Giftige Atmosphäre
Die Landwirte in Thüringen wollen den Feldhamster schützen und die Mäuse bekämpfen
Weißensee. Der Wind fegt rasant über das weite Feld. Pia Vollmer, Detlef Röthling und Jürgen Paffen laufen Schritt für Schritt langsam den Acker ab. Ihren Blick richten sie auf den Boden, sie suchen nach einem Hamsterbau. Während jeden Meter Mäuselöcher zu sehen sind, kann der Hinweis auf das Vorkommen eines Feldhamsters Stunden dauern.
Dann ist endlich ein kreisrundes Loch mit einer steilen Fallröhre, etwa fünf bis acht Zentimeter im Durchmesser, gefunden. Der Bewohner dürfte in diesem Moment des Tages gemütlich im Höhlensystem ruhen. Er ist wie sein „Kinderzimmer-Kollege“, der Goldhamster, nachtaktiv.
Jürgen Paffen bückt sich und fährt mit der Hand über die etwa zwanzig Zentimeter hohen Getreide-Stoppeln. „Die schützen die Tiere vor Greifvögeln“, sagt er. Und ergänzt, dass die Hamster ungefähr noch drei Wochen wach sein werden und sich dann in ihrem Bau verkriechen und einen rund sechs Monate langen Schlaf halten. Bis zu vier Kilogramm Körner und andere Samen schleppt ein Feldhamster in den Sommermonaten bis Anfang Herbst in seinen Bau – als Vorrat für den Winter.
Auf dem Acker der Agrargenossenschaft Weißensee wurde ihm sozusagen der Tisch gedeckt. Es ist eine Schutzfläche mit einer Größe von 32 Hektar, die abwechselnd in Sommer- und Winterkulturen unterteilt ist, jeweils getrennt durch einen 36 Meter breiten Blühstreifen. Dort recken sich zwischen Buchweizen, Klee, Ackerbohnen, Erbsen, Roggen, Hafer und Kräutern noch einige Sonnenblumen – allesamt gute Nahrungsmittel für den Hamster.
In Thüringen finden Feldhamster ihre letzten großen Zufluchtsstätten
Thüringens Landwirte versuchen vielerorts, ihr Möglichstes für dessen Überleben zu tun. Das müssen sie auch, denn der einstige Schädling ist vom Aussterben bedroht. „Sein Vorkommen hat sich dramatisch reduziert“, erklärt Pia Vollmer vom in Vippachedelhausen (Weimar Land) ansässigen Landschaftspflegeverband Mittelthüringen, der ein entsprechendes Schutzprojekt begleitet.
Die Nager, die als die buntesten europäischen Pelztiere gelten und fast ausschließlich auf bewirtschafteten Äckern wohnen, seien in ihrer Existenz „arg gefährdet.“Der Artenschutz im Freistaat, der mit seinem lehmigen Boden – vor allem in Mittel- und Westthüringen – eines der letzten großen Refugien des Feldhamsters ist, hat deshalb eine besondere Bedeutung.
Die Landwirte wissen das. „Wir sind keine Naturfeinde“, sagt Jürgen
Paffen. „Ich bin sogar ein Fan des Feldhamsters, deshalb haben wir ja auch eine Schutzfläche für ihn angelegt.“Dank des regelmäßigen Monitorings seien auf dieser bisher zwölf Hamsterbauten gefunden. Jeglicher Einsatz von Gift gegen Mäuse, obwohl sie zehntausendfach ihr Unwesen treiben, ist auf einer solchen Fläche verboten. „Zu Recht“, meint Paffen.
Der Pflanzenschutzdienst ist mit der Begutachtung überfordert
Doch das Selbstverständnis eines Bauern sei nun mal auch, die Saat zu ernten. Ein Vorhaben, das durch die immense Mäuseplage in diesem Jahr arg beeinträchtigt ist. Überall im Freistaat sind enorme Schäden zu verzeichnen, der Ertrag bei Getreide und Raps fällt deutlich geringer als sonst aus. Deshalb haben die Bauern die Politik immer wieder aufgefordert, gegen die Mäuse auf hamsterfreien Flächen Gift einsetzen zu dürfen.
Erleichterung herrschte deshalb in der vergangenen Woche über den Kabinettsbeschluss, dem eine lange Diskussion zwischen dem Umweltund dem Landwirtschaftsministerium, zwischen Naturschutzbund und Landwirten vorausging. Entsprechend dem Beschluss können die Bauern bis 31. Oktober nun dort Gift einsetzen, wo es keine Hamster gibt. Allerdings dürfen sie – anders als in Sachsen-Anhalt – die Kontrollen nicht selbst vornehmen. Laut dem anschließend versendeten Merkblatt ist diese Aufgabe nur Gutachtern beziehungsweise dem Pflanzenschutzdienst überlassen.
Aber die Mitarbeiter dieser Behörde sind hoffnungslos überlastet. Die personelle und zeitliche Überforderung räumt Referent Richard Wagner gegenüber dieser Zeitung ein und zeigt zugleich Verständnis für die Verbitterung der Landwirte. „Doch wir können uns beim Einsatz von Rodentiziden nur im Rahmen dessen bewegen, der uns von den Ministerien vorgegeben wird.“Rodentizide sind speziell gegen Nagetiere entwickelte Gifte. Und zu den Nagern gehören Mäuse und Hamster gleichermaßen.
Drei Körner Giftweizen in jedes Mäuseloch
Und so werden die Mäuse, die in diesem Jahr nach drei milden Wintern millionenfach auftreten, weiter Schaden anrichten. „Sie fällen das Getreide wie einen Baum“, sagt Paffen. Pia Vollmer nickt und spricht zugleich von der Notwendigkeit der Nahrungskette. Aber auch sie ahnt, dass die natürlichen Feinde der Mäuse, Greifvögel oder Füchse, die Vermehrung derzeit nicht verhindern können.
Die Mitarbeiter der Agrargenossenschaft Weißensee wollten diese Woche eigentlich auf die Felder gehen, um dort mit einer Legeflinte drei Körner Giftweizen in die Mäuselöcher einzubringen. Diese Arbeit, die nur von Landwirten mit entsprechendem Sachkundenachweis ausgeführt werden darf, muss nun wegen der fehlenden Kontrollen nicht nur in Weißensee verschoben werden.
„Ich verstehe das Umweltministerium nicht“, sagt Jürgen Paffen, der seit 2008 den insgesamt 4600 Hektar großen Agrarbetrieb im Landkreis Sömmerda leitet. Er weiß, dass Landwirtschaftsminister BenjaminImmanuel Hoff für Thüringen eine ähnliche Variante wie in SachsenAnhalt angestrebt hat, doch letztlich am Einwand von Anja Siegesmund scheiterte. Und er weitet seine Kritik aus. „Sofort nach der Ernte – wie von ihr gewollt – den Boden zu bearbeiten, also schwarz zu machen, kann zwar gegen die Mäuse helfen, nimmt den letzten Hamstern aber auch den Schutz und die Möglichkeit, Wintervorräte anzulegen.“Das könne keine Lösung sein.
Und so bleibt die Atmosphäre zwischen Landwirten und der Politik letztlich giftig.