In Gotha wie in Berlin: Menschen sind Menschen
Stadtschreiberin Katharina Müller bedauert den nahenden Abschied aus Gotha
Gotha. „Biegeschwemmde“– das bisschen Gothsch hat sich Katharina Müller gemerkt. Denn genau das war ihre Rolle in den vergangenen Monaten: die Beigeschwemmte, also eine Zugereiste, die an Türen klopfte und über Schultern schaute, um ihre Erfahrungen in Kolumnen einfließen zu lassen. Im März kam Müller als Stadtschreiberin nach Gotha und fand sich in einer Welt wieder, die ganz anders ist als ihre Heimat Berlin. Und noch dazu war da plötzlich der Virus und die Angst vor der Zukunft.
Das Frühjahr hatte so vielversprechend begonnen. Katharina Müller richtete sich in der Stadtschreiberwohnung am Brühl ein. Dann kamen die Leute vom Stadtmarketing, eine Etage tiefer, nicht mehr ins Büro, und die Nachbarn packten sich die Kofferräume voll mit Hamsterkäufen. „Und ich stand da mit meinem kleinen Rucksack“, erinnert sie sich. „Gerade in den Anfängen waren es heftige Gefühle.“Doch dann die Erkenntnis: Wann wird sie jemals wieder so viel Ruhe zum Schreiben haben?
In der Blindenwerkstatt und auf der Marktbaustelle
So erschien Woche für Woche jeden Samstag eine Kolumne in dieser Zeitung. 20 Folgen sind bereits entstanden. Ob beim Reiten auf dem Pferdehof in Fröttstädt, in der Gothaer Blindenwerkstatt oder auf der Hauptmarktbaustelle – Müller ließ es sich nicht nehmen, sich auch die Hände schmutzig zu machen. Knapp 100 Seiten zählt bereits das Buch, das sie in Co-Autorenschaft mit Peggy Geisler schreibt. Der Jugendroman dreht sich um eine Clique, die ein Ökoprojekt im Kreis Gotha auf die Beine stellt.
Ihre erste Begegnung mit Thüringen war für Katharina Müller das
Treffen und später die Brieffreundschaft mit einer Katrin aus ZellaMehlis bei einem Austauschprogramm in England. Und dann auch mal ein kurzer Aufenthalt in Erfurt. „Ich hatte aber keine klaren Erwartungen an Gotha“, sagt sie. Gotha und seine Einwohner nun in wenigen Wort zu beschreiben, fällt Müller schwer. Vielschichtigkeit fällt ihr ein, wenn sie an ihre Erfahrungen denkt. Gotha sei ein Mikrokosmos der Bundesrepublik, in dem alle sozialen Schichten vertreten sind, in dem aber auch die historischen Einflüsse stark sind. Dabei, geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen, half ihr nicht zuletzt Historiker Matthias Wenzel.
In Gotha hat Müller viel Hilfsbereitschaft erfahren und Dinge getan, die sie in Berlin nicht für möglich gehalten hätte. „Ich Berlin würde ich nicht daran denken, Menschen, die ich nicht kenne, einfach anzurufen“, sagt sie. Und doch hat es etwas gebracht. Die Stadtschreiberin besuchte daraufhin und eine Hofkäserei in Haina, die Gemeinschaftsunterkunft in Gotha und den hiesigen Mundart-Experten Andreas Cramer. Seither weiß sie, dass ein „Muferkübchen“die Gothsche Entsprechung des Marienkäfers ist.
So schwierig es am Anfang auch gewesen sei, sagt Katharina Müller, so schwer werde ihr der Abschied fallen. „Ich würde am liebsten gar nicht abreisen.“Die sechsmonatige Präsenzzeit, die von der Stadtverwaltung im Rahmen des Kurd-Laßwitz-Stipendiums vorgeschrieben wird, ist Mitte September vorbei. Sechs Stadtschreiberinnen-Kolumnen werden noch in dieser Zeitung zu lesen sein.
Was Katharina Müller aus den vergangenen Monaten mitnimmt, sind vielseitige Eindrücke von Thüringen und die Gewissheit: „Menschen sind überall Menschen – ob in Berlin oder Gotha.“