Philosoph der Freiheit
Jena feiert den 250. Geburtstag Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Der Biograf Klaus Vieweg gibt erhellende Auskunft
Jena. Heute vor 250 Jahren wurde Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) in Stuttgart geboren. Der Philosoph gilt als der wichtigste Vertreter des deutschen Idealismus – indes als schwer verständlich. Nach dem Studium in Tübingen und Anstellungen als Hauslehrer in Bern und Frankfurt kam Hegel 1801 nach Jena und schrieb eine Dissertation zur Naturphilosophie, erhielt eine Privatdozentur an der Universität und las im Wintersemester über „Logik und Metaphysik“. 1805 wurde er zum außerordentlichen Professor berufen, das heißt: ohne Gehalt.
Wegen großer finanzieller Nöte zog es ihn 1807 ins Fränkische: als Chefredakteur der Bamberger Zeitung. Nach seiner Zeit in Nürnberg ab 1808 als Rektor des ersten humanistischen Gymnasiums in Deutschland erhielt er 1816 seine erste ordentliche Professur in Heidelberg und wirkte ab 1818 an der Universität von Berlin. Als er 1831 starb, erhielt er ein Ehrengrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Wir sprachen über Hegel mit seinem Biografen, dem Jenaer Philosophieprofessor Klaus Vieweg.
Welche Bedeutung haben die sechs Jahre in Jena für Hegels Leben und seine Karriere gehabt?
„Jena“, so äußerte Hegel, „hat mich angezogen wegen des freien Wirkens der Kunst und Wissenschaft.“Die Jahre in dem damaligen Mekka der Philosophie waren entscheidend für seinen Denkweg, hier entwickelte er seinen Kerngedanken. Im Zentrum steht dabei die Verbindung von Vernunft und Freiheit. Mit seinem Freund Schelling gab er eine Zeitschrift, das „Kritische Journal der Philosophie“, heraus und leitete gemeinsam mit ihm das prominenteste Seminar in der Geschichte des philosophischen Denkens.
Der von Hegel hoch verehrte schwäbische Landsmann Friedrich Schiller hielt ihn für einen „gründlichen philosophischen Kopf“. Schließlich schrieb Hegel in Jena einen Verfassungsentwurf für Deutschland und eines der bedeutendsten Werke der Philosophie überhaupt, die „Phänomenologie des Geistes“, das wichtigste Buch, das je in Jena verfasst wurde.
Warum trägt er den Nimbus, für den Leser zu kompliziert zu sein?
Dies liegt an seiner neuen wissenschaftlichen Terminologie. Aber das Komplizierte gilt für jede Revolution im Denken – ebenso wie zum
Beispiel für Aristoteles und Kant. Hegel hatte den Anspruch, Philosophie als strenge Wissenschaft zu betreiben. Auch die Quantenphysik ist ja nicht ohne gründliches Studium zu verstehen.
Schauen wir uns doch mal zwei zentrale Begriffe seiner Philosophie an: Freiheit und Dialektik. Wie passt das zusammen?
Er betrachtete die Geschichte der Menschheit als Fortschritt der Freiheit, der aber nicht automatisch eintritt, sondern in der Hand der Menschen liegt. Das Dialektische ist dabei das dynamische Element; es ist aber bei Hegel nicht die höchste Form des Denkens, die er als das Positiv-Vernünftige beschreibt. Dies zeigt sich darin, dass die geschichtliche Stufe der Freiheit aller Menschen nicht dialektisch zu überbieten ist. Ideen lösen sich ab, nur der Gedanke der Freiheit – als das Innerste des Menschen – bleibt.
Gern wird die Behauptung kolportiert, Marx habe Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt. Was würden Sie dem entgegnen?
