Rechte im Sicherheitsapparat
Hunderte Verdachtsfälle in Polizei und Verfassungsschutz von Bund und Ländern sowie bei der Bundeswehr
Berlin . Sie arbeiten in jenen Behörden, die für die Sicherheit der Bürger sorgen sollen – und entpuppen sich irgendwann selbst als Gefahr für die Demokratie: Mehrere Hundert Mitarbeiter von Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr sind wegen rechtsextremistischer Umtriebe unter Verdacht geraten. Dies geht aus dem ersten Lagebericht zum Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Demnach wurden für den Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020 insgesamt 319 Fälle in den Ländern und weitere 58 Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden des Bundes aufgeführt. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der für die Bundeswehr zuständig ist, meldete 1064 Fälle. Sie sind jedoch gesondert ausgewiesen, da der MAD Verdachtsfälle von Rechtsextremismus anders erhebt. Sie lassen sich daher nicht zu den Zahlen der übrigen Bundesbehörden addieren. Zudem sind in der Erhebung neueste Verdachtsfälle aus NordrheinWestfalen noch nicht enthalten.
In insgesamt zwei von allen Fällen stellte sich heraus, dass sich ein Beamter als Mitglied einer rechtsextremistischen Organisation angeschlossen hatte. Zweimal wurden
Kontakte zu solchen Gruppierungen nachgewiesen. In der Mehrzahl der Fälle ging es um radikale Äußerungen oder die Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole, Parolen oder Bilder über Chatgruppen oder soziale Medien.
Im Vergleich unter den Ländern entfielen die meisten der 319 Fälle mit 59 auf Hessen, gefolgt von Berlin mit 53 und Nordrhein-Westfalen mit 45. Aus Bayern wurden 31 Vorkommnisse gemeldet, aus Sachsen 28 und aus Baden-Württemberg 23. Brandenburg und Bremen wiesen jeweils 18 Fälle auf, Niedersachsen 16. Mecklenburg-Vorpommern registrierte 15 Vorkommnisse. Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erfassten jeweils neun Fälle, Thüringen registrierte fünf. In Hamburg gab es vier Meldungen, in Schleswig-Holstein drei. Das Saarland stellte keinen Fall fest.
In den Sicherheitsbehörden des Bundes gab es die meisten Verdachtsfälle bei der Bundespolizei, und zwar 44. Beim Bundeskriminalamt (BKA) waren es sechs Fälle, beim Zoll vier, beim Bundesnachrichtendienst (BND) zwei und beim Bundesamt für Verfassungsschutz sowie der Polizei des Bundestags je ein Fall. Genau 34 Fälle sind bislang bewiesen. Dabei geht es um 22 Polizeibeamte, elf Bundeswehrangehörige und einen Mitarbeiter des Zolls. Berücksichtigt wurden typisch rechtsextreme Merkmale wie Rassismus, Antisemitismus und Verherrlichung des Nationalsozialismus.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, der Lagebericht zeige, dass über 99 Prozent der Beamten „fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Es bedeute auch, „dass wir kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern haben“. Er betonte: „Wir haben es mit einer geringen Fallzahl zu tun.“Dennoch hätten Mitarbeiter im öffentlichen Dienst Vorbildfunktion. Daher sei jeder bewiesene Fall „eine Schande“.
Laut dem Lagebericht geht von radikalisierten Mitarbeitern in Sicherheitsbehörden und Bundeswehr eine besondere Bedrohung aus. Bedienstete verfügten „über Zugang zu Waffen und Munition, taktische und operative Kenntnisse sowie Zugang zu sensiblen Informationen und Datenbanken“, heißt es. Hieraus entstehe „eine erhebliche Gefahr für den Staat und die Gesellschaft“, falls diese Kenntnisse und Zugänge einer Person zur Verfügung
stünden, „die sich extremistischen Positionen zugewandt hat“.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht rief dazu auf, „deutlich früher und konsequenter jedem Rechtsextremismus-Verdacht in Polizei- und Sicherheitsbehörden nachzugehen“. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf“, sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion. Notwendig seien „mehr Aufklärung und deutlichere Konsequenzen“. Für eine klare Faktenlage seien wissenschaftliche Untersuchungen „dringend erforderlich“, betonte Lambrecht. Zugleich müssten Meldestellen eingerichtet werden, an die sich jeder Beamte bei Verdachtsfällen wenden könne. Seehofer lehnt eine Studie zu rechten Tendenzen in der Polizei ab.
„Wir haben es mit einer geringen Fallzahl zu tun.“Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister, betont, dass laut dem Lagebericht über 99 Prozent der Beamten „fest auf dem Boden des
Grundgesetzes stehen“