Superheld wider Willen
David A. Robertsons Helden sind die Ersteinwohner Kanadas jenseits der Indianer-Klischees
Wer einen durchgeknallten Gestaltwandler zum Mentor hat, der als Kojote oder Kellner auftritt, kann kaum ein erfolgreicher Superheld sein. Davon ist Cole Harper überzeugt, 17 Jahre alt, und schon lange nicht mehr zu Hause im Reservat der Wounded-Sky-Cree. Genau dahin aber soll er zurückkehren, verlangt der Kojote namens Choch, soll sein Leben in Winnipeg aufgeben, Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba – und erfährt nicht einmal weswegen. Dass er Superkräfte haben soll, weil er mit sieben Jahren Freunde aus der brennenden Schule gerettet hat, und diese Kräfte jetzt wieder gebraucht werden, überzeugt ihn auch nicht.
Choch, ebenso weise wie respektlos allem und jedem gegenüber, akzeptiert jedoch kein Nein – und Autor David A. Robertson jagt seine Leser durch „Strangers“, den ersten Teil der Trilogie um Cole Harper, Superheld wider Willen. Leichen, literweise Blut, indianische Mythen und Rituale, Morde, erste Liebe und übermenschliche Kräfte verbindet Robertson zu einer gelungenen Mischung aus Krimi, Entwicklungsroman und Fantasy-Geschichte.
Der mehrfach preisgekrönte Autor gehört zur Nation der Swampy Cree und will mit seinen Romanen und Graphic Novels die Kultur und Geschichte der Erstbewohner Kanadas nahebringen. Zum Beispiel mit dem ersten indigenen Superhelden. Der will zwar nicht, aber das teilt er mit einigen seiner, in der Regel weißen und angelsächsischen, Vorläufer ebenso wie die Selbstzweifel und die Anfeindungen von außen. Den leicht sarkastischen Humor überlässt Robertson jedoch klugerweise Choch, der sich (Brechts Verfremdungseffekt lässt grüßen) gern aus der Geschichte heraus an die Leser wendet, wenn er an seinem mitunter bockigen und etwas begriffsstutzigen Schützling vermeintlich verzweifelt.
„Es gibt behutsame Wege, auch über die härtesten Themen zu sprechen“, schreibt Robertson, dem es nicht um bunte Folklore geht. Das zeigt er eindrucksvoll mit seinem Bilderbuch „Als wir allein waren“.
Zwei Kinder sind die Hauptfiguren, liegen fröhlich im bunten Laub, scheinen gleich in ein verschmitztes Grinsen auszubrechen. Denn „Als wir allein waren“kann vieles bedeuten: Freiheit, Vergnügen, Abenteuer. Doch die Streiche, die Schwester und Bruder aushecken, sind andere als erwartet.
Wenn sie allein sind, flechten sie sich Grashalme ins kurze Haar, damit es sich wieder lang anfühlt. Mit dem bunten Herbstlaub überdecken sie ihre tristen Schuluniformen – und vor allem verbringen sie heimlich Zeit zusammen, sprechen ihre Muttersprache. Das ist ihre Art von Widerstand und GlücklichSein in einer Schule, in der ihnen als Erstes die Haare abgeschnitten werden, dann wird die Kleidung durch
Schuluniformen ersetzt und ihre Muttersprache durch Französisch und Englisch.
Denn sie sind Cree und besuchen ein Internat, das nur für sie und Kinder
anderer kanadischer Ureinwohner gedacht ist. Sie sollen ihre Herkunft vergessen, „der Indianer im Kind soll getötet werden“: So beschreibt David A. Robertson, wie es in den „Residential Schools“zuging, gegründet von den Kolonialmächten, betrieben von den Kirchen. Die letzte schloss 1996.
Kein Thema für ein Bilderbuch? Ganz im Gegenteil. Robertson und zeigt, wie das geht. Ein kleines Mädchen hilft seiner Großmutter im Blumengarten und stellt Fragen über Fragen. Aus den nüchternen Antworten der Großmutter entfaltet sich Seite für Seite deren gemeinsame Schulzeit mit ihrem Bruder.
Illustratorin Julie Flett, Cree-Metis-Kanadierin, zeichnet die Schulszenen
schwarz-grau-braun mit winzigen Kindern in überdimensionierten Räumen. Farbe jedoch gibt sie den heimlichen Treffen der Geschwister und auch der Gegenwart im Blumengarten. Und über alle Seiten lässt sie buntes Laub tanzen – Symbol der Hoffnung.
„Es gibt behutsame Wege, über die härtesten Themen zu sprechen.“
David A. Robertson, Schriftsteller