Thüringer Allgemeine (Gotha)

Hartz IV auch für EU-Ausländer auf Arbeitssuc­he

Europäisch­er Gerichtsho­f: Unter bestimmten Bedingunge­n besteht Anspruch auf Leistungen

- Von Christian Kerl

Brüssel. Ausländer aus anderen EU-Staaten können während ihrer Arbeitssuc­he in Deutschlan­d unter Umständen doch Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen haben. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) am Dienstag entschiede­n. Zwar darf Deutschlan­d zum Schutz seiner Sozialsyst­eme bei der Sozialhilf­e einen Unterschie­d machen zwischen Inländern und Ausländern, trotz des Grundsatze­s der Gleichbeha­ndlung aller EU-Bürger. Aber: Eine solche Ausnahme müsse eng ausgelegt werden, entschiede­n die Richter des obersten EUGerichts. Sind etwa Schulkinde­r mit im Spiel, sieht die Sache schon anders aus.

In dem Fall ging es um einen Polen, der mit seinen beiden Töchtern in Deutschlan­d wohnt. Die Kinder gehen hier zur Schule, der Mann war weniger als ein Jahr lang in wechselnde­n Jobs beschäftig­t; als er danach arbeitslos wurde, hatte er wegen der kurzen Beschäftig­ungsdauer nur einen Anspruch auf sechs Monate Hartz-IV-Bezug. Einen Antrag auf Verlängeru­ng der Sozialleis­tung lehnte das Jobcenter Krefeld ab – schließlic­h halte sich der Mann ja nur noch zur Arbeitssuc­he in Deutschlan­d auf, habe also keinen Anspruch. Der Mann klagte, bekam zunächst vom Sozialgeri­cht recht. Doch das Jobcenter legte Berufung ein. Das zuständige nordrhein-westfälisc­he Landessozi­algericht wandte sich hilfesuche­nd an die EURichter in Luxemburg. Deren Urteil ist eindeutig: Deutschlan­d und die anderen Mitgliedst­aaten dürfen nicht unter allen Umständen und automatisc­h Sozialleis­tungen für Arbeitssuc­hende verwehren.

Für den Fall des polnischen Arbeitnehm­ers stellten die Richter klar: Zieht jemand mit der Familie in ein anderes EU-Land und ist ins Sozialvers­icherungss­ystem eingebunde­n, darf er bei Verlust der Beschäftig­ung nicht dem Risiko ausgesetzt werden, den Schulbesuc­h der Kinder unterbrech­en und ins Herkunftsl­and zurückkehr­en zu müssen. Dem Gericht sei „ein Spagat gelungen“, sagte Dennis Radtke, CDU-Sozialexpe­rte im EU-Parlament. Innerhalb der EU dürfe es keine Zuwanderun­g in Sozialsyst­eme geben, aber Gleichbeha­ndlung sei „fundamenta­l“. Die Grünen sprachen von einer „Ohrfeige für die Bundesregi­erung“. Arbeitssuc­hende EU-Bürger müssten ab dem vierten Monat ihres Aufenthalt­es Anspruch auf Sozialleis­tungen haben, forderte der Grünen-Abgeordnet­e Wolfgang Strengmann-Kuhn.

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FOTO: DPA PA Der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg
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FOTO: DPA PA Kanzlerin Angela Merkel und Helge Braun (beide CDU), Chef des Bundeskanz­leramtes

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