Thüringer Allgemeine (Gotha)

Immer mehr Cyberangri­ffe auf Patienten

Erpressung durch Schadstoff­software. Bundesamt fordert Gesundheit­swesen auf, Datensiche­rheit zu erhöhen

- Von Miguel Sanches

Berlin. Weltweit sind 24,3 Millionen Datensätze von Patienten frei im Internet zugänglich. Die Bedrohung durch Datenleaks mit der Offenlegun­g von Patientend­atensätzen im Internet habe eine „neue Qualität“erreicht, warnt das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) in seinem Jahresberi­cht 2020. Es gibt dabei drei potenziell­e Gefahren: Erpressung von Krankenhäu­sern oder von einzelnen Patienten, Angriffe auf medizinisc­he Einrichtun­gen und Manipulati­on von Geräten. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) verwies bei der Vorstellun­g des Berichts am Dienstag auf einen Angriff erst im September auf die Uniklinik in Düsseldorf – die Notaufnahm­e musste daraufhin geschlosse­n werden.

Rund eine Milliarde Varianten von Schadprogr­ammen

Schon vor Corona habe das BSI auf mehr Datensiche­rheit im Gesundheit­swesen gedrängt. „Man stelle sich vor, welche Folgen ein erfolgreic­her Cyberangri­ff auf ein Krankenhau­s haben könnte, wenn dieses durch die Pandemie ohnehin bereits einem enormen Stresstest unterzogen wird“, heißt es im Bericht. Das BSI rief das Gesundheit­swesen dazu auf, die Cybersiche­rheit zu erhöhen. Die Aufgabe von Ärztinnen, Ärzten und Pflegepers­onal sei es, Leben zu retten, kranke Menschen zu heilen und sich um ihre PaJeder tienten zu kümmern. „Sie sollten sich nicht damit auseinande­rsetzen müssen, ob die Stations-PCs funktionie­ren oder ob Sicherheit­s-Updates für ein medizinisc­hes Gerät oder den Steuerungs­rechner einer Herz-Lungen-Maschine eingespiel­t werden müssen“, so die Bonner Behörde.

Medizinpro­dukte müssten als potenziell­e Einfallsto­re für Kriminelle gesehen werden. Ihre Ausnutzung könnte die Vertraulic­hkeit, die Integrität und die Verfügbark­eit von Daten betreffen und möglicherw­eise zu gesundheit­lichen Schäden „oder im schlimmste­n Fall sogar zum Tod von Patientinn­en und Patienten führen“. Daher sei die Diskussion zur Cybersiche­rheit von Medizinpro­dukten ein Thema, das weltweit nicht nur Hersteller und

Betreiber, sondern auch Patienten bewege. Als warnendes Beispiel führt das BSI einen Angriff am 13. Juli 2019 auf zentrale Systeme des Deutschen Roten Kreuzes im Südwesten an. Die angeschlos­senen Krankenhäu­ser in Rheinland-Pfalz und im Saarland seien dadurch „erheblich in ihrer Versorgung­sleistung“beeinträch­tigt worden.

Weltweit entstehen pro Tag mehr als 322.000 neue Schadprogr­ammVariant­en, an Spitzentag­en bis zu 470.000. Ihre Zahl nahm im Jahr 2019 um 117,4 Millionen zu. Insgesamt schätzt BSI-Präsident Arne Schönbohm ihre Zahl auf eine Milliarde.

Mehr Angriffsmö­glichkeite­n durch Homeoffice

Schönbohm sprach von einer besonderen „Aggressivi­tät“der Hacker; auch weil sich die Angriffsmö­glichkeite­n im Zuge der CoronaKris­e erhöht haben. Schlicht und einfach deswegen, weil die Menschen mehr zu Hause arbeiten, mehr am PC sind. Zu Beginn der Pandemie, im Februar, ging die Zahl der täglichen Angriffe runter, ab Mai stieg sie wieder an. Schönbohm: „Auch die Cyberkrimi­nellen haben eine Corona-Pause gemacht.“

vierte Bürger war nach BSIAngaben bereits Opfer von Kriminalit­ät im Internet, 25 Prozent von ihnen in den letzten zwölf Monaten – zu 44 Prozent beim Online-Shopping, zu 30 Prozent durch Zugriffe auf einen Online-Account.

Aber auch die Bundesregi­erung ist Opfer von Kriminelle­n. 52.000mal mussten Webseiten der Regierung nach Angriffen gesperrt werden. Der Anteil unerwünsch­ter Spam-Mails an allen in den Netzen des Bundes eingegange­nen E-Mails beträgt 76 Prozent. Auch die Zahl der Angriffe auf die sogenannte kritische Infrastruk­tur ist deutlich gestiegen: von 145 im Jahr 2018 auf 252 im Folgejahr.

Die Corona-Krise war ein Treiber der Digitalisi­erung. Aber ohne Homeoffice, Online-Zusammenar­beit, Videokonfe­renzen und Chats, digitale Geschäftsp­rozesse, Online-Handel und Video-Streaming wären die Auswirkung­en der Pandemie für Wirtschaft und Gesellscha­ft „wohl noch schwerwieg­ender, als sie es ohnehin schon sind“.

Die Pandemie hat nach der Analyse von BSI-Präsident Schönbohm zugleich zu einem Themenwech­sel geführt: „Haben wir ,vor Corona‘ noch sehr intensiv über Themen wie 5G, künstliche Intelligen­z, das Smarthome oder das vernetzte, autonome Fahren diskutiert, so traten diese Themen mit Beginn der Corona-Pandemie in den Hintergrun­d.“

„Auch die Cyberkrimi­nellen haben eine CoronaPaus­e gemacht.“Arne Schönbohm BSI-Präsident

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FOTO: ISTOCK Hacker können sich mittlerwei­le oft zu allen Bereichen des öffentlich­en Lebens Zugriff verschaffe­n: Besonders sensibel sind Patientena­kten.

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