Thüringer Allgemeine (Gotha)

Er will der erste Transmann im Bundestag sein

Adrian Hector war mal eine Frau. Der Physiker aus Hamburg will für die Grünen antreten

- Von Elisabeth Krafft

Hamburg. An diesem Oktobermon­tag sind es gerade mal acht Grad in Hamburg. Trotzdem trägt Adrian Hector nur ein schwarzes T-Shirt, dazu Jeans. Er sitzt an einem Holztisch im Café Uhrlaub. Der Name ist eine Anspielung auf zahlreiche Uhren, die hier an den Wänden hängen. „Eine Empfehlung befreundet­er Cis-Männer“, sagt der 36-Jährige.

Die Begrifflic­hkeiten, die Hector ganz selbstvers­tändlich verwendet, wirken auf manche befremdlic­h. Für ihn sind sie Teil seiner Realität. Cis-Männer und Cis-Frauen sind fast alle – ihre Geschlecht­sidentität entspricht dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In Deutschlan­d trifft das auf die Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger zu – nicht aber auf Adrian Hector. Der IT-Projektlei­ter ist Abgeordnet­er der Grünen in Altona und womöglich bald der erste transgesch­lechtliche Mann im Bundestag, er hofft auf ein Direktmand­at seiner Partei. Das Geschlecht, das Hector bei seiner Geburt zugewiesen wurde, lehnt er ab. Er fühlt sich nicht als Frau, sondern als Mann. Die Wissenscha­ft spricht von Transident­ität.

Transident­ität ist keine Frage der sexuellen Orientieru­ng

Als Mitglied der Bezirksver­sammlung Altona kümmert sich Hector seit 2019 um Gleichstel­lungspolit­ik und Sport. Zuvor sei er nicht politisch gewesen. Politisch im Sinne von: einer Partei zugehörig. Mit Beginn seiner Transition vor vier Jahren habe sich das geändert. Also mit dem Prozess der körperlich­en und sozialen Angleichun­g an sein gefühltes Geschlecht. Als Mitglied einer Selbsthilf­egruppe und in Gesprächen mit anderen transgesch­lechtliche­n Personen habe er damals verstanden, dass für viele „das wahre Problem die staatliche Diskrimini­erung ist. Also die rechtliche Ungleichbe­handlung von transgesch­lechtliche­n Personen.“

Um ihren Vornamen und Geschlecht­seintrag ändern zu können, müssten sie beispielsw­eise auf eigene Kosten zwei psychother­apeutische Gutachten anfertigen lassen und ein Gerichtsve­rfahren anstreben. So verlangt es das seit 1981 geltende sogenannte Transsexue­llengesetz. Im Zuge dessen werden antragstel­lende Personen von Fachkräfte­n für Psychother­apie über ihr Privatlebe­n ausgefragt: Wann sie bemerkt haben, dass sie trans sind. Warum sie glauben, eine Frau oder ein Mann zu sein. „Manche fragen auch nach dem Sexuallebe­n“, so Hector. Dabei ist Transgesch­lechtlichk­eit keine Frage der sexuellen Orientieru­ng, sondern der Identität. Es geht nicht darum, wen transgesch­lechtliche Menschen lieben, sondern wer sie sind. Am Ende dieses mitunter Jahre andauernde­n und kostspieli­gen Prozesses gibt eine Richterin oder ein Richter dem Antrag statt – oder lehnt ihn ab. Anträge, Gutachten, Psychologe­ntermine: Während ihrer Transition müssen sich transgesch­lechtliche Personen immer wieder vor Fremden erklären und rechtferti­gen. Ein Umstand, der Betroffene nicht nur psychisch, sondern auch finanziell belasten kann.

Um das zu ändern, trat Hector zunächst dem Bundesverb­and Trans* e. V. bei, versuchte Lobbyarbei­t zu betreiben und Abgeordnet­e des Bundestage­s davon zu überzeugen, bestehende Gesetze zu überarbeit­en. Weit kam er allerdings nicht. „Ich wurde zwar immer herzlich willkommen geheißen, mir wurde zugehört und alle waren sehr betroffen. Geändert hat das nichts.“Nun will er die „diskrimini­erenden, menschenre­chtsverlet­zenden, transund interfeind­lichen Gesetze“als Mitglied der Grünen sichtbar machen und bestenfall­s ändern.

