Streit um Adventssonntage
Handel drängt auf rasche Entscheidung. Gewerkschaft, Kirche und SPD gegen Ausweitung
Erfurt. Der Einzelhandel in Thüringen drängt auf eine Entscheidung für einen zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntag im Advent. Diesen zu prüfen, hatte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) im August vorgeschlagen und seinen Vorstoß bei der Vollversammlung der Industrieund Handelskammer (IHK) Erfurt Mitte September bekräftigt. Führende Vertreter der Kammer fordern jetzt offenbar in einem dringlichen Schreiben von Ramelow Nägel mit Köpfen. In einem gestern verbreiteten Statement fordert die IHK die zeitnahe Freigabe durch das Landesverwaltungsamt. Die Auswahl des Termins solle den Kommunen überlassen werden.
Normalerweise erlaubt das Thüringer Ladenöffnungsgesetz vier Verkaufssonntage pro Jahr. Voraussetzung sind besondere Anlässe wie Feste, geöffnet werden darf für die Dauer von bis zu sechs Stunden in der Zeit von 11 bis 20 Uhr. Antragsteller sind die Kommunen, die Entscheidung fällt im Landesverwaltungsamt.
Wörtlich heißt es in Paragraf 10 des Ladenöffnungsgesetzes weiter: „Der Karfreitag, die Adventssonntage und die übrigen Sonn- und Feiertage im Dezember dürfen mit Ausnahme wahlweise des 1. oder 2. Adventssonntags nicht freigegeben werden.“
Abweichungen davon sind laut Paragraf 11 des Gesetzes möglich, wenn dies im öffentlichen Interesse notwendig ist. Genau darauf berufen sich jetzt IHK und Handel. Angesichts der steigenden Infektionszahlen sei es dringend geboten, die Besucherströme in der Weihnachtszeit zu entzerren und den Kunden dadurch ein sicheres Einkaufen zu ermöglichen. Ohnehin bedürfe der durch Corona geschwächte stationäre Einzelhandel dringend einer
Stabilisierung. Unterstützung kommt von der IHK Ostthüringen. Ladenschließungen und Lockdown hätten insbesondere den innerstädtischen Läden zugesetzt. „Besonders deutlich zeigt sich dies bei den stationären Modegeschäften mit Umsatzeinbußen um 30 Prozent, auch bei Waren- und Kaufhäuser steht ein großes Minus“, sagt Sprecherin Evelin Barth. Die Ostthüringer IHK fordere seit Langem, die Freigabe von verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen im Sinne der Unternehmen und Innenstädte einfacher und rechtssicher zu organisieren. „Die derzeitige Thüringer Regelung stellt einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Sachsen und Sachsen-Anhalt dar. Daher sollte die Freigabe des dritten und vierten Adventssonntags in Thüringen nicht weiter ausgeschlossen bleiben“, so Barth. Beim Landesverwaltungsamt
verwies man gestern auf die bestehende Gesetzeslage.
Für den aktuellen Vergleich lohnt ein Blick nach Nordrhein-Westfalen. Dort hatte die Landesregierung angekündigt, das Weihnachtsgeschäft mit vier verkaufsoffenen Sonntagen im Dezember entzerren zu wollen, um Corona-Infektionen zu vermeiden. Grundlage dafür ist nicht das Ladenöffnungsgesetz, sondern die Corona-Schutzverordnung. Die Kirchen in NRW signalisierten bereits, dass sie vier verkaufsoffene Adventssonntage tolerieren, sofern sie die Ausnahme bleiben. Verdi kündigte Klagen für den Fall an, dass ohne besonderen Anlass geöffnet werde.
Auch in Thüringen machen Gewerkschaft, Kirche und einzelne Parteien bereits Front gegen eine mögliche Ausweitung. „Das Umsatzinteresse von Einzelhändlern kann nicht als öffentliches Interesse angesehen werden", sagt VerdiHandelsexperte Jörg LauenrothMago. Auch für die Katholische Kirche ist die Freigabe eines weiteren Adventssonntages weder geboten noch zielführend. „Ob eine zusätzliche Öffnung der Läden zum Infektionsschutz beiträgt, bezweifeln wir. Gerade in Zeiten zusätzlicher Belastungen sind Sonntage als Ruhephasen besonders wichtig“, sagte Claudio Kullmann vom Katholischen Büro des Bistums Erfurt. Laut EKM stellten zusätzliche Sonntagsöffnungszeiten eine weitere Belastung der Beschäftigten dar und seien zudem rechtswidrig.
Für die SPD erklärte Arbeitsmarktpolitikerin Diana Lehmann, ein bloßes Umsatzinteresse sei nicht ausreichend als Begründung, um eine Schwächung des Arbeitnehmerschutzes hinzunehmen.