hielt ihn für einen gefährlich­en, undeutsche­n Kopf, der Marxismus versuchte, seinen Idealismus als falsche Weltsicht hinzustell­en, andere erklärten ihn zum Vordenker des Totalitari­smus – lauter abwegige Deutungen, Lügenmärch­en.

Worin liegt Hegels Aktualität?

In seinem neuen Freiheitsv­erständnis wird präzise zwischen Freiheit und Auswählen von Varianten unseres Tuns unterschie­den. Oft herrscht heute aber die unhaltbare Meinung, die Freiheit überhaupt sei, dass man tun könne, was man wolle; dann wären Mord oder Terror ebenfalls freies Tun. Erforderli­ch ist dagegen gründliche­s Nachdenken über vernünftig­e Varianten unseres Tuns.

Hegel ist der Begründer der Idee einer auf dem Markt fußenden, sozial und gerecht gestaltete­n modernen Gesellscha­ft; darin liegt die Kritik am heute dominanten Marktfunda­mentalismu­s und Neoliberal­ismus.

Es gibt eben nicht nur eine Version des Kapitalism­us. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hielt er für das Grundprobl­em der modernen Welt. Seine innovative Logik bedeutet eine Revolution auf diesem Gebiet.

In seinem Gedanken des Universali­smus liegt die „Anerkennun­g der ewigen Menschenre­chte“. Damit steht Hegel gegen jegliche Art von Diskrimini­erung, gegen jeglichen Nationalis­mus, gegen Rassismus, gegen politische­n und religiösen Fundamenta­lismus, gegen Ausländeru­nd Judenfeind­lichkeit. Der moderne Staat muss mit seinen Institutio­nen die „Freiheit aller besonderen Einzelnen“realisiere­n und garantiere­n. Dies verlangt den gebildeten Bürger, Bildung gilt Hegel als die einzige Garantie für eine freiheitli­che Gesellscha­ft.

Blieb Hegel nach dem Abschied aus Jena mit Thüringen in Verbindung?

Ja, besonders über den Jenaer Verleger und Freund Carl Friedrich Frommann sowie Goethe. Hegel besuchte auf seinen Reisen Jena, wann immer er konnte, und er schätzte die Spaziergän­ge mit Goethe in Weimar. Man ging zum Schlosspar­k Belvedere oder zum Jagdschlos­s Ettersburg, man plauderte über Paris und natürlich auch über die Farbenlehr­e. „Wir sind“– so bekannte der Philosoph – „als alte treue Freunde zusammen.“Und Goethe sah in Hegel den berühmtest­en modernen Philosophe­n.

Apropos: Was würde er, lebte er heute, wohl über Facebook, Twitter und Co. denken?

In Bamberg arbeitete Hegel ja als Medienprof­i bei der Zeitung. Er wäre also gewiss hoch erfreut über die Möglichkei­t eines so allgemeine­n und weltumspan­nenden Gedankenau­stauschs via Internet – und würde diese Mediennutz­ung sicherlich kritisch begleiten.

 ?? FOTO: PETER MICHAELIS ?? Vor dem Hauptgebäu­de der Friedrich-Schiller-Universitä­t in Jena prangt eine Büste Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Sechs Jahre lang lehrte der Philosoph in der Saalestadt.
FOTO: PETER MICHAELIS Vor dem Hauptgebäu­de der Friedrich-Schiller-Universitä­t in Jena prangt eine Büste Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Sechs Jahre lang lehrte der Philosoph in der Saalestadt.

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