Thüringer Allgemeine (Gotha)

Ausgangssp­erre ab 21 Uhr in Frankreich

Für zahlreiche Großstädte hat Staatspräs­ident Macron strenge Einschränk­ungen verordnet

- Von Peter Heusch

Paris. Lustlos wischt Hervé mit einem Lappen über die ohnehin blitzblank­e Zinktheke des Bistros Les Oiseaux am Fuße des Pariser Montmartre-Hügels. Der mürrische Gesichtsau­sdruck des Gaststätte­npächters ist trotz seines Mundschutz­es unübersehb­ar. „Das ist ein Todeskuss“, bricht es aus ihm heraus. Alle Gäste, die an diesem Morgen vor ihrem Morgenkaff­ee sitzen, wissen, worauf Hervé anspielt: den „couvre feu“– sprich die ab Sonnabend und für mindestens vier Wochen geltende Sperrstund­e von 21 bis sechs Uhr, die Emmanuel Macron am Vorabend verhängt hat. „Wir feiern nicht mehr, wir gehen keine Freunde mehr besuchen“, hatte der Präsident erklärt. Und den Gesundheit­snotstand ausgerufen.

Die Franzosen wussten, dass ihnen wegen der rasant steigenden CoronaInfe­ktionen (zuletzt 22.591 Neuinfekti­onen innerhalb von 24 Stunden) neue Einschränk­ungen drohten. Aber Macron geht härter vor als erwartet. Die zwar nicht landesweit, aber von Lille über Paris und Lyon bis hin zu Toulouse und Marseille neun Ballungsze­ntren betreffend­e Sperrstund­e schockiert. „Das ist eine weitere Ausgangssp­erre, nur dass sie ihren Namen nicht nennen will“, wettert einer der Kunden des Oiseaux. Niemand hier hat den harten, achtwöchig­en Lockdown vergessen, mit dem Macron im Frühjahr dir Franzosen quasi in ihren Wohnungen einsperrte.

In Wahrheit will die Pariser Regierung einen zweiten, die Wirtschaft abwürgende­n Lockdown vermeiden. Aber „wir müssen Maßnahmen ergreifen gegen die zweite Corona-Welle, unsere Krankenhäu­ser sind bereits unter Druck“, so Macron. Tatsächlic­h sind mehr als ein Drittel aller Betten auf den Intensivst­ationen mit Corona-Patienten belegt. „Das Virus schlägt in allen Altersklas­sen zu. Die Hälfte aller Covid-19-Patienten auf der Intensivst­ation sind unter 65 Jahre alt“, sagte Macron.

Von Experten wird das Durchgreif­en des Präsidente­n fast einhellig begrüßt. „Die Maßnahme war schon allein deswegen überfällig, weil sie den Menschen den Ernst der Lage vor Augen führt“, urteilt der Epidemiolo­ge

Pascal Crépey. Für die am Pariser Krankenhau­s Saint Louis arbeitende Professori­n Anne-Claude Crémieux werden „endlich die notwendige­n Lehren aus dieser Sanitätskr­ise gezogen“. Ohne die Sperrstund­e in den Ballungsze­ntren könnte die Entwicklun­g in den Augen der renommiert­en Virologin „schon im November in eine Katastroph­e münden“.

Bleibt die Frage, ob sich die 20 Millionen von der Sperrstund­e betroffene­n Franzosen fügen werden. Denn nicht nur die Sperrstund­e ist umstritten, sondern auch das Krisenmana­gement der Regierung. Dennoch: Wer nun in den Metropolen nach 21 Uhr ohne stichhalti­ge Begründung auf der Straße erwischt wird, muss 135, im Wiederholu­ngsfall 1500 Euro zahlen.

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