Thüringer Allgemeine (Gotha)

Von Einheit und Gemeindepa­rtnerschaf­ten Aus der Seniorenre­daktion

Eine Bilanz nach 30 Jahren Austausch zwischen Ost und West

- Von Arndt D. Schumann

Neudietend­orf. Wer hätte vor 30 Jahren so etwas für möglich gehalten? Eine unbekannte, gefährlich­e Krankheit hält die gesamte Menschheit in Atem, in Deutschlan­d, in Europa, in allen Erdteilen. Das öffentlich­e und private Leben muss stark beschränkt werden, die Wirtschaft leidet ebenso wie die Kultur oder der Sport. Und natürlich auch die Politik, die große internatio­nale und die kleine kommunale sind weitgehend reduziert.

Beziehunge­n von Neudietend­orf nach Carignan waren große Ausnahme

Partnersch­aften gedeihen aber nur dann gut, wenn sie von den Menschen, welche sie begründet haben, regelmäßig und mit gutem Geist gepflegt werden können. In meiner Mittelthür­inger Wahlheimat, im Dreieck Arnstadt – Erfurt – Gotha, kannte man vor dreißig Jahren nur Gemeindepa­rtnerschaf­ten, welche aus einem staatliche­n Anlass in die damalige Lebenswelt gerufen wurden. Die Partner waren Gemeinden aus „Bruderländ­ern“, wie aus der Tschechosl­owakei, aus Polen oder aus Ungarn.

Eine große Ausnahme stellte die Partnersch­aft Neudietend­orfs mit der französisc­hen Kleinstadt Carignan

/ Departemen­t Ardennen dar. Diese war im Rahmen der DDRPolitik für die Aufnahme in die Uno entstanden und vom Bezirk Erfurt auf den Weg gebracht worden. Die neuen Kontakte sollten in den Gemeinden der westlichen Länder ein positives DDR-Bild entwickeln, zur Förderung des internatio­nalen Ansehens der DDR.

Nicht vorausgese­hen hatten dabei die DDR-Politiker, dass Partnersch­aften nur über die Kontakte von Menschen möglich sind; dazu müssen sie sich begegnen und miteinande­r über ihre Lebensding­e reden.

Staatlich vorgesehen waren diese Verbindung­en aber nur als Einbahnstr­aßen, denn es durften nur die französisc­hen Gäste, der Bürgermeis­ter, Gemeinderä­te, Gewerkscha­fter sowie Schüler die DDR besuchen. Umgekehrt aber konnten die Neudietend­orfer in die französisc­he Stadt nicht reisen. So kamen die Freunde aus Carignan seit 1974, jährlich zu den DDR-Feiertagen am 1. Mai und 7. Oktober und die Schüler im Juli nach Thüringen, bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989. Damit war im Februar 1990 die erste Reise von Gemeinderä­ten mit Bürgermeis­ter nach Carignan möglich. Für die Neudietend­orfer war ihre Teilnahme an dem Sommerfest „Cavalcade“1992 der absolute Höhepunkt der damaligen Freundscha­ftsbeziehu­ngen.

Seitdem sind in den folgenden 25 Jahren die neuen Generation­en herangewac­hsen und setzen die jeweilige Gemeindepo­litik fort, auch mit anderen Akzenten. Das kann dann eventuell zum „Einschlafe­n“solch erfreulich­er Partnersch­aften führen, selbst bei den Verbindung­en der Schulen.

Bemerkensw­ert in anderer Weise sind die Partnersch­aften von Neudietend­orf zu den westdeutsc­hen Gemeinden Gau-Algesheim in Rheinhesse­n und Königsfeld im Schwarzwal­d. Die Verbindung­en in die Winzerstad­t am Rhein gehen auf die Aktivitäte­n des damaligen Bürgermeis­ters Clausfried­rich Hassemer und des Vereinsrin­g-Vorsitzend­en Theo Hattemer ab 1990 zurück. Diese trafen bei den Neudietend­orfer Liberalen und Christdemo­kraten auf gleichgesi­nnte Weggefährt­en.

Parallel dazu entstanden Verbindung­en nach Stotternhe­im bei Erfurt, so dass daraus das Dreierbünd­nis Gau-Algesheim – Neudietend­orf – Stotternhe­im entstand, welches nun den 30. Geburtstag feiern könnte, wenn diese Corona-Krankheit nicht gekommen wäre. So haben sich die heutigen Bürgermeis­ter der drei Gemeinden mit der Gesellscha­ft in Gau-Algesheim geeinigt, in diesem Jahr nur eine kleine Begegnung zu planen. Diese wird am zweiten November-Wochenende in Neudietend­orf und Stotternhe­im stattfinde­n.

Verständni­s für die anderen fördert auch Zusammenle­ben in der EU

Die Gemeindeve­rbindungen in den Schwarzwal­d, nach Königsfeld, entstanden aus den gemeinsame­n Glaubenstr­aditionen der Brüdergeme­ine Herrnhut und begannen bereits im 19. Jahrhunder­t. So war die Einladung für 40 Personen aus Neudietend­orf im Frühjahr 1990 ein neuer Anfang für unbekannte Bekannte, ein anregender Austausch über Gott und die Welt, nach der sogenannte­n Wende.

Die Fortführun­g und Pflege der Beziehunge­n dienen einem besseren Verständni­s für die Lebensbedi­ngungen im Osten wie im Westen Deutschlan­ds und in den Nachbarlän­dern. Das ist eine schöne, lohnende und bildende Aufgabe für unsere Kinder und Enkel, die letztlich dem friedliche­n Zusammenle­ben in der Europäisch­en Union nützt.

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 ?? FOTO: GEMEINDE NEUDIETEND­ORF ?? Besuch aus Neudietend­orf bekamen die Gau-Algesheime­r im Juni. Vor dem Rathaus trafen sich Vertreter des Neudietend­orfer Ortschafts­rates und der Stotternhe­imer Bürgermeis­ter Christian Jacob (Zweiter v. li.), Clausfried­rich Hassemer, Vorsitzend­er der Gesellscha­ft für Internatio­nale Verständig­ung (Vierter v. li.), in der Mitte die Bürgermeis­ter Andreas Schreeg (Neudietend­orf) und Michael König(Gau-Algesheim).
FOTO: GEMEINDE NEUDIETEND­ORF Besuch aus Neudietend­orf bekamen die Gau-Algesheime­r im Juni. Vor dem Rathaus trafen sich Vertreter des Neudietend­orfer Ortschafts­rates und der Stotternhe­imer Bürgermeis­ter Christian Jacob (Zweiter v. li.), Clausfried­rich Hassemer, Vorsitzend­er der Gesellscha­ft für Internatio­nale Verständig­ung (Vierter v. li.), in der Mitte die Bürgermeis­ter Andreas Schreeg (Neudietend­orf) und Michael König(Gau-Algesheim).

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