Ausgangssperre ab 21 Uhr in Frankreich
Für zahlreiche Großstädte hat Staatspräsident Macron strenge Einschränkungen verordnet
Paris. Lustlos wischt Hervé mit einem Lappen über die ohnehin blitzblanke Zinktheke des Bistros Les Oiseaux am Fuße des Pariser Montmartre-Hügels. Der mürrische Gesichtsausdruck des Gaststättenpächters ist trotz seines Mundschutzes unübersehbar. „Das ist ein Todeskuss“, bricht es aus ihm heraus. Alle Gäste, die an diesem Morgen vor ihrem Morgenkaffee sitzen, wissen, worauf Hervé anspielt: den „couvre feu“– sprich die ab Sonnabend und für mindestens vier Wochen geltende Sperrstunde von 21 bis sechs Uhr, die Emmanuel Macron am Vorabend verhängt hat. „Wir feiern nicht mehr, wir gehen keine Freunde mehr besuchen“, hatte der Präsident erklärt. Und den Gesundheitsnotstand ausgerufen.
Die Franzosen wussten, dass ihnen wegen der rasant steigenden CoronaInfektionen (zuletzt 22.591 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden) neue Einschränkungen drohten. Aber Macron geht härter vor als erwartet. Die zwar nicht landesweit, aber von Lille über Paris und Lyon bis hin zu Toulouse und Marseille neun Ballungszentren betreffende Sperrstunde schockiert. „Das ist eine weitere Ausgangssperre, nur dass sie ihren Namen nicht nennen will“, wettert einer der Kunden des Oiseaux. Niemand hier hat den harten, achtwöchigen Lockdown vergessen, mit dem Macron im Frühjahr dir Franzosen quasi in ihren Wohnungen einsperrte.
In Wahrheit will die Pariser Regierung einen zweiten, die Wirtschaft abwürgenden Lockdown vermeiden. Aber „wir müssen Maßnahmen ergreifen gegen die zweite Corona-Welle, unsere Krankenhäuser sind bereits unter Druck“, so Macron. Tatsächlich sind mehr als ein Drittel aller Betten auf den Intensivstationen mit Corona-Patienten belegt. „Das Virus schlägt in allen Altersklassen zu. Die Hälfte aller Covid-19-Patienten auf der Intensivstation sind unter 65 Jahre alt“, sagte Macron.
Von Experten wird das Durchgreifen des Präsidenten fast einhellig begrüßt. „Die Maßnahme war schon allein deswegen überfällig, weil sie den Menschen den Ernst der Lage vor Augen führt“, urteilt der Epidemiologe
Pascal Crépey. Für die am Pariser Krankenhaus Saint Louis arbeitende Professorin Anne-Claude Crémieux werden „endlich die notwendigen Lehren aus dieser Sanitätskrise gezogen“. Ohne die Sperrstunde in den Ballungszentren könnte die Entwicklung in den Augen der renommierten Virologin „schon im November in eine Katastrophe münden“.
Bleibt die Frage, ob sich die 20 Millionen von der Sperrstunde betroffenen Franzosen fügen werden. Denn nicht nur die Sperrstunde ist umstritten, sondern auch das Krisenmanagement der Regierung. Dennoch: Wer nun in den Metropolen nach 21 Uhr ohne stichhaltige Begründung auf der Straße erwischt wird, muss 135, im Wiederholungsfall 1500 Euro zahlen.