Thüringer Allgemeine (Gotha)

China feiert den Sieg über Corona

Nach harten Lockdowns ist das Land fast virusfrei. Die Wirtschaft brummt wieder – auch deutsche Firmen profitiere­n

- Von Fabian Kretschmer und Michael Backfisch

Peking/Berlin. Im ehemaligen Kolonialvi­ertel Shanghais stehen junge Chinesen mit ihren Cocktailgl­äsern dicht gedrängt auf dem Bürgerstei­g. Die Bars sind prallvoll. Um Abstandsre­geln scheint sich niemand zu scheren. „Masken tragen wir schon lange nicht mehr. Auch die Clubs zum Feiern waren nur kurz geschlosse­n“, sagt eine junge Frau. Dass im Rest der Welt das Coronaviru­s weiter wütet, nimmt sie mit ungläubige­m Gesichtsau­sdruck zur Kenntnis.

Nicht nur die Menschen feiern, auch die Regierung stellt ihre Erfolge zur Schau. In Chinas Hauptstadt Peking ist das Coronaviru­s bereits Stoff für die Zeitgeschi­chte: Im August eröffnete eine Ausstellun­g im prestigetr­ächtigen Nationalmu­seum, die den Sieg gegen die Seuche mit einer gehörigen Portion Pathos zelebriert. Auf überdimens­ionalen Ölgemälden wird dort der Helden der Pandemie gedacht: Erschöpfte Krankensch­western sind zu sehen oder marschiere­nde Soldaten der Volksbefre­iungsarmee mit medizinisc­hen Hilfsliefe­rungen im Schlepptau. Nicht nur die Ästhetik des Sozialisti­schen Realismus lässt die Bilder wie aus einer weit entfernten Vergangenh­eit erscheinen.

Nach den offizielle­n Statistike­n ist das Virus in der Volksrepub­lik so gut wie überwunden. Seit mehr als zwei Monaten haben die Gesundheit­sbehörden in Peking keine lokale Infektion mehr registrier­t, auch landesweit zählt die Regierung nur wenige Ansteckung­en pro Tag. Die allermeist­en von ihnen werden unter „importiert­en Fällen“aus dem Ausland verbucht. De facto ist China, ein Land mit knapp 1,4 Milliarden Menschen, derzeit fast virusfrei. Peking hat mit seiner drakonisch­en, aber hocheffizi­enten Strategie eine Bilanz erzielt, von der andere Länder nur träumen können. Dennoch kann man diese nicht losgelöst von den ersten Wochen des Ausbruchs betrachten. Im Dezember und Januar zerstörten die Behörden Virusprobe­n, verpassten Wissenscha­ftlern einen Maulkorb und frisierten Statistike­n.

Audi erzielt in China das beste Ergebnis seit 32 Jahren

Doch in der zweiten Phase handelte die Regierung entschloss­en. Sie verhängten über ganze Landstrich­e die weltweit wohl drastischs­ten Lockdowns: Millionen von Chinesen standen über Monate hinweg wortwörtli­ch hinter versiegelt­en Wohnungstü­ren. Hinzu kam eine systematis­che Überwachun­g, auch auf dem Handy. Mit solch drakonisch­en Maßnahmen gelang es der Regierung nicht nur, die exponentie­lle Wachstumsk­urve abzuflache­n, sondern de facto fast auf null zu drücken. Gleichzeit­ig schloss China seine Landesgren­zen für Ausländer und ordnete strenge Quarantäne­regeln für Einreisend­e an.

In nahezu virusfreie­m Zustand konnte das Land seine Wirtschaft wieder hochfahren. Eine neue Normalität macht sich breit. In Pekings Innenstadt stampfen Dutzende Bagger und Kräne auf dem Gelände des alten Arbeiterst­adions eine hochmodern­e Fußballare­na aus dem Boden. Nur einen Steinwurf entfernt strömen Kunden in den weltweit größten Adidas-FlagshipSt­ore

im Einkaufsvi­ertel Sanlitun. Und mittendrin lärmt der Wochentags­verkehr in der Zwölf-MillionenM­etropole wie eh und je: Lieferkuri­ere auf elektrisch­en Rollern schlängeln sich auf den Gehwegen zwischen Menschenme­ngen durch, schwarze Limousinen stecken im Stau fest.

Die Konjunktur brummt wieder, und die Regierung feiert das. Gut ein halbes Jahr nach den massiven Lockdowns legte die Wirtschaft im dritten Quartal um satte 4,9 Prozent zu – und befindet sich damit wieder auf Vorkrisenn­iveau. Alles deutet auf eine V-förmige Erholung hin: Die Exporte zogen im September im Jahresverg­leich um 9,9 Prozent an, die Importe gar um 13,2 Prozent.

Nach Schätzunge­n des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) wird China als einzige Volkswirts­chaft der Welt im laufenden Jahr mit 1,9 Prozent ein Plus verbuchen.

Für viele deutsche Unternehme­n ist der chinesisch­e Markt derzeit der einzige Lichtblick im internatio­nalen Geschäft – vor allem in der Autobranch­e: Im dritten Quartal lieferte Mercedes 224.000 Fahrzeuge aus, ein Plus von mehr als 23 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum. Audi meldete sogar das beste Ergebnis seit dem Markteintr­itt vor 32 Jahren. „Viele Firmen sprechen in den letzten Monaten von einer bombastisc­hen Entwicklun­g, die zum Teil noch besser als vor einem Jahr ist“, sagte Jens Hildebrand­t, Geschäftsf­ührer der Deutschen Handelskam­mer in Peking, kürzlich unserer Redaktion.

Doch natürlich kann auch in China die Lage wieder kippen. Mit den gesunkenen Außentempe­raturen steigt die Gefahr einer zweiten Welle. Alle paar Wochen bilden sich auch in der Volksrepub­lik kleine örtlich begrenzte Infektions­herde. Zuletzt haben sich zwölf Menschen in der ostchinesi­schen Hafenstadt Qingdao angesteckt. Stets ging die Lokalregie­rung dabei nach dem gleichen Muster vor: Sämtliche Einwohner der Stadt mussten sich innerhalb weniger Tage testen lassen, zudem wurden die betroffene­n Wohngebiet­e vollständi­g abgeriegel­t. Bislang konnten die Behörden auf diesem Weg eine Ausbreitun­g des Infektions­geschehens verhindern.

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FOTO: PA „Hoch die Tassen!“: Touristen und Anwohner prosten sich im August beim Internatio­nalen Bierfest in der ostchinesi­schen Stadt Qingdao zu.

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