China feiert den Sieg über Corona
Nach harten Lockdowns ist das Land fast virusfrei. Die Wirtschaft brummt wieder – auch deutsche Firmen profitieren
Peking/Berlin. Im ehemaligen Kolonialviertel Shanghais stehen junge Chinesen mit ihren Cocktailgläsern dicht gedrängt auf dem Bürgersteig. Die Bars sind prallvoll. Um Abstandsregeln scheint sich niemand zu scheren. „Masken tragen wir schon lange nicht mehr. Auch die Clubs zum Feiern waren nur kurz geschlossen“, sagt eine junge Frau. Dass im Rest der Welt das Coronavirus weiter wütet, nimmt sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck zur Kenntnis.
Nicht nur die Menschen feiern, auch die Regierung stellt ihre Erfolge zur Schau. In Chinas Hauptstadt Peking ist das Coronavirus bereits Stoff für die Zeitgeschichte: Im August eröffnete eine Ausstellung im prestigeträchtigen Nationalmuseum, die den Sieg gegen die Seuche mit einer gehörigen Portion Pathos zelebriert. Auf überdimensionalen Ölgemälden wird dort der Helden der Pandemie gedacht: Erschöpfte Krankenschwestern sind zu sehen oder marschierende Soldaten der Volksbefreiungsarmee mit medizinischen Hilfslieferungen im Schlepptau. Nicht nur die Ästhetik des Sozialistischen Realismus lässt die Bilder wie aus einer weit entfernten Vergangenheit erscheinen.
Nach den offiziellen Statistiken ist das Virus in der Volksrepublik so gut wie überwunden. Seit mehr als zwei Monaten haben die Gesundheitsbehörden in Peking keine lokale Infektion mehr registriert, auch landesweit zählt die Regierung nur wenige Ansteckungen pro Tag. Die allermeisten von ihnen werden unter „importierten Fällen“aus dem Ausland verbucht. De facto ist China, ein Land mit knapp 1,4 Milliarden Menschen, derzeit fast virusfrei. Peking hat mit seiner drakonischen, aber hocheffizienten Strategie eine Bilanz erzielt, von der andere Länder nur träumen können. Dennoch kann man diese nicht losgelöst von den ersten Wochen des Ausbruchs betrachten. Im Dezember und Januar zerstörten die Behörden Virusproben, verpassten Wissenschaftlern einen Maulkorb und frisierten Statistiken.
Audi erzielt in China das beste Ergebnis seit 32 Jahren
Doch in der zweiten Phase handelte die Regierung entschlossen. Sie verhängten über ganze Landstriche die weltweit wohl drastischsten Lockdowns: Millionen von Chinesen standen über Monate hinweg wortwörtlich hinter versiegelten Wohnungstüren. Hinzu kam eine systematische Überwachung, auch auf dem Handy. Mit solch drakonischen Maßnahmen gelang es der Regierung nicht nur, die exponentielle Wachstumskurve abzuflachen, sondern de facto fast auf null zu drücken. Gleichzeitig schloss China seine Landesgrenzen für Ausländer und ordnete strenge Quarantäneregeln für Einreisende an.
In nahezu virusfreiem Zustand konnte das Land seine Wirtschaft wieder hochfahren. Eine neue Normalität macht sich breit. In Pekings Innenstadt stampfen Dutzende Bagger und Kräne auf dem Gelände des alten Arbeiterstadions eine hochmoderne Fußballarena aus dem Boden. Nur einen Steinwurf entfernt strömen Kunden in den weltweit größten Adidas-FlagshipStore
im Einkaufsviertel Sanlitun. Und mittendrin lärmt der Wochentagsverkehr in der Zwölf-MillionenMetropole wie eh und je: Lieferkuriere auf elektrischen Rollern schlängeln sich auf den Gehwegen zwischen Menschenmengen durch, schwarze Limousinen stecken im Stau fest.
Die Konjunktur brummt wieder, und die Regierung feiert das. Gut ein halbes Jahr nach den massiven Lockdowns legte die Wirtschaft im dritten Quartal um satte 4,9 Prozent zu – und befindet sich damit wieder auf Vorkrisenniveau. Alles deutet auf eine V-förmige Erholung hin: Die Exporte zogen im September im Jahresvergleich um 9,9 Prozent an, die Importe gar um 13,2 Prozent.
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird China als einzige Volkswirtschaft der Welt im laufenden Jahr mit 1,9 Prozent ein Plus verbuchen.
Für viele deutsche Unternehmen ist der chinesische Markt derzeit der einzige Lichtblick im internationalen Geschäft – vor allem in der Autobranche: Im dritten Quartal lieferte Mercedes 224.000 Fahrzeuge aus, ein Plus von mehr als 23 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Audi meldete sogar das beste Ergebnis seit dem Markteintritt vor 32 Jahren. „Viele Firmen sprechen in den letzten Monaten von einer bombastischen Entwicklung, die zum Teil noch besser als vor einem Jahr ist“, sagte Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Peking, kürzlich unserer Redaktion.
Doch natürlich kann auch in China die Lage wieder kippen. Mit den gesunkenen Außentemperaturen steigt die Gefahr einer zweiten Welle. Alle paar Wochen bilden sich auch in der Volksrepublik kleine örtlich begrenzte Infektionsherde. Zuletzt haben sich zwölf Menschen in der ostchinesischen Hafenstadt Qingdao angesteckt. Stets ging die Lokalregierung dabei nach dem gleichen Muster vor: Sämtliche Einwohner der Stadt mussten sich innerhalb weniger Tage testen lassen, zudem wurden die betroffenen Wohngebiete vollständig abgeriegelt. Bislang konnten die Behörden auf diesem Weg eine Ausbreitung des Infektionsgeschehens verhindern.