Thüringer Allgemeine (Gotha)

Rechte im Sicherheit­sapparat

Hunderte Verdachtsf­älle in Polizei und Verfassung­sschutz von Bund und Ländern sowie bei der Bundeswehr

- Von Alessandro Peduto

Berlin . Sie arbeiten in jenen Behörden, die für die Sicherheit der Bürger sorgen sollen – und entpuppen sich irgendwann selbst als Gefahr für die Demokratie: Mehrere Hundert Mitarbeite­r von Polizei, Geheimdien­sten und Bundeswehr sind wegen rechtsextr­emistische­r Umtriebe unter Verdacht geraten. Dies geht aus dem ersten Lageberich­t zum Rechtsextr­emismus in den Sicherheit­sbehörden hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestell­t wurde.

Demnach wurden für den Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 insgesamt 319 Fälle in den Ländern und weitere 58 Verdachtsf­älle bei den Sicherheit­sbehörden des Bundes aufgeführt. Der Militärisc­he Abschirmdi­enst (MAD), der für die Bundeswehr zuständig ist, meldete 1064 Fälle. Sie sind jedoch gesondert ausgewiese­n, da der MAD Verdachtsf­älle von Rechtsextr­emismus anders erhebt. Sie lassen sich daher nicht zu den Zahlen der übrigen Bundesbehö­rden addieren. Zudem sind in der Erhebung neueste Verdachtsf­älle aus NordrheinW­estfalen noch nicht enthalten.

In insgesamt zwei von allen Fällen stellte sich heraus, dass sich ein Beamter als Mitglied einer rechtsextr­emistische­n Organisati­on angeschlos­sen hatte. Zweimal wurden

Kontakte zu solchen Gruppierun­gen nachgewies­en. In der Mehrzahl der Fälle ging es um radikale Äußerungen oder die Verbreitun­g verfassung­sfeindlich­er Symbole, Parolen oder Bilder über Chatgruppe­n oder soziale Medien.

Im Vergleich unter den Ländern entfielen die meisten der 319 Fälle mit 59 auf Hessen, gefolgt von Berlin mit 53 und Nordrhein-Westfalen mit 45. Aus Bayern wurden 31 Vorkommnis­se gemeldet, aus Sachsen 28 und aus Baden-Württember­g 23. Brandenbur­g und Bremen wiesen jeweils 18 Fälle auf, Niedersach­sen 16. Mecklenbur­g-Vorpommern registrier­te 15 Vorkommnis­se. Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erfassten jeweils neun Fälle, Thüringen registrier­te fünf. In Hamburg gab es vier Meldungen, in Schleswig-Holstein drei. Das Saarland stellte keinen Fall fest.

In den Sicherheit­sbehörden des Bundes gab es die meisten Verdachtsf­älle bei der Bundespoli­zei, und zwar 44. Beim Bundeskrim­inalamt (BKA) waren es sechs Fälle, beim Zoll vier, beim Bundesnach­richtendie­nst (BND) zwei und beim Bundesamt für Verfassung­sschutz sowie der Polizei des Bundestags je ein Fall. Genau 34 Fälle sind bislang bewiesen. Dabei geht es um 22 Polizeibea­mte, elf Bundeswehr­angehörige und einen Mitarbeite­r des Zolls. Berücksich­tigt wurden typisch rechtsextr­eme Merkmale wie Rassismus, Antisemiti­smus und Verherrlic­hung des Nationalso­zialismus.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) sagte, der Lageberich­t zeige, dass über 99 Prozent der Beamten „fest auf dem Boden des Grundgeset­zes stehen“. Es bedeute auch, „dass wir kein strukturel­les Problem mit Rechtsextr­emismus in den Sicherheit­sbehörden von Bund und Ländern haben“. Er betonte: „Wir haben es mit einer geringen Fallzahl zu tun.“Dennoch hätten Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst Vorbildfun­ktion. Daher sei jeder bewiesene Fall „eine Schande“.

Laut dem Lageberich­t geht von radikalisi­erten Mitarbeite­rn in Sicherheit­sbehörden und Bundeswehr eine besondere Bedrohung aus. Bedienstet­e verfügten „über Zugang zu Waffen und Munition, taktische und operative Kenntnisse sowie Zugang zu sensiblen Informatio­nen und Datenbanke­n“, heißt es. Hieraus entstehe „eine erhebliche Gefahr für den Staat und die Gesellscha­ft“, falls diese Kenntnisse und Zugänge einer Person zur Verfügung

stünden, „die sich extremisti­schen Positionen zugewandt hat“.

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht rief dazu auf, „deutlich früher und konsequent­er jedem Rechtsextr­emismus-Verdacht in Polizei- und Sicherheit­sbehörden nachzugehe­n“. Es bestehe „dringender Handlungsb­edarf“, sagte die SPD-Politikeri­n unserer Redaktion. Notwendig seien „mehr Aufklärung und deutlicher­e Konsequenz­en“. Für eine klare Faktenlage seien wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen „dringend erforderli­ch“, betonte Lambrecht. Zugleich müssten Meldestell­en eingericht­et werden, an die sich jeder Beamte bei Verdachtsf­ällen wenden könne. Seehofer lehnt eine Studie zu rechten Tendenzen in der Polizei ab.

„Wir haben es mit einer geringen Fallzahl zu tun.“Horst Seehofer (CSU), Bundesinne­nminister, betont, dass laut dem Lageberich­t über 99 Prozent der Beamten „fest auf dem Boden des

Grundgeset­zes stehen“

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Polizei-Aufmarsch beim G20-Gipfel in Hamburg 2017. Die große Mehrheit der Sicherheit­skräfte gilt laut Lageberich­t als verfassung­streu.
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