Marx versuchte zumindest, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen; darin liegt aber ein Unverständnis von Hegels Idealismus. Denn Hegel stand schon auf festen Füßen: auf denen des Denkens. Im Denken sah er zu Recht – mit Goethes Worten – „das, was die Welt im Innersten zusammenhält“. Aber mit diesem philosophischen Idealismus werden keineswegs Luftschlösser gebaut. Hegels Staatsdenken etwa ruht auf seinen umfassenden Studien der Verfassungen Frankreichs und Englands sowie des preußischen und amerikanischen Grundgesetzes. Hegels Ästhetik hat ihr Fundament in seinen brillanten Kenntnissen der Kunstgeschichte.
Wie schätzen Sie seinen Rang für die Philosophie, ja für das wissensbasierte Weltgetriebe der Moderne ein?
Ein Hörer seiner Vorlesungen notierte: „Es ist unmöglich, den Geist, den eigentlichen Lebensnerv der Modernen zu erfassen – ohne Hegel.“Das gilt trotz der teilweise katastrophalen Wirkungsgeschichte: Man diskreditierte ihn als Fürstenknecht,
Kaiser Wilhelm II. verkündete, dass ein Kerl wie Hegel nicht in sein Reich gehöre, der Nazi Alfred Rosenberg hielt ihn für einen gefährlichen, undeutschen Kopf, der Marxismus versuchte, seinen Idealismus als falsche Weltsicht hinzustellen, andere erklärten ihn zum Vordenker des Totalitarismus – lauter abwegige Deutungen, Lügenmärchen.
Worin liegt Hegels Aktualität?
In seinem neuen Freiheitsverständnis wird präzise zwischen Freiheit und Auswählen von Varianten unseres Tuns unterschieden. Oft herrscht heute aber die unhaltbare Meinung, die Freiheit überhaupt sei, dass man tun könne, was man wolle; dann wären Mord oder Terror ebenfalls freies Tun. Erforderlich ist dagegen gründliches Nachdenken über vernünftige Varianten unseres Tuns.
Hegel ist der Begründer der Idee einer auf dem Markt fußenden, sozial und gerecht gestalteten modernen Gesellschaft; darin liegt die Kritik am heute dominanten Marktfundamentalismus und Neoliberalismus.
Es gibt eben nicht nur eine Version des Kapitalismus. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hielt er für das Grundproblem der modernen Welt. Seine innovative Logik bedeutet eine Revolution auf diesem Gebiet.
In seinem Gedanken des Universalismus liegt die „Anerkennung der ewigen Menschenrechte“. Damit steht Hegel gegen jegliche Art von Diskriminierung, gegen jeglichen Nationalismus, gegen Rassismus, gegen politischen und religiösen Fundamentalismus, gegen Ausländerund Judenfeindlichkeit. Der moderne Staat muss mit seinen Institutionen die „Freiheit aller besonderen Einzelnen“realisieren und garantieren. Dies verlangt den gebildeten Bürger, Bildung gilt Hegel als die einzige Garantie für eine freiheitliche Gesellschaft.
Blieb Hegel nach dem Abschied aus Jena mit Thüringen in Verbindung?
Ja, besonders über den Jenaer Verleger und Freund Carl Friedrich Frommann sowie Goethe. Hegel besuchte auf seinen Reisen Jena, wann immer er konnte, und er schätzte die Spaziergänge mit Goethe in Weimar. Man ging zum Schlosspark Belvedere oder zum Jagdschloss Ettersburg, man plauderte über Paris und natürlich auch über die Farbenlehre. „Wir sind“– so bekannte der Philosoph – „als alte treue Freunde zusammen.“Und Goethe sah in Hegel den berühmtesten modernen Philosophen.
Apropos: Was würde er, lebte er heute, wohl über Facebook, Twitter und Co. denken?
In Bamberg arbeitete Hegel ja als Medienprofi bei der Zeitung. Er wäre also gewiss hoch erfreut über die Möglichkeit eines so allgemeinen und weltumspannenden Gedankenaustauschs via Internet – und würde diese Mediennutzung sicherlich kritisch begleiten.