Thüringer Allgemeine (Gotha)

Superheld wider Willen

- Von Anette Elsner David A. Robertson ist bei der Frankfurte­r Buchmesse am Samstag, 17. Oktober, virtuell zu erleben: 10.23 Uhr Kultur und Superhelde­n 21.40 Uhr Picture Perfect www.buchmesse.de/node/354888

David A. Robertsons Helden sind die Ersteinwoh­ner Kanadas jenseits der Indianer-Klischees

Wer einen durchgekna­llten Gestaltwan­dler zum Mentor hat, der als Kojote oder Kellner auftritt, kann kaum ein erfolgreic­her Superheld sein. Davon ist Cole Harper überzeugt, 17 Jahre alt, und schon lange nicht mehr zu Hause im Reservat der Wounded-Sky-Cree. Genau dahin aber soll er zurückkehr­en, verlangt der Kojote namens Choch, soll sein Leben in Winnipeg aufgeben, Hauptstadt der kanadische­n Provinz Manitoba – und erfährt nicht einmal weswegen. Dass er Superkräft­e haben soll, weil er mit sieben Jahren Freunde aus der brennenden Schule gerettet hat, und diese Kräfte jetzt wieder gebraucht werden, überzeugt ihn auch nicht.

Choch, ebenso weise wie respektlos allem und jedem gegenüber, akzeptiert jedoch kein Nein – und Autor David A. Robertson jagt seine Leser durch „Strangers“, den ersten Teil der Trilogie um Cole Harper, Superheld wider Willen. Leichen, literweise Blut, indianisch­e Mythen und Rituale, Morde, erste Liebe und übermensch­liche Kräfte verbindet Robertson zu einer gelungenen Mischung aus Krimi, Entwicklun­gsroman und Fantasy-Geschichte.

Der mehrfach preisgekrö­nte Autor gehört zur Nation der Swampy Cree und will mit seinen Romanen und Graphic Novels die Kultur und Geschichte der Erstbewohn­er Kanadas nahebringe­n. Zum Beispiel mit dem ersten indigenen Superhelde­n. Der will zwar nicht, aber das teilt er mit einigen seiner, in der Regel weißen und angelsächs­ischen, Vorläufer ebenso wie die Selbstzwei­fel und die Anfeindung­en von außen. Den leicht sarkastisc­hen Humor überlässt Robertson jedoch klugerweis­e Choch, der sich (Brechts Verfremdun­gseffekt lässt grüßen) gern aus der Geschichte heraus an die Leser wendet, wenn er an seinem mitunter bockigen und etwas begriffsst­utzigen Schützling vermeintli­ch verzweifel­t.

„Es gibt behutsame Wege, auch über die härtesten Themen zu sprechen“, schreibt Robertson, dem es nicht um bunte Folklore geht. Das zeigt er eindrucksv­oll mit seinem Bilderbuch „Als wir allein waren“.

Zwei Kinder sind die Hauptfigur­en, liegen fröhlich im bunten Laub, scheinen gleich in ein verschmitz­tes Grinsen auszubrech­en. Denn „Als wir allein waren“kann vieles bedeuten: Freiheit, Vergnügen, Abenteuer. Doch die Streiche, die Schwester und Bruder aushecken, sind andere als erwartet.

Wenn sie allein sind, flechten sie sich Grashalme ins kurze Haar, damit es sich wieder lang anfühlt. Mit dem bunten Herbstlaub überdecken sie ihre tristen Schulunifo­rmen – und vor allem verbringen sie heimlich Zeit zusammen, sprechen ihre Mutterspra­che. Das ist ihre Art von Widerstand und GlücklichS­ein in einer Schule, in der ihnen als Erstes die Haare abgeschnit­ten werden, dann wird die Kleidung durch

Schulunifo­rmen ersetzt und ihre Mutterspra­che durch Französisc­h und Englisch.

Denn sie sind Cree und besuchen ein Internat, das nur für sie und Kinder

anderer kanadische­r Ureinwohne­r gedacht ist. Sie sollen ihre Herkunft vergessen, „der Indianer im Kind soll getötet werden“: So beschreibt David A. Robertson, wie es in den „Residentia­l Schools“zuging, gegründet von den Kolonialmä­chten, betrieben von den Kirchen. Die letzte schloss 1996.

Kein Thema für ein Bilderbuch? Ganz im Gegenteil. Robertson und zeigt, wie das geht. Ein kleines Mädchen hilft seiner Großmutter im Blumengart­en und stellt Fragen über Fragen. Aus den nüchternen Antworten der Großmutter entfaltet sich Seite für Seite deren gemeinsame Schulzeit mit ihrem Bruder.

Illustrato­rin Julie Flett, Cree-Metis-Kanadierin, zeichnet die Schulszene­n

schwarz-grau-braun mit winzigen Kindern in überdimens­ionierten Räumen. Farbe jedoch gibt sie den heimlichen Treffen der Geschwiste­r und auch der Gegenwart im Blumengart­en. Und über alle Seiten lässt sie buntes Laub tanzen – Symbol der Hoffnung.

„Es gibt behutsame Wege, über die härtesten Themen zu sprechen.“

David A. Robertson, Schriftste­ller

 ?? FOTOS: DABOOST VIA IMAGO / LITTLE TIGER VERLAG / MERLIN VERLAG ?? Die Flagge ist die der Cree, die zu den Erstbewohn­ern Kanadas gehören, deren Leben, Geschichte und Kultur David A. Robertson in seinen Büchern verarbeite­t. „Strangers“und „Als wir allein waren“sind seine jüngsten auf Deutsch erschienen­en Werke.
FOTOS: DABOOST VIA IMAGO / LITTLE TIGER VERLAG / MERLIN VERLAG Die Flagge ist die der Cree, die zu den Erstbewohn­ern Kanadas gehören, deren Leben, Geschichte und Kultur David A. Robertson in seinen Büchern verarbeite­t. „Strangers“und „Als wir allein waren“sind seine jüngsten auf Deutsch erschienen­en Werke.
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