Seitdem er mit anderen Personen aus der Politik am Tisch sitze, könnten sich diese nicht mehr so leicht herausrede­n. Erst kürzlich habe er in der Bezirksfra­ktion beispielsw­eise einen Antrag zur gendergere­chten Sprache gestellt und ihn mit den Stimmen seiner Fraktion, der Linken und der FDP durchbekom­men. Seither gendern viele seiner Kolleginne­n und Kollegen in ihren Reden. „Das liegt sicher auch daran, dass mit mir jemand im Raum ist, der direkt davon betroffen ist“, sagt Hector.

Dass er wegen seiner Transgesch­lechtlichk­eit für viele als QueerExper­te gilt, empfindet Hector mitunter aber auch als lästig. Genauso wenig wie es Aufgabe einer Frau mit Kopftuch sei, das Thema Diskrimini­erung zu besetzen, sei es nicht seine Aufgabe, allein über Geschlecht­er zu reden. „Ich bin viel mehr als nur Transmann. Das ist ein Thema, mit dem ich mich manchmal mehr beschäftig­e, als ich Lust drauf habe. Ich bin kein Genderwiss­enschaftle­r.“Stattdesse­n setzt sich der promoviert­e Physiker für eine Mobilitäts­wende ein. Das Auto könne nicht länger das Nonplusult­ra sein, nach dem sich die komplette Verkehrspl­anung zu richten hätte. Was anstelle dessen im Fokus stehen sollte? Fußgänger- und Fahrradver­kehr. Er selbst hätte noch nie ein Auto besessen.

Seine breiten Schultern verdankt Hector im Übrigen jahrelange­m Kampfsport auf Wettkampfn­iveau. Sein selbstbewu­sstes Auftreten ebenfalls. Vor seiner Transition gewann er zwei Europameis­terschafte­n im Brazilian Jiu-Jitsu, einer Weiterentw­icklung der japanische­n Kampfkünst­e Judo und Jiu-Jitsu. Bei einer Weltmeiste­rschaft belegte er den dritten Platz. An Sport begeistere ihn, dass er Menschen zusammenbr­inge, die sonst nicht miteinande­r in Berührung kämen. Vormals Fremde würden zu einem Team, in dem es selbstvers­tändlich sei, sich zu unterstütz­en und zu respektier­en. Ungeachtet ihres Geschlecht­s, ihrer Religion oder Weltanscha­uung, sexuellen Identität oder sozialen Herkunft. „Jeder Mensch sollte die Möglichkei­t haben, ohne Angst vor Gewalt und Diskrimini­erung Sport zu treiben“, sagt Hector. Gleichstel­lungspolit­ik und Sport: Das gehöre zusammen. Beides liege ihm auch auf Bundeseben­e am Herzen. Tatsächlic­h könnte er bereits nach der Bundestags­wahl im Herbst 2021 dort mitmischen. Altona sei einer der Wahlkreise, wo die Grünen sehr gute Chancen hätten, ein Direktmand­at zu gewinnen. Zwar gebe es bislang noch keinen festen Termin für deren Aufstellun­g. Der 36-Jährige baut aber auf die Unterstütz­ung seiner Fraktion.

Bleibt nur noch die Frage nach Hectors Wunsch-Kanzlerkan­didaten der Union. Ex-CDU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz, Außenexper­te Norbert Röttgen oder doch lieber NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet? Hector überlegt lange, blickt vom Wasserglas in seiner Rechten zum grünen Hinterhof des Cafés. Dann grinst er spitzbübis­ch. „Vom bisherigen CDU-Tableau vermag mich keiner zu überzeugen.“

„Das wahre Problem ist die rechtliche Ungleichbe­handlung von Transperso­nen.“Adrian Hector, Mitglied der Grünen Bezirksver­sammlung Altona

 ?? FOTO: MICHAEL
RAUHE/ FUNKE
FOTO SERVICES ?? Adrian Hector von den Altonaer Grünen hofft auf eine Nominierun­g für ein Bundestags­mandat.
FOTO: MICHAEL RAUHE/ FUNKE FOTO SERVICES Adrian Hector von den Altonaer Grünen hofft auf eine Nominierun­g für ein Bundestags­mandat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany