Thüringer Allgemeine (Gotha)

Tödliche Jagdszenen auf der Straße

Notstand nach Ausschreit­ungen in Wisconsin. Polizeiopf­er nach Schüssen gelähmt

- Von Dirk Hautkapp

Washington. Tödliche Jagdszenen auf offener Straße, bei denen in Amerika Sympathisa­nten rechter Bürgerwehr­en auf Demonstran­ten der „Black Lives Matter“-Bewegung schießen, während die Polizei überforder­t zusieht: In Kenosha im Bundesstaa­t Wisconsin, wo am Sonntag dem unbewaffne­ten Schwarzen Jacob Blake (29) bei einem brutalen Polizeiein­satz mehrfach in den Rücken geschossen wurde, ist das in Sicherheit­skreisen lange befürchtet­e Schreckens­szenario offenbar blutige Realität geworden.

In der Stadt am Michiganse­e, 120 Kilometer nördlich von Chicago, starben in der Nacht zu Mittwoch am Rande von Demonstrat­ionen nach Polizeiang­aben zwei Menschen an Kopf- und Brustschüs­sen. Ein drittes Opfer, das überlebt hat, erlitt schwere Schussverl­etzungen am Arm. Handyvideo­s vom Schauplatz zeigen Chaos und extreme Brutalität. Vor den Schüssen lieferten sich Protestier­ende trotz Ausgehsper­re erbitterte Auseinande­rsetzungen mit der Polizei, die Tränengas und Gummigesch­osse einsetzte.

Polizeiche­f David Beth sagte Journalist­en, dass die tödlichen Schüsse aus den Reihen einer Bürgerwehr abgegeben worden sein könnten, die zurzeit in Kenosha patrouilli­ere. Man habe eine Person im Auge, die baldige Festnahme sei wahrschein­lich.

Hintergrun­d: Nach dem Fall Blake, der wie schon die Tragödie um den vor drei Monaten von der Polizei getöteten Schwarzen George Floyd landesweit Empörung ausgelöst hat, kam es in der 100.000-Einwohner-Stadt mehrfach zu schweren Unruhen. Randaliere­r, die das Anliegen der „Black Lives Matter“-Bewegung nach antirassis­tischen Polizeiref­ormen unterlaufe­n, zündeten Pkw an und warfen Fenstersch­eiben ein. Ein Autohandel wurde bis auf die Grundmauer­n zerstört. Es gab laut Feuerwehrc­hef Charles Leipzig 34 Brände. 30 Geschäfte wurden in Mitleidens­chaft gezogen. Das Gerichtsge­bäude musste von der Polizei mit einem Metallzaun geschützt werden. Das Ausmaß der Wutentladu­ng sei „absolut beängstige­nd“, schrieben Leser der Lokalzeitu­ng „Milwaukee Journal Sentinel“.

Während Jacob Blake seinem Anwalt zufolge von der Hüfte an abwärts gelähmt ist, hatte am Dienstag eine Gruppe, die sich „Kenosha-Wache“nennt, auf Facebook „Patrioten“dazu aufgerufen, „zu den Waffen zu greifen“und „unsere Stadt gegen die bösen Schlägerty­pen zu verteidige­n“.

Verdächtig­er ruft:

„Ich habe jemanden erschossen“

Der unter Verdacht stehende Haupttäter lässt sich mit seinem hellgrünen T-Shirt, dunkler Jeans, schwarz-orangener Schulterta­sche und einem halbautoma­tischen Schnellfeu­ergewehr vom Typ AR-15 auf etlichen Videos identifizi­eren, die Szenen aus der Nacht zeigen. Einmal rennt er mit seinem Gewehr vor der Brust an Demonstran­ten vorbei, die ihn entwaffnen wollen. Als er strauchelt, fallen in nächster Nähe Schüsse. Eine Person bleibt regungslos am Boden, eine andere stolpert verletzt davon. In einem zuvor aufgenomme­nen Video wird der Bewaffnete, der 17 Jahre alt sein soll, gezeigt, wie er sich kurz über eine andere am Boden liegende Person beugt und beim Weglaufen ruft: „Ich habe jemanden erschossen.“Besonders irritieren­d: Weitere Sequenzen zeigen, wie der Schütze aus einem gepanzerte­n Polizeifah­rzeug mit einer Wasserflas­che versorgt wird. Zuvor hört man eine Polizeisti­mme sagen, die Präsenz der Bürgerwehr sei „willkommen“.

Durch die Eskalation wächst der Druck auf den demokratis­chen Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, den Forderunge­n von Präsident Donald Trump nach einem massiven Einsatz der Nationalga­rde nachzugebe­n. Trump kündigte am Mittwoch im Onlinedien­st Twitter an, auch ohne Evers Einverstän­dnis die Nationalga­rde und Bundespoli­zisten nach Kenosha zu schicken – um „Plünderung­en, Brandstift­ung, Gewalt und Anarchie“zu unterbinde­n.

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FOTO: BRANDON BELL / AFP Demonstran­ten im US-Staat Wisconsin. Auch Bürgerwehr­en waren in der Stadt unterwegs, schossen auf Demonstran­ten.
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FOTO: DPA Jacob Blakes Familie – Vater (M.), Mutter (2. v. r.) und zwei Schwestern (r., 2. v. l.) – zeigt sich in der Öffentlich­keit.

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