Corona-Lage immer kritischer
Gesundheitsminister Spahn infiziert – Gesundheitsämter am Rande der Überforderung – Sorge vor Lockdown
Berlin. Es sind zwei Nachrichten mit hoher Symbolkraft. Die erste: Jens Spahn, der deutsche Gesundheitsminister, ist mit dem Coronavirus infiziert. Er wurde am Nachmittag positiv getestet, nachdem er zuvor an der Kabinettssitzung im Kanzleramt teilgenommen hatte. „Ich befinde mich in häuslicher Isolation und habe bisher nur Erkältungssymptome entwickelt“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Seine Kontaktpersonen werden aktuell informiert, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Die Kabinettskollegen mussten aber nicht gesammelt in Quarantäne.
Die zweite Nachricht: Der kritische Wert von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche ist erstmals auf ganz Deutschland bezogen überschritten worden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab die Zahl am Mittwoch mit 51,3 an, am Vortag lag sie bei 48,6. Das Virus macht sich zudem in der Fläche breit. Das RKI beobachtet in zahlreichen Landkreisen eine „zunehmend diffuse Ausbreitung von Sars-CoV-2-Infektionen“. Infektionsketten seien nicht mehr eindeutig nachvollziehbar.
„Ich befinde mich in häuslicher Isolation und habe bisher nur Erkältungssymptome entwickelt.“
Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit
Die Sorge wächst, dass bald weitere Regionen dem Beispiel des bayerischen Kreises Berchtesgadener Land folgen könnten und einen harten Lockdown verhängen. Bereits jetzt ächzen die Gesundheitsämter bei der Rückverfolgung von Ansteckungsketten. Vielerorts gibt es Personalengpässe. Das gilt auch für die Ordnungsämter, die Verstöße gegen Maskenvorschriften und Quarantäneauflagen kontrollieren sollen. Hilfe kommt zwar von Bundeswehr und Polizei. Dennoch schwindet vielerorts die Bereitschaft der Bürger, sich an die Corona-Regeln zu halten. Auch die Warn-App erweist sich nach Ansicht von Kritikern kaum als nützlich.
Wie ist die Infektionslage?
Nach Angaben des RKI wurden 7595 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das ist der zweithöchste Wert seit Beginn
In der Grafik werden nur die Covid-19 Fälle dargestellt, die einem Ausbruchsgeschehen zugeordnet werden konnten, die fünf oder mehr Fälle enthalten haben. Nur etwa ein Viertel der insgesamt gemeldeten Covid-19 Fälle kann laut RKI einem Ausbruch zugeordnet werden. Etwa 35 Prozent entfallen auf kleinere Ausbrüche mit einer Größe von zwei bis vier Fällen pro Ausbruch, die in der Grafik nicht dargestellt sind. Die Zuordnung zu einem Infektionsumfeld ist zudem nicht immer eindeutig. In einigen Umfeldern, etwa im Bahnverkehr, lassen sich Ausbrüche nur schwer ermitteln, da in vielen Fällen die Identität eines Kontaktes nicht mehr nachvollziehbar ist.
der Pandemie. Die Gesamtzahl der Covid-19-Fälle in Deutschland beträgt damit 380.762, die Reproduktionszahl liegt bei 1,09 (Vortag: 1,25, Stand: 21.10., 0 Uhr). Auch der Sieben-Tage-Schnitt der gemeldeten Fälle stieg auf 6597 an, ein Rekord. Weitere 39 Menschen, die mit dem Virus infiziert waren, starben. Insgesamt zählt das RKI in Deutschland nun 9875 Corona-Tote. Seit dem Sommer haben sich vor allem private Haushalte, Büros und Freizeitaktivitäten zu Infektionsherden entwickelt. Mittlerweile steckt sich nur noch ein marginaler Teil von drei Prozent der Infizierten im Ausland an. Stattdessen häufen sich Corona-Ausbrüche, die mit Feiern im privaten Umfeld, aber auch in Betrieben in Zusammenhang stehen. Vermehrt kommt es auch wieder zu Fällen in Alten- und Pflegeheimen. Allerdings lassen sich Infektionen vielerorts nicht mehr auf einzelne Ereignisse zurückführen. Die Berliner Gesundheitssenatorin
Dilek Kalayci (SPD) etwa sagt, bei rund 90 Prozent der Neuinfektionen in der Hauptstadt sei die Quelle nicht mehr eindeutig festzustellen.
Wie ist Lage in den Gesundheitsbehörden?
„Grundsätzlich angespannt“, sagte Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, unserer Redaktion. Die Mitarbeiter seien „am Limit“. Teichert betont: „Als die Bundeskanzlerin vor einigen Wochen von
Jens Spahn mit Maske während der Kabinettssitzung.
19.200 Neuinfektionen an einem Tag gesprochen hat, habe ich eine solche Entwicklung zunächst für unwahrscheinlich gehalten. Aber so wie die Dinge derzeit verlaufen, halte ich das inzwischen für eine realistische Einschätzung.“Besonders problematisch sei es für die Behörden, wenn in einer Region innerhalb kurzer Zeit die Infektionszahlen stark ansteigen. „Da geraten die Ämter rasch an die Grenze der Überforderung“, besonders Regionen mit sehr vielen Ansteckungen könnten nicht mehr alle Kontakte nachverfolgen. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Nachverfolgung der Infektionsketten hilft daher sehr.
Stößt die Corona-Warn-App an ihre Grenzen?
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete die App jüngst als „zahnlosen Tiger“, Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhard beklagte, dass derzeit lediglich 60