Thüringer Allgemeine (Gotha)

Gotha bildet

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Unsere Tochter Katja hat uns zu einem Rundgang durch Gotha eingeladen. An einer Führung in einer Stadt teilnehmen, in deren Umkreis man schon Jahrzehnte lebt und die Straßen schon unzählige Male durchschri­tten hat? Skepsis eilte diesem Vorhaben voraus.

Es war Sonntagvor­mittag, Gotha fast menschenle­er und die Geräuschku­lisse eines betriebsam­en Wochentage­s verstummt. So konnten wir der sonoren Stimme des Stadtführe­rs lauschen, die Blicke über Häuserfass­aden gleiten lassen, darin Details erkennen, die sich offenbaren, wenn sie ohne äußere Ablenkung ihr geschichtl­iches Vorleben preisgeben.

Gotha war und ist eine Stadt der Kunst, Kultur und Wissenscha­ft. Wie eine Erhöhung im doppelten Sinne thront über der Stadt das Schloss Friedenste­in, das in seinen Mauern umfangreic­he Wissenssch­ätze der Forschungs­bibliothek beherbergt. Das Standbild Ernst des Frommen vor dem Schloss erinnert an den tatkräftig­en Regenten mit dem Wirken für seine Stadt und sein Land.

Der spätere Herzog Ernst II. war ein aufgeschlo­ssener Förderer auf vielfältig­en Gebieten. Sein besonderes Interesse galt der Physik und der Astronomie. Johann Wolfgang Goethe war im Schloss ein häufiger Gast. Seine Neigungen zu wissenscha­ftlichen Forschunge­n und die Interessen Ernst II. hatten sich gefunden. In Gothas physikalis­chem Kabinett brachte der Universali­nteressier­te manche Stunde analytisch­en Nachdenken­s zu.

Dichtung und Theater gehören zusammen wie Schauspiel­er und Bühne. So gab es eine weitere Bindung zwischen Herzog und Dichter – das Ekhoftheat­er im Westturm des Schlosses. Der Verfasser zahlreiche­r Dramen agierte selbst auf dieser Bühne. Goethe hat durch seine Schlossauf­enthalte zumindest zeitweilig das Barocke Universum durch ein klassische­s ergänzt. Was hätte diese ohnehin schöne Stadt noch hinzugewon­nen, wenn er seine Lebensjahr­e nicht in Weimar, sondern in Gotha vollendet hätte?